China: Der Sport, die Moral und das Geld
7. Dezember 2021Wer in China als Sportler seinem Beruf nachgehen will, ist dabei ganz offenbar auf das Wohlwollen der regierenden Kommunistischen Partei angewiesen. Das gilt nicht nur für Ausländer, sondern auch für chinesische Staatsbürger selbst. Aktuell zeigt das der Fall Peng Shuai.
Die Tennisspielerin, Wimbledon-Siegerin im Doppel von 2013, hatte im November 2021 beim chinesischen Mitteilungsdienst Weibo einen Post veröffentlicht, in dem sie den ehemaligen chinesischen Vize-Premierminister des sexuellen Missbrauchs beschuldigte.
Daraufhin war die Sportlerin aus der Öffentlichkeit verschwunden, ihr Post schon nach rund 20 Minuten gelöscht. Nur in einem nach anhaltenden internationalen Protesten ermöglichten Schaltgespräch mit dem IOC-Präsidenten Thomas Bach ist sie noch einmal öffentlich in Erscheinung getreten, seither nicht mehr.
Es wird immer schwieriger
Einen Funktionär zu attackieren, kann in China nicht folgenlos bleiben. Für Ausländer genügen schon weit weniger brisante Aussagen, um Ärger zu bekommen. Äußerungen zu gewissen Themen (etwa: Hongkong, Taiwan, Tibet, Dalai Lama, Uiguren, Studentenproteste 1989) sind nicht gern gehört und werden umgehend bestraft.
Bereits vor zwei Jahren klagte Alexander Jobst, bis 2021 Marketingvorstand des Fußballvereins Schalke 04, in einem DW-Interview: "Die Zusammenarbeit ist oft herausfordernd, auch bedingt durch die kulturellen Unterschiede." Und dazu sei in den vergangenen Jahren der Ton im Umgang rauer geworden: "Man muss mit höchster Sensibilität vorgehen. Wir achten in unseren Verträgen sehr genau auf entsprechende Punkte zum Thema Meinungsfreiheit."
Wer aufmuckt, kommt nicht ins Fernsehen
Wer seine Meinung zu unbedacht äußert, gerät nämlich schnell ins Abseits, wie die Basketballer der US-Profiliga NBA erfahren mussten. Der Manager der Houston Rockets hatte 2019 eine Solidaritätsadresse an die protestierenden Studenten in Hongkong auf Twitter veröffentlicht. Chinesische Unternehmen beendeten die Zusammenarbeit mit den Rockets, Sponsoring-Verträge wurden gekündigt, vereinbarte Fernsehübertragungen abgesagt.
Die Reaktionen auf die unerwünschten Äußerungen eines frühere deutschen Fußball-Nationalspielers muten schon fast grotesk an. Mesut Özil, Weltmeister von 2014, hatte im Dezember 2019 den Umgang der Führung in Peking mit den muslimischen Uiguren im Westen des Landes kritisiert. Darauf wurde die Kunstfigur "Özil" in der chinesischen Version einer digitalen Fußballsimulation gelöscht.
Und im Hintergrund: Die Moral
Wolfgang Holzhäuser, ehemaliger Geschäftsführer von Bayer 04 Leverkusen, hatte auch über Partnerschaften in China verhandelt. 2019 sagte er der Deutschen Welle: "Man ist natürlich immer auch der ethisch-moralischen Frage verpflichtet. Die kann aber auch schon mal ein wenig in den Hintergrund treten, wenn die Kapitalseite von dem Engagement überzeugt ist."
Wenn "die Moral in den Hintergrund tritt", ist der Weg nach China frei. Der Präsident des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitutes, Henning Vöpel, hatte es im vergangenen Jahr in einem DW-Interview so erklärt: "China mit einem Markt von knapp 1,4 Milliarden Menschen, mit einem sehr starken Wirtschaftswachstum, mit einem sich ausweitenden geopolitischen Einfluss, ist natürlich wichtig." Bei so vielen Kunden ist mit Schals, Hemden, Schuhen und anderen Fan-Devotionalien eine Menge Geld zu verdienen.
