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Ché lebt weiter

Das Interview führte Funda Akin9. Oktober 2007

Das Gesicht von Ché Guevara schmückt T-Shirts, Taschen, Poster, Mützen, ja sogar Fußmatten. Aber worum geht es bei diesem Kult wirklich? Fragen an einen Kenner - den Publizisten Cordt Schnibben.

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Poster des Helden Ché. (Quelle: AP)
Poster des Helden Ché. "Er hatte alles, was einen Menschen unsterblich macht"Bild: AP

DW-WORLD.DE: Warum verkaufen sich T-Shirts oder Poster mit Ché Guevara als Motiv immer noch so gut?

Cordt Schnibben: Als die Schweizer Uhrenfirma Swatch ihr Modell "Ché", präsentierte, pries der Firmensprecher das Kunstwerk mit den Worten, die Designer des Hauses lieferten mit ihren Kreationen immer ein getreues Abbild der Moden, und Ché sei im Moment "very trendy". Als eine englische Brauerei ihre neue Biersorte "Ché" vorstellte, erklärte der Erfinder, der besondere "appeal" des Bieres sei das "feeling" der "post-80's", und dieses feeling in diesen Zeiten sein nun mal so, dass Geld nicht alles sei im Leben. Der Mann sei ein Sinnbild für "Mut", erklärten die Uhrenmacher, darum verkaufe sich die Uhr mit seinem Gesicht. Er sei der Inbegriff des Rebellen, argumentierte der Bierbrauer, darum trinken die Leute sein Bier. Diejenigen, die sich sein Poster mit dem sehnsüchtigen Blick an die Wand hängen, bewundern einen Romantiker.

Gibt es bestimmte Gruppen, die diesen Kult oder Mythos bewusst weiter tragen? Wie zum Beispiel Studenten oder bestimmte Minderheiten?

Die Brust eines Mannes, der ein rotes Ché Guevara T-Shirt trägt. (AP Photo/Markus Schreiber)
Ché Guevara T-Shirts sind nach wie vor beliebt, nicht nur bei Kapitalismusgegnern.Bild: AP

Für viele ist dieser Schwarzgelockte nicht mehr als ein schöner Mann; andere sehen in ihm jemanden, der seine Würde gewahrt hat bis in den Tod; einigen gilt er als radikaler Humanist; und wieder andere halten sein Bild hoch, weil sie in ihm ein Vorbild sehen für alle Underdogs, die den Übermächtigen trotzen - darum flattert sein Porträt auch gern in den Fankurven von Fußballvereinen, die oft verlieren.

Wissen denn diejenigen, die diese Produkte kaufen, noch wirklich etwas über Guevara und seine Ideologie?

Als 1967, schon kurz nach dem Tod des Revolutionärs, an der Copacabana in Rio die ersten Blusen mit Chés verträumtem Gesicht auftauchten, konnten die jungen Mädchen aus gutem Hause dem alarmierten Polizisten nicht genau erklären, was sie an diesem Mann so toll fanden, dass sie sein Bild am Körper trugen. In den Metropolen der Welt liefen damals die Poster-Pressen an und sie drucken bis heute. Das Bild mit Mütze und Bart wurde eine der am häufigsten reproduzierten Fotografien der Welt, so oft kopiert, verfremdet und zitiert wie Bilder von Elvis Presley und James Dean; und je öfter Ché vervielfältigt wurde, desto weiter entfernte sich das Bild, das sich die Leute von ihm machten, von dem Kerl, der er war.

Auch eine Website suggeriert Ché Guevaras Bild als eines der best-verkauften des Kapitalismus. Scheint es nicht etwas paradox, dass ausgerechnet "Kinder des Kapitalismus" diese T-Shirts tragen?

Ché Puppe, mit einer gerichteten Waffe in der Hand. Foto: Kunsthalle Schirn
"Ché" von Gavin Turk in der Ausstellung "Die Jugend von Heute" in der Kunsthalle Schirn (2006)Bild: Kunsthalle Schirn

Nein, das ist nicht paradox, viele fühlen sich ja dadurch antikapitalistisch, dass sie das Porträt eines Systemrebellen auf der Brust tragen. Wenn irgendwo auf der Welt irgendein Mensch Unrecht erleide, dann müsse man mitleiden und dagegen angehen, hatte Ché seinen fünf Kindern als Vermächtnis hinterlassen, und diesen selbstzerstörerischen Humanismus haben manche im Kopf, die sein Bild auf der Brust tragen.

In Anbetracht der Tatsache, dass es Kritiken zu seiner brutalen Vorgehensweise während der Rebellion gibt. Hat er den Kultstatus wirklich verdient?

Mit Ché ist passiert, was mit allen Kultfiguren passiert: Sie werden ausgehöhlt, damit sie aufgefüllt werden können mit den Träumen, Sehnsüchten und Gelüsten derer, die sie bewundern. Je länger die Verehrten tot sind, desto weniger wissen die Leute über sie, aber dennoch widersteht ihr Charisma auf geheimnisvolle Weise der Verwesung. Das, was die Menschen in ihnen sehen möchten, wurde von Generation zu Generation weitergereicht, mal geschönt, mal geschwärzt, mal gewendet. Vier Jahrzehnte nach seinem Tod ist Ché eine männliche Marilyn; ein Mensch mit viel Sex, mit viel Wärme, mit viel Menschenliebe, lieber tot als halbherzig, zu gut für diese Welt und darum schnell wieder von der Erde verschwunden.

Wird der Mythos weiterhin bestehen bleiben oder wird er bald "out" sein?

Ein blaues Auto steht vor einer Mauer bemalt mit dem Bild von Ché. (AP Photo/Rodrigo Abd)
Ché ist allgegenwärtig. Eine Werkstatt in Havanna.Bild: AP

Ché ist der erste (und letzte) Linke, der zum Pop-Star wurde, ein Übermensch wie John F. Kennedy, wie Humphrey Bogart oder Mickey Mouse, wie Jesus oder Tarzan. Er sah gut aus, er kämpfte für das Gute, er schoss gut, er war mutig, und er wurde ermordet - er hatte alles, was einen Menschen unsterblich macht.

In den Filmen, Musicals und Theaterstücken, in denen er weiterlebte, wuchs er Stück für Stück zu einem Heiligen, der Zigarre rauchte und viele Frauen hatte. Irgendwann war Ché so schön, so stark und so edel, dass die Leute vom "Mythos" zu sprechen begannen, was sie immer dann tun, wenn sie nicht mehr ganz genau wissen, weshalb ein allseits verehrter Mensch verehrt wird. Nur wer früh stirbt, wird unsterblich; nur wer geht, bevor er hässlich wird und feige und bequem, taugt zur Kultfigur. Darum ist James Dean lebendiger als Marlon Brando, Marilyn Monroe gegenwärtiger als Brigitte Bardot und Ché Guevara mächtiger als Fidel Castro. Auf seltsame Weise wirkt die Weltanschauung des lateinamerikanischen Robin Hood modern in postsozialistischen Zeiten. Sie ist theoriefeindlich, sie misstraut allen Systemen, und sie träumt vom neuen Menschen des 21. Jahrhunderts, dem alles Materielle unwichtiger ist als die Solidarität und das Überleben der Menschheit.

1997 veröffentlichte der Journalist Cordt Schnibben das Buch "Ché Guevara und andere Helden".