Blick nach Ostasien: der Künstler Julius Bissier
20. Mai 2018Deutsche Welle: Julius Bissier, ein deutscher Künstler aus der badischen Provinz, der es mit ostasiatisch anmutender Kunst zur Documenta, zur Biennale in Venedig und in die großen amerikanischen Museen schafft. Wie kam es zu dieser überraschenden Künstler-Vita?
Tilmann von Stockhausen: Ja, das