Brian de Palma: Horror-Spezialist und Hitchcock-Fan
11. September 2020Ist er ein Epigone, ein Nachahmer berühmter Vorbilder und geschickter Verwerter legendärer Filmerfolge? Oder ist Brian de Palma ein Genie in Sachen amerikanischer Filmkultur, ein innovativer Regisseur mit ureigenem Stil? Darüber streiten die Filmhistoriker bis heute.
Feststehen dürfte zumindest eines: Brian de Palma, geboren am 11.09.1940 als James Giacinto De Palma jr. in Newark/New Jersey, ist unter den vielen Filmemachern, die Alfred Hitchcock verehren, derjenige, der dessen Werk am häufigsten und genauesten kopierte - oder eben fortschrieb, wie seine Fans sagen.
Brian de Palma gehörte zum innovativen "New Hollywood"
Der amerikanische Regisseur gehörte zum innersten Kreis "New Hollywoods", jener ungeheuer kreativen und vielfältigen US-amerikanischen Filmbewegung, die Ende der 1960er und während der 1970er Jahre dem alten, verkrusteten Hollywood-Studio-System den Garaus machte.
Mit Leuten wie Martin Scorsese, Steven Spielberg, George Lucas und Peter Bogdanovich bewies de Palma damals sehr viel Mut und Energie. Die jungen Regisseure stellten Hollywood auf den Kopf. Die einen mehr ästhetisch-stilistisch und mit dem Willen, den US-Film künstlerisch voranzutreiben, wie Scorsese, die anderen mit dem Gespür für kommerziell-populäre Vermarktungsstrategien - wie Lucas mit "Star Wars".
Zwischen Kunst und Kommerz: Brian de Palma
Brian de Palma hatte etwas von beidem. Seine ersten Filme waren geprägt von Experimentierwillen, von ästhetischem Mut und formalen Spielereien. Gleichzeitig waren sie ungeheuer unterhaltsam - auch äußerst spannend und aufregend: Brian de Palma wurde damals zum Spezialisten in Sachen Horrorfilm und Psychothriller. Ein Film wie "Carrie" (1976) raubt dem Zuschauer auch heute noch den Atem.
Wie gesagt: Brian de Palma trug durchaus das Gen des kommerziell erfolgreichen Unterhaltungsregisseurs in sich. In seinen späteren Filmen schlug das dann voll durch, manche sagen: nicht zu seinem Vorteil. Filme wie "The Untouchables" und "Mission Impossible" zogen die Zuschauer in Scharen in die Kinos - doch im Vergleich zu seinen frühen Filmen wirkte einiges in ihnen schal und allzu routiniert inszeniert.
De Palmas Themen: Gewalt und Sexualität in den USA
Dabei blieb Brian de Palma bis zuletzt seinen Themen treu. Gewalt und Sexualität, psychische Deformationen und Besessenheit gehörten zu den thematischen Pfeilern in seinem Werk. Das fiel oft blutig aus. Ein paar von de Palmas Filmen waren deswegen höchst umstritten und kratzten gar an den strengen Vorgaben der US-Jugendfreigabe fürs Kino.
In manchen Filmen gelang es dem Regisseur jedoch auch mit seinen unterhaltsamen, aufregenden Stoffen hinter die Fassade der modernen amerikanischen Gesellschaft zu blicken. So war der lange eher unterschätzte Thriller "Blow Out" mit John Travolta im Jahre 1981 ein Film über Paranoia und Überwachung. Das wirkt heute im Zeitalter von Donald Trump noch höchst aktuell.
Spannend wie Hitchcock - übertragen in die neue Zeit
Doch solche Filme stellen die Ausnahme dar im Oeuvre des Regisseurs. Im Grunde ging es de Palma um das Polieren und Feilen an der filmischen Oberfläche. Es gibt nur wenige Regisseure, die es so gut verstanden mit Effekten (Zeitlupe, Split-Screen etc.) die Zuschauer bei Atem zu halten. Darin war de Palma immer wieder großartig. Und sein Vorbild Alfred Hitchcock half ihm dabei.
Manche seiner Arbeiten ("Dressed to Kill", "Obsession") wirken wie Neuverfilmungen oder Variationen von Hitchcocks Werken. Das machte de Palma ungeheuer geschickt, bis in kleinste Szenen und Andeutungen näherte sich der Regisseur dem Werk des Altmeisters immer wieder an. Die Meinungen darüber, ob das nun banales Epigonentum oder eine geniale Weiterentwicklung ist, fielen allerdings geteilt aus.
Ein Meister der Inszenierung hochglänzender Kinobilder: Brian de Palma
"Vielleicht wird sich de Palma noch aus dem gewissenhaften Hitchcock-Studium lösen", schrieb der amerikanische Filmhistoriker James Monaco 1985 in seinem Buch "American Film Now" und fügte an: "Es sieht so aus, als wollte er das auch. In kommerzieller Hinsicht ist er allerdings als Nachahmer des Meisters am interessantesten." Das sollte sich als Irrtum Monacos erweisen. De Palmas spätere Filme wie "Mission Impossible" wurden noch viel erfolgreicher - Hitchcock-Werken ähnelten sie da schon nicht mehr.
Doch auch in seinen letzten Filmen, die dann nicht mehr so vom Erfolg gekrönt waren, traf man immer wieder auf Hitchcock-Verweise. Und eben auf viel Erotik, Sex und Gewalt. Brian de Palma ist zweifellos ein Chronist der amerikanischen Gesellschaft. Das sieht man in diesen Tagen wieder ganz deutlich. Gewalt, Waffen-Fetischismus, gesellschaftliche Ausgrenzung von Minderheiten, sexuelle Gier - all das beherrscht auch heute noch die Schlagzeilen in den USA.
Robert de Niro wurde einst von de Palma entdeckt
Brian de Palma hat all das aufgegriffen - nicht wie ein nüchterner oder intellektueller Autorenfilmer, dem es um die komplexe Darstellung gesellschaftlich relevanter Zustände geht. Vielmehr wie ein geschickter Animateur, dem vor allem auch das Unterhaltungspotential der Filme wichtig war.
Glatte, glänzende Bilder, schnelle Schnitte, eine rasante Montage, enorm viele Schauwerte: De Palmas Filme boten immer viel fürs Auge. Und ein Förderer junger Talente war er dabei auch. Brian de Palma gab beispielsweise dem blutjungen Robert de Niro erste Auftrittsmöglichkeiten vor den Kameras - kein schlechtes Zeugnis für einen Talentförderer.
Und heute? Zuletzt hatte der Regisseur als Autor des Buches "Are Snakes Necessary" (zusammen mit seiner Lebenspartnerin Susan Lehman) Aufmerksamkeit erregt. Darin geht es um einen amerikanischen Senator, der ein Verhältnis zu einer wesentlich jüngeren Frau pflegt. Anregen ließ sich de Palma dabei vom Fall des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten John Edwards im Jahre 2008.
Brian de Palmas nächster Film greift indirekt Weinstein-Affäre auf
Um Machtmissbrauch im Zusammenhang mit dem Thema Sexualität soll es auch in de Palmas nächstem Film gehen. Der ist schon seit längerem unter dem Titel "The Predator" angekündigt. Die Vorbereitungen zum Dreh mussten wegen der Corona-Pandemie aber unterbrochen werden. Den Stoff wollte de Palma schon länger verfilmen. Er weist einige Parallelen zum Fall Harvey Weinstein auf. Es dürfte in jedem Fall ein Stoff sein, der Brian de Palma im Filmblut liegt.