"Bring mir etwas bei!"
23. April 2009Die bunt bemalte Lehmmauer weist den Weg zur Attraktion von Sissin, einem armen Stadtteil von Ouagadougou. "Nazemse" steht drauf. Zu Deutsch: Das Leben – es wird schon gehen. Man kann in Sissin aber auch einfach der Musik folgen, um zu dem Nachbarschaftsprojekt zu gelangen. Trommelmusik und lautes Lachen schallen dem Besucher entgegen. Im Hof sitzen Djembe-Spieler aus der Nachbarschaft, Kinder tanzen ausgelassen zu den traditionellen Rhythmen. Wenig Essen, kaum Geld für Arztbesuche und Schulbücher – man sieht den Kindern nicht an, mit welchen Problemen sie und ihre Familien immer wieder konfrontiert sind.
Den Schmerz lindern
Der Lehrer Simon engagiert sich seit sieben Jahren hier, wo er selbst als Waisenkind groß geworden ist. Er kennt die Schwierigkeiten, mit denen besonders die Waisenkinder in seinem Stadtviertel täglich kämpfen müssen. Und viele der Kinder hier haben ihre Eltern verloren. "Ich habe den Schmerz der Kinder durchlebt, ohne Vater und Mutter aufzuwachsen. Ich habe mich gefragt, was ich neben dem Unterrichten tun kann, um diesen Kindern zu helfen, damit es ihnen besser geht", sagt Simon.
Vor sieben Jahren hat er in Cissin den Verein Nazemse gegründet. Der Hof und die Bibliothek des Zentrums sind jeden Nachmittag bis zwölf Uhr nachts für die Kinder geöffnet. Und alle aus der Nachbarschaft kommen: von den ganz kleinen, die von ihren älteren Geschwistern auf dem Arm herumgeschleppt werden bis zu den Abiturienten, die den jüngeren bei den Hausaufgaben helfen.
"Ich komme hierher um zu lernen, Theater zu spielen, Spaß zu haben und um Bücher auszuleihen", sagt die 16jährige Sana. Sie sitzt bei einer Gruppe von Kindern und malt mit ihnen. Fast jeden Tag kommt sie hierher.
Freiwilliges Engagement
Ein paar Meter weiter trommeln die Djembe-Spieler noch immer. Zwei Kora-Spieler aus der Nachbarschaft sind dazugekommen. Sie alle engagieren sich freiwillig, ohne irgendeine Bezahlung. Die Mädchen schwingen ausgelassen die Hüften, ein paar kleine Jungs machen einen Tanzwettbewerb. "Kinder brauchen nicht viel Geld, um glücklich zu sein", sagt Simon. "Als Nachbarschaftsorganisation muss sich die Gemeinschaft mobilisieren, um jedem Kind zu helfen. Und jeder in der Gemeinschaft hat einen Bereich, in dem er etwas kann."
Mehr als 30 Nachbarn kommen regelmäßig, um im Zentrum zu mitzuarbeiten. Geld von religiösen oder politischen Organisationen hat Simon schön mehrmals abgelehnt. Cissen ist ein gemischter Stadtteil mit Muslimen, Christen und Animisten. "Ich denke, dass Freiheit etwas Fundamentales ist. Die Organisation ist nicht-religiös – Du kommst mit Deiner Überzeugung und Du gehst auch wieder mit Deiner Überzeugung. Ich bevorzuge diese Freiheit, wo weder Religion noch politische Meinung einen Einfluss auf das was ich hier tue hat."
Lust auf Lernen
Die Bibliothek im Nazemse-Zentrum hat Simon mit Bücherspenden aus Frankreich aufgebaut. In einem Stadtteil, wo die meisten Familien kein Geld für Bücher haben, hat sie für die Kinder einen ganz besonderen Wert. "Bring mir etwas bei, bring mir noch mehr bei", singen die Kinder vom Nazemse-Zentrum und klatschen im Takt in die Hände. Schulunterricht ist für sie ein Luxus und sie sind ganz offensichtlich dankbar für die Möglichkeiten, die ihnen das Nazemse-Zentrum bietet. Simons Konzept ist einfach: Er hofft, dass all die Kinder, die hierher kommen, eines Tages selbst für die Kinder in ihrer Nachbarschaft da sein werden und ein bisschen von ihrer Zeit und ihrem Wissen für die Gemeinschaft einsetzen.
Autorin: Christine Harjes / Redaktion: Dirk Bathe