Wulffs letzte Chance
27. August 2013Eine Geldstrafe bezahlen, um die Vorwürfe, er habe sein Amt missbraucht, zu den Akten zu legen - dazu war Christian Wulff nicht bereit. Der ehemalige Bundespräsident lehnte dieses Angebot der Staatsanwaltschaft ab und bestand auf die Chance, sich vor Gericht zu verteidigen. Am Dienstag (27.08.2013) gab das Landgericht Hannover bekannt, dass es die Anklage gegen Wulff zulässt. Das Hauptverfahren soll laut der Mitteilung am 1. November beginnen.
Oktoberfestbesuch mit Folgen
Im Zentrum der Verhandlung steht ein Oktoberfestbesuch aus der Zeit, als Christian Wulff noch Ministerpräsident Niedersachsens war. 2008 reiste er mit Ehefrau Bettina zu dem Volksfest in München und ließ sich einen Teil seines Aufenthaltes im Hotel Bayerischer Hof von Filmemacher David Groenewold bezahlen. Die Summe, um die es geht, beläuft sich auf knapp 800 Euro. Später schrieb er auf niedersächsischem Amtspapier einen Brief an den Konzern Siemens, in dem er sich für die Finanzierung eines Filmprojekts Groenewolds einsetzte.
Wulff wird sich allerdings nicht wegen Bestechlichkeit verantworten müssen. Das hatte die Staatsanwaltschaft gefordert. Das Landgericht stufte den Tatbestand auf Vorteilsannahme herab.
Kein Amtsmissbrauch
"Bei Bestechlichkeit hat der Tatbestand eine Voraussetzung mehr", erläutert Rechtsanwalt Sascha Böttner. "Der Amtsträger muss nicht nur einen Vorteil bekommen haben, sondern den muss er dafür angenommen haben, dass er seine Dienstpflichten verletzt." Das sieht das Gericht nicht als gegeben an. "Eine Vorteilsannahme liegt schon dann vor, wenn der Amtsträger Vorteile bekommt, auf die er keinen Anspruch hat", sagt Böttner. "Das liegt vor, wenn Wulff nichts falsch gemacht hat in seinem Amt aufgrund der Zahlung, aber das Geld nicht hätte annehmen dürfen."
Kurz gesagt: Das Gericht erkennt zwar an, dass Wulff möglicherweise ein Geschenk angenommen hat, das er nicht hätte annehmen dürfen. Es geht aber nicht davon aus, dass Wulff aufgrund dieses Geschenks die Macht seines Amtes missbraucht hat.
Bei schweren Fällen von Bestechlichkeit muss ein Verurteilter mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen. "Die Vorteilsannahme wird deutlich milder bestraft als die Bestechlichkeit, nämlich mit einem Strafrahmen von Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe", erklärt Böttner. "Der Vorteil, um den es hier noch geht, also unter 800 Euro, ist im unteren Bereich angesiedelt. Das heißt, es wäre zu erwarten, dass im Falle einer Verurteilung eine Geldstrafe im Raum steht."
Die Causa Wulff
Der Oktoberfestbesuch war bei Weitem nicht der einzige Stolperstein in Wulffs politischer Karriere. Das bisher jüngste deutsche Staatsoberhaupt übernahm das Amt des Bundespräsidenten vom zurückgetretenen Horst Köhler im Juni 2010. Knapp zwei Jahre später gab Wulff das Amt selbst auf. Diesem letzten Schritt waren Ermittlungen und Korruptionsvorwürfe vorangegangen.
Während seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident und auch als Bundespräsident machte Wulff mit seiner Frau mehrmals Urlaub in den Villen befreundeter Unternehmer. Für einen Hauskauf nahm der Politiker 2008 einen Privatkredit von der Unternehmergattin Edith Geerkens über eine halbe Million Euro an. Als er später im niedersächsischen Landtag dazu befragt wurde, verneinte er jegliche geschäftliche Beziehungen zu Unternehmer Egon Geerkens - und ließ den Kredit von dessen Ehefrau unerwähnt.
Einen Bericht der "Bild"-Zeitung über das Privatdarlehen versuchte Wulff am Abend vor dem Erscheinen des Artikels zu verhindern, in dem er dem Chefredakteur der Boulevardzeitung eine wütende Nachricht auf der Mailbox hinterließ. Einige Tage nach dem Vorfall im Dezember 2011 entließ Wulff zwar seinen Pressesprecher, doch auch dieses Opfer nützte ihm nichts. Am 17. Februar 2012 legte Wulff schließlich das Amt des Bundespräsidenten nieder.
Problematische Naivität
"Der Rücktritt war notwendig, weil das Amt Schaden genommen hat", sagt Wolfgang Seibel, Professor für Innenpolitik an der Universität Konstanz, der DW. Zwar muss Wulff nach einem langwierigen Ermittlungsverfahren mit mehreren Staatsanwälten und vielen Tausend Aktenseiten nun nur noch wegen eines einzigen Vorwurfs vor Gericht. Aber auch Handlungen, für die er nicht strafrechtlich belangt werden könne, wie zum Beispiel der Privatkredit, seien anrüchig gewesen, sagt der Politik- und Verwaltungswissenschaftler.
Außerdem seien nicht die Urlaube, die berüchtigte Mailbox-Nachricht oder der Oktoberfestbesuch Wulffs die entscheidenden Probleme gewesen. "Was so bemerkenswert war an Wulffs Verhalten, das waren weniger die Vorfälle, sondern die unglaubliche Naivität, mit der er die behandelt hat", sagt Seibel. "Er hat sich erst durch sein Verhalten in der Affäre zu Fall gebracht."
Dafür habe Christian Wulff mit dem Ablehnen der Geldbuße und seinem Bestehen auf das Verfahren nun richtig gehandelt, sagt der Politologe: "Das ist Wulffs letzte Chance, sich endgültig zu rehabilitieren."