Wulff streitet für seine Ehre
13. November 2013Ein ehemaliger Bundespräsident auf der Anklagebank eines Landgerichts: Dies ist für deutsche Verhältnisse eine Sensation und noch nie da gewesen. Die Anklage lautet auf Vorteilsannahme im Amt, darauf stehen eine Geldstrafe oder im schlimmsten Fall bis zu drei Jahre Haft. Christian Wulff, Bundespräsident von Juni 2010 bis Februar 2012, wird persönlich vor dem Richter erscheinen müssen. Ein Spießrutenlauf, denn Dutzende Kameras werden seinen Gang ins Gerichtsgebäude verfolgen.
All die unangenehmen Dinge dürften wieder aufgewärmt werden, die letztlich zum Rücktritt führten: Wulffs Hang zum Glamour, zur Welt der Reichen und Schönen, der umstrittene Kredit für seinen Hauskauf, die Urlaube in Ferienhäusern von wohlhabenden Bekannten. Es wird um Feste und Galadinner gehen, die Freunde wie der mitangeklagte Filmunternehmer David Groenewold für ihn schmissen.
Nicht zuletzt wird an Wulffs peinlichen Droh-Anruf beim Chefredakteur der Bild-Zeitung erinnert werden, der das gestörte Verhältnis des Staatsoberhaupts zur Pressefreiheit offenbarte. Die mittlerweile von ihm geschiedene einstige "First Lady" Bettina und einige Prominente werden als Zeugen auftreten müssen.
Nur ein konkreter Verdachtsfall
Der Bundespräsident a.D., so sein offizieller Titel, hätte sich das alles ersparen können. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm einen Verzicht auf das Verfahren angeboten, wenn er eine Geldbuße - die Rede war von 20.000 Euro - akzeptiert. Nicht unerschwinglich für den 54-jährigen studierten Anwalt, den das Bundespräsidialamt wie alle seine Amts-Vorgänger mit einem jährlichen Ehrensold von geschätzten 200.000 Euro sowie Dienstwagen und Büro ausgestattet hat.
Doch Wulff hat abgelehnt und seine Anwälte erklären lassen, man wolle "um die Würde und die Rechte des Bundespräsidenten a.D. Christian Wulff" kämpfen. Gescheitert als Politiker, gedemütigt von den Medien und mittlerweile auch bemitleidet von vielen Deutschen, will Wulff wenigstens den Makel tilgen, er sei ein Straftäter.
Seine Anwälte Bernd Müssig und Michael Nagel rechnen sich gute Chancen aus. Denn von allen konkreten Verdachtsfällen, Wulff sei korrumpiert worden, ist offenbar vor allem ein einziger übrig geblieben, der einen Prozess rechtfertigt. Wie alle anderen Fälle hat sich auch der übrig gebliebene nicht in Wulffs Amtszeit als Bundespräsident abgespielt, sondern in der Zeit davor, als der CDU-Politiker Ministerpräsident des Bundeslandes Niedersachsen war. Deshalb findet der Prozess auch vor einer Strafkammer des Landgerichts in Hannover statt.
Ein spendabler Filmproduzent
Im Visier hat die Staatsanwaltschaft den Besuch Wulffs auf dem Münchner Oktoberfest 2008, bei dem der befreundete Filmproduzent David Groenewold einen Teil der Zeche und der Übernachtungskosten übernommen hat. Es geht um eine Summe von rund 750 Euro.
Als Gegenleistung für den spendablen Freund, so der Vorwurf, habe Wulff brieflich beim damaligen Chef des Siemens-Konzerns, Peter Löscher, um finanzielle Unterstützung für ein Filmprojekt von Groenewold geworben. Übrigens erfolglos, wie man mittlerweile weiß. Wulffs Anwälte bestreiten jeden Zusammenhang, doch das strenge deutsche Korruptionsstrafrecht könnte dem Ex-Präsidenten trotz der geringen Summe und der schwierigen Beweislage zum Verhängnis werden. Schon die sogenannte "Klimapflege", bei der eine Art stillschweigendes Einvernehmen über gelegentliche Leistung und Gegenleistung herrscht, ist strafbar.
Die Staatsanwaltschaft will deshalb auch in dem bis April 2014 angesetzten Prozess das ganze Beziehungsgeflecht zwischen Wulff und dem wegen Vorteilsgewährung mitangeklagten Filmunternehmer Groenewold durchleuchten. Die Richter werden beurteilen müssen, wo persönliche Freundschaft aufhört und amtliche Begünstigung beginnt. Ursprünglich wollten die Staatsanwälte eine Verurteilung Wulffs wegen Bestechlichkeit erreichen, das Gericht ließ aber nur eine Anklage wegen Vorteilsannahme zu. Wulff hofft auf Freispruch.
Fehlbesetzung im Amt
Allerdings dürfte selbst ein juristischer Erfolg des jungen Alt-Bundespräsidenten kaum die landläufige Meinung ändern, dass er in der Rolle des Staatsoberhaupts eine Fehlbesetzung war. Peinlichkeiten, auch im Umgang mit der Affäre, haben Wulffs Ansehen ruiniert, auch wenn sie nicht justiziabel sind. Moralische Instanzen wie Richard von Weizsäcker oder - bei den Älteren - von Theodor Heuss prägen das Bild der Deutschen vom Bundespräsidenten. Wulffs Nachfolger Gauck hat es immerhin schon geschafft, in Meinungsumfragen nach der Popularität von Politikern den traditionellen Spitzenplatz des Bundespräsidenten wieder zu erobern.
Immerhin hat Wulff eines geschafft: Er hat den Filmleuten, deren Förderung ihm so besonders am Herzen lag, mit seiner Affäre eine dankbare Vorlage geliefert. Der Fernsehsender "Sat 1" lässt gerade mit prominenten Schauspielern Wulffs Rücktritt verfilmen.