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BVerfG erklärt Corona-Notbremse für zulässig

30. November 2021

Die im April 2021 beschlossene Bundesnotbremse mit nächtlichen Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen sowie Schulschließungen ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.

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Symbolbild Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht in KarlsruheBild: picture-alliance/dpa

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen der sogenannten Bundesnotbremse zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie zurückgewiesen. Sie seien "in der äußersten Gefahrenlage der Pandemie" mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen, teilte das Gericht in Karlsruhe mit. Trotz der Eingriffe in Grundrechte seien die Regelungen verhältnismäßig gewesen.

Auch die im Frühjahr dieses Jahres angeordneten Schulschließungen sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts angesichts der damaligen Lage zulässig gewesen. Mehrere Verfassungsbeschwerden von Schülern und Eltern gegen die Schulschließungen wiesen die Karlsruher Richter zurück. Zugleich erkannten sie erstmals ein Recht der Kinder und Jugendlichen gegenüber dem Staat auf schulische Bildung an.

Die beiden Beschlüsse des Ersten Senats ergingen einstimmig. Die acht Richter betonten, dass die Maßnahmen gegen die Pandemie erheblich, aber trotz ihres Gewichts "formell sowie materiell verfassungsgemäß und damit verfassungsrechtlich gerechtfertigt" gewesen seien. Der Gesetzgeber trage die Verantwortung dafür, "Konflikte zwischen hoch- und höchstrangigen Interessen trotz ungewisser Lage zu entscheiden". Die Verfassungshüter betonten zugleich, dass die Grundrechtseingriffe mit Ausnahmeregelungen abgemildert worden seien.

Katalog von Maßnahmen

Die entsprechenden Maßnahmen waren im April 2021 zur Eindämmung der Corona-Pandemie beschlossen worden und galten bis einschließlich Juni dieses Jahres. Die sogenannte Bundes-Notbremse sah in der dritten Infektionswelle im Frühjahr einen Katalog verpflichtender Maßnahmen vor, die ergriffen werden mussten, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnern bei den Corona-Neuinfektionen stabil über hundert lag. 

Einige Eilanträge gegen Ausgangsbeschränkungen wies das Bundesverfassungsgericht im Mai ab, nun entschied es in der Hauptsache. Dazu sagte Gerichtspräsident Stephan Harbarth Mitte November im Zweiten Deutschen Fernsehen, dass die Begründungen des Gerichts "üblicherweise Hinweise für Folgefragen" wie etwa weitere Maßnahmen lieferten. Im frisch überarbeiteten Infektionsschutzgesetz enthält Paragraf 28b neue, weniger einschneidende bundesweite Maßnahmen als die sogenannte Bundesnotbremse.

Berlin Bundespräsident entlässt und ernennt Verfassungsrichter Stephan Harbarth
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, bei seiner Ernennung im Juni 2020Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

FDP zeigt sich enttäuscht

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki hat sich enttäuscht über das Urteil des Verfassungsgerichts geäußert. "Die Länder müssen jetzt in eigener Zuständigkeit die Möglichkeiten des Infektionsschutzgesetzes nutzen, statt Schwarzer Peter zu spielen", sagte er. Kubicki machte die amtierende Bundesregierung für die aktuelle Zuspitzung der Corona-Lage verantwortlich. "Die Hauptursache der aktuellen Welle war die fatale Entscheidung der noch amtierenden Bundesregierung, die Kostenfreiheit bei den Corona-Tests aufzuheben und die Impfzentren zu schließen. Damit haben wir jegliche Übersicht und Kontrolle über das laufende Infektionsgeschehen verloren", sagte der Partei-Vize.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer forderte nach dem Urteil den Bund zum Handeln auf: "Der Bund muss das Infektionsschutzgesetz schnell ändern und alle Instrumente zur Krisenbekämpfung für die Länder ermöglichen", sagte der CDU-Politiker der "Bild"-Zeitung.

Der Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger warnte nach dem Karlsruher Urteil vor einem erneuten Lockdown in Deutschland. Dulger erklärte in Berlin: "Ein möglicherweise bundesweiter umfassender Lockdown des Wirtschaftslebens wäre unangemessen und würde weitere schwere Schäden in der Volkswirtschaft verursachen." Er stünde außerdem in keinem Verhältnis zu den jetzt erreichbaren Zielen.

Spitzenrunde berät am Mittag

Angesichts der akuten Sorgen vor überlasteten Kliniken, des rasanten Anstiegs der Neuinfektionen und der neuen Omikron-Virusvariante erhofft sich die Politik von den Gerichtsurteilen konkrete Vorgaben zu ihrem Handlungsspielraum. Am Nachmittag wollen die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr designierter Nachfolger Olaf Scholz (SPD) an diesem Dienstag mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder telefonisch über die aktuelle Corona-Lage und mögliche Konsequenzen beraten.

Kurz vor dem Bund-Länder-Spitzengespräch mehrten sich Forderungen nach schärferen Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verlangte "eine neue Bundesnotbremse". Saar-Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) hielt als "letzten Schritt" auch einen erneuten Lockdown für denkbar.

Heute wohl kein Beschlüsse

Entscheidungen sollen bei der Telefonkonferenz jedoch offenbar nicht fallen. "Beschlüsse sind für heute nicht geplant", sagte Kanzleramtschef Helge Braun den Sendern RTL und ntv. "Das war die Vorbedingung für das Treffen", fügte der CDU-Politiker hinzu. Braun ließ erkennen, dass er selbst rasche konkrete Beschlüsse befürworten würde: "Ich fordere seit Tagen eine formelle Ministerpräsidentenkonferenz, und dass wir eine Notbremse vereinbaren."

Über rund 100 weitere Verfassungsbeschwerden will der Erste Senat des höchsten deutschen Gerichts zu einem späteren Zeitpunkt urteilen. Sie betreffen unter anderem die Einschränkungen für den Einzelhandel und das Hotelgewerbe.

kle/se (dpa, afp, rtr, epd)