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Chronische Krankheiten in Indien unterschätzt

Martina Merten14. November 2013

Auch in Indien sind chronische Krankheiten wie Diabetes auf dem Vormarsch. Anders als in den Industrieländern gibt es aber viel zu wenig Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten.

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Dorfbewohner Museypurs (Foto: Martina Merten)
Bild: DW/P. Vouille

Museypur ist ein kleines Dorf östlich von Lucknow, der Hauptstadt des zentral-indischen Bundesstaats Uttar Pradesh. Es ist das Zuhause von rund 900 Indern. Sie alle leben von weniger als umgerechnet einem US-Dollar am Tag. Eine kleine Krankenstation befindet sich am Ortseingang. Mehr als ein einfaches Bett auf Holzpfeilern, das mit einer Bastmatte bedeckt ist, gibt es darin nicht. Wird einer der Bewohner krank, kann der Arzt, der ab und an hier vorbeikommt, nur vermuten, was die Ursache sein könnte. Ein Transport zum nächst größeren Kreiskrankenhaus ist nur sehr verzögert möglich. Vor Ort eine Diagnose zu stellen ist eigentlich unmöglich. "Ob einer unserer Patienten beispielsweise an Diabetes leidet, kann ich nicht sagen, da es hier kein Labor gibt, um die Blutproben auszuwerten", sagt Dr. Pankay Kumar.

In Safdarganj, einer Kleinstadt eine halbe Stunde von Museypur entfernt, ist die Praxis des dortigen Arztes Derendra Verma zwar schon besser ausgestattet. Wovon Wissenschaftler und Gesundheitsexperten weltweit seit einigen Jahren sprechen, kann Verma bestätigen: chronische Erkrankungen wie Diabetes oder Herzprobleme haben auch bei seinen Patienten zugenommen. Für Analysen lassen die Verhältnisse in Safdarganj ebenso wenig Zeit wie in Museypur – auf den Bänken der kleinen Privatpraxis warten Scharen von Patienten auf eine Behandlung.

Kein Merkmal reicher Länder

Was in Museypur niemand weiß und auch in Safdarganj nicht so wichtig scheint: Nicht übertragbare Erkrankungen machen 70 Prozent der Krankheitslast in Indien aus. Diabetes, Herzprobleme, Krebs oder mentale Störungen sind die Ursache für über 40 Prozent aller Todesfälle, und sogar für 60 Prozent vor dem 70. Lebensjahr. Allein an Diabetes leiden laut WHO-Angaben knapp 52 Millionen Inder an Diabetes, rund sechs Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: Im reichen Deutschland sind es knapp fünf Prozent.

Prahabkaran Dorairaj, geschäftsführender Direktor des Zentrums für die Bekämpfung chronischer Krankheiten (CCDC) in Neu Delhi (Foto: Martina Merten9
Prahabkaran Dorairaj, geschäftsführender Direktor des Zentrums für die Bekämpfung chronischer Krankheiten (CCDC) in Neu DelhiBild: DW/M. Merten

Für Dorairaj Prabhakaran, geschäftsführender Direktor des Zentrums für die Bekämpfung chronischer Krankheiten (CCDC) in Neu Delhi, sind die Gründe für das Vordringen solcher Krankheiten in Indien dieselben wie in den Industrieländern: Zu viel Konsum von Fett, Salz und Zucker, sowie die Risikofaktoren Rauchen und Bewegungsmangel.

Falsche Ernährung spiele darüber hinaus schon im Kindesalter eine zentrale Rolle, weiß Rajan Sankar von der Global Alliance for Improved Nutrition (Gain). "Kinder, die mit Untergewicht zur Welt kommen und schnell zunehmen, neigen später zu chronischen Erkrankungen", erklärt der Manager der Nichtregierungsorganisation. 43 Prozent aller unter Fünfjährigen in Indien leiden Gain zufolge an Untergewicht.

Mangelnde ärztliche Versorgung

Gleichzeitig erschweren die Rahmenbedingungen nach Ansicht von Prabhakaran eine effiziente Behandlung: So sei ein Großteil der Inder nicht krankenversichert und könne sich den Gang zum Arzt gar nicht oder nur verspätet leisten. Zudem kämen viele – Beispiel Museypur – viel zu spät vom Dorf im nächsten größeren Krankenhaus an. Es mangele nicht zuletzt an Fachärzten und Kliniken, die sich auf chronische Erkrankungen spezialisiert haben.

Patienten am Eingang einer kleinen Privatpraxis in der Stadt Safdarganj (Foto: Martina Merten)
Patienten am Eingang einer kleinen Privatpraxis in der Stadt SafdarganjBild: DW/P. Vouille

Seit 2012 gibt es eine solche Spezialklinik für die Behandlung von Stoffwechselerkrankungen in Neu Delhi: Fortis C-Doc wurde 2012 von Anoop Misra, dem Direktor der Nationalen Diabetesstiftung Indiens, gegründet. Alle relevanten Fachrichtungen sind in der westlich anmutenden Privatklinik unter einem Dach vereint. Wer an Diabetes leidet, ist in Misras Einrichtung in guten Händen, allerdings zu entsprechend hohen Preisen. Dennoch kommen täglich Misra zufolge an die 100 Patienten zu Fortis-C-Doc, gegenüber 2012 ein Anstieg um 300 Prozent. Weitere Zentren sind im Aufbau.

Seit 2010 wird nach Angaben von Anshu Prakash vom indischen Gesundheitsministerium ein Nationales Programm zur Prävention von Krebs, Diabetes, Herzerkrankungen und Schlaganfällen eingeführt. Dazu gehören Aufklärungskampagnen in Rundfunk und Fernsehen. Bis 2017, sagt Prakash, sollen verschiedene Maßnahmen über das ganze Land verteilt umgesetzt sein Eines sei allerdings sehr schwierig, gesteht der Ministerialbeamte ein: "Viele Betroffene wollen ihre Krankheit einfach nicht wahrhaben."