EU-Gipfel vor schwierigen Entscheidungen
14. Oktober 2011Der Euro-Gruppen-Chef und luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker kündigte am Freitag (14.10.2011) an, dass in der kommenden Woche mit den Banken in Europa verhandelt werde. Die Themen: eine Beteiligung am Schuldenschnitt für Griechenland und eine Rekapitalisierung bedrohter Institute. Bis zum Sonntag (23.10.2011), auf den der EU-Gipfel verschoben wurde, solle eine Gesamtlösung stehen. Dies hatten die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy am vergangenen Sonntag in Berlin vereinbart, aber noch keine Einzelheiten genannt.
Juncker sagte, es könne auch zu einer "nicht freiwilligen Gläubigerbeteiligung" beim offenbar geplanten Schuldenschnitt für Griechenland kommen. Bislang waren die Banken bereit, 21 Prozent ihrer Schuldentitel freiwillig aus Griechenland abzuschreiben. Das war im Juli. Realistisch erscheint jetzt ein Wert zwischen 50 und 60 Prozent.
Da sich einige europäische Banken dies wegen fehlenden Eigenkapitals nicht leisten können, sind die Staaten bereit, diesen Banken Kapital zu geben. Zur Not sollen die Institute zwangsweise rekapitalisiert werden, um sie vor dem Kollaps zu schützen. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass europäische Banken zwischen 100 und 200 Milliarden Euro benötigen. Diese Methode der Kapitalisierung von Banken hatten die USA während der Finanzkrise nach der Pleite der Lehmann-Bank 2008 angewendet.
Rettung wider Willen
Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, und andere Bankenmanager haben sich vehement gegen aufgezwungene Kapitalerhöhungen ausgesprochen. Zum einen würde der Staat dann die Entscheidungen der teilverstaatlichten Banken beeinflussen und Dividenden kassieren, zum anderen wäre der Ruf betroffenener Banken auf dem freien Kapitalmarkt für lange Zeit beschädigt.
Die Finanzpolitiker in der Euro-Zone und der Chef der EU-Kommission, José Barroso, drängen auf einen breit angelegten Plan zur Bankenrettung, nachdem ein eilig durchgeführter Stresstest durch die Europäische Bankenaufsicht wohl ergeben hat, dass viele Großbanken zu wenig Eigenkapital besitzen, um eine Umschuldung Griechenlands oder anderer Euro-Staaten zu überstehen. Die Rating-Agentur Fitch überprüft zurzeit die Bonität mehrerer europäischer Großbanken und drohte damit, ihre Bewertung zu senken. Betroffen davon ist auch die Deutsche Bank.
Rettungsfonds könnte auf 2,5 Billionen anwachsen
Zur Gesamtlösung, die die Europäische Union am 23. Oktober vorlegen muss, gehört sicherlich auch die Absicherung gegen sogenannte Ansteckungsgefahren. Die Anleger sollen bei einer Entschuldung Griechenlands ihr Vertrauen in die Staatsanleihen von Ländern wie Spanien oder Italien nicht weiter verlieren. Deshalb soll die Euro-Zone mit einem erheblich ausgeweiteten Rettungsfonds EFSF die Rückzahlung dieser Staatsanleihen garantieren. Aus Kreisen der EU in Brüssel verlautet, dass an den Einzelheiten für eine massive Ausweitung des Rettungsfonds gearbeitet wird.
EU-Kommissionspräsident José Barroso und andere Politiker hatten sich mehr "Feuerkraft" für den EFSF gewünscht. Der Rettungsfonds sollte für 2500 Milliarden Euro (2,5 Billionen, in Englisch: Trillions) garantieren können, nicht nur für 440 Milliarden Euro, wie bislang geplant. Diese gigantische Summe soll erreicht werden, ohne dass die Steuerzahler in der Euro-Zone weitere Risiken eingehen müssen.
Angeblich soll sich der Rettungsfonds dazu bei der Europäischen Zentralbank (EZB) Geld leihen können. Die EZB würde damit in die Finanzierung der Staatsschulden direkt eingebunden. Dies hatte die bislang unabhängige Zentralbank stets abgelehnt. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, der dem EZB-Direktorium angehört, hat sich strikt gegen eine Staatsfinanzierung durch die Zentralbank gewandt. Die EZB würde dann so ähnlich funktionieren wie die US-Notenbank oder die Bank of England, die beide schon seit langem direkt Staatsschulden finanzieren.
Viele Hindernisse
Die Anwendung dieses finanztechnischen "Hebels" hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble beim Treffen der EU-Finanzminister vor einem Monat in Wroclaw noch abgelehnt. Der us-amerikanische Finanzminister Timothy Geithner hatte versucht, den Europäern den Hebel schmackhaft zu machen.
Fraglich ist, ob die Ausweitung des EFSF zur Abwehr von Spekulationen gegen Spanien und Italien tatsächlich in den wenigen Tagen bis zum EU-Gipfel gelingen kann. Gerade erst hat die Slowakei als letztes der 17 Euro-Länder der Ausweitung des Rettungsfonds auf 440 Milliarden Euro zugestimmt. Bei der Bundestagsdebatte zum EFSF Anfang Oktober hatten auch Politiker aus der Berliner Regierungskoalition die "Hebelung", also die nochmalige Ausweitung des Rettungsfonds, abgelehnt. Außerdem liegen die Ausführungsbestimmungen zum EFSF noch nicht vor. Die genauen Regeln, wann der Fonds tätig werden kann, müssen noch vom Bundestag gebilligt werden.
"Kein absolutes Kommando für den Euro-Obermeister"
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Änderungen an den Verträgen der Europäischen Union nicht ausgeschlossen, um eine umfassende Lösung für der Schulden- und Bankenkrise durchzusetzen. Einzelheiten nannte sie nach ihrem Treffen mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy nicht.
Denkbar wären die Übertragung von finanzpolitischen Kompetenzen aus den Nationalstaaten an die EU-Zentrale in Brüssel, die Einsetzung von Insolvenzverwaltern für einzelne Länder oder eine Insolvenzordnung für Mitglieder der Euro-Zone. Diese Änderungen der Lissabonner Grundlagenverträge der EU würde Jahre in Anspruch nehmen und auf erheblichen Widerstand treffen. Deshalb sind sie nach Meinung vieler Experten für die Lösung der aktuellen Krise untauglich, sondern nur mittelfristig interessant.
Die von Merkel und Sarkozy vorgeschlagene Ernennung des EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy zum Chef der Euro-Länder trifft ebenfalls auf Widerstand. Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker sagte im Deutschlandfunk-Interview, es gehe nicht darum, Van Rompuy zum "Euro-Obermeister" zu machen. "Dass in der deutschen überregionalen Presse und auch in Teilen der französischen Presse herumgereichte Gerücht, Herr Van Rompuy würde jetzt das absolute Kommando übernehmen und die Finanzminister gäbe es nicht mehr, fußt nicht auf Tatsachen, sondern auf Vorstellungen, die ich nicht teile", sagte Juncker.
Autor: Bernd Riegert (mit afp, dpa)
Redaktion: Andreas Becker