Und anders herum machten Pekings Erwartungen an die Kooperationen mit westlichen Vereinen daraus ein Win-win-Geschäft, so Vöpel: "China will sich auch im Bereich der Soft-Power präsentieren. Da bietet der Sport eine wunderbare Plattform." Und das funktioniert eben genau so lange, wie die Geschäftspartner darauf verzichten, sich zu gewissen Themen zu äußern.
Dankbare Olympier
Eine Plattform bietet auch das Internationale Olympische Komitee (IOC). Zum zweiten Mal in 14 Jahren darf Peking Olympische Spiele ausrichten: Nach den Sommerspielen von 2008 nun die Winterspiele 2022. Dem Weltsportverband sind Spiele in Staaten, denen demokratische Grundwerte und Menschenrechte eher nicht so wichtig sind, hochwillkommene Partner.
In den vergangenen Jahren haben sich die Absagen für das IOC bei den Ausschreibungen ihrer Spiele gehäuft. In westlichen Ländern lehnen es die Menschen oft ab, vom teuren und umweltbelastenden Zirkus belästigt zu werden. Dem IOC sind da autokratisch regierende Gastgeber immer sehr willkommen.
Bis zur Selbstdemütigung
Es sind nicht nur Sportler und ihre Verbände, die den chinesischen Empfindlichkeiten Tribut zollen müssen. Der Autobauer Daimler etwa hatte 2018 in einer Werbekampagne den Dalai Lama zitiert - und da reagiert Peking besonders empfindlich. Die Staatsführung stellte den deutschen Autobauer an den Pranger.
China forderte von den Schwaben "Selbstkritik" und Unterwerfung. Spätestens jetzt lernten auch Menschen in Baden-Württemberg, was ein Kotau ist. Daimler, besorgt um Absatz und Bilanz, warf sich im übertragenen Sinn in den Staub, demütigte sich selbst und fand schließlich in die Gnade der chinesischen Autokraten zurück.
Den Männern ist das Geld schon wichtig
Ob von Peng Shuai ein Kotau gefordert wird, ob sie ihn geleistet hat oder nicht, weiß niemand. Der Frauentennis-Verband WTA hat inzwischen reagiert und alle Turniere in der Volksrepublik ausgesetzt. Das ist bemerkenswert, denn, wie die Bonner Zeitung "Generalanzeiger" berichtet, hatte die WTA einen Vertrag mit chinesischen Partnern geschlossen, der dem Verband in den kommenden zehn Jahren eine Milliarde Dollar in die Kasse gespült hätte.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters hat allein eine Vereinbarung mit dem Livestreaming-Dienst iQiyi ein Volumen von 120 Millionen Dollar. Schon bei den neun Turnieren, die der WTA 2019 in China ausgerichtet hatte, wurden über 30 Millionen Dollar aufgerufen, davon allein 14 Millionen Dollar für das Finalturnier in Shenzhen - fünf Millionen mehr als beim Finale der Männer, dass seinerzeit in London stattfand. Anders als die WTA halten sowohl der Herren-Verband ATP als auch der Dachverband ITF bisher an China als Austragungsort für ihre Turniere fest.
Man kann also das Geld sausen lassen, wenn das Gewissen es einem gebietet. Aber die männlichen Tennisspieler sehen das anders. Deren Weltverband (ATP) teilte mit, dass der Sport "einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben kann". Dazu müssen man Turniere spielen, weil "uns eine globale Präsenz die besten Chancen bietet, etwas zu bewirken". Der Weltranglisten-Zweite, der Russe Daniil Medwedew, sagte: "In vielen Ländern gibt es Probleme, und doch spielen wir in den meisten von ihnen Tennisturniere."
Frei nach Bertolt Brecht gilt also weiter die Erkenntnis: Erst die Millionen, dann die Moral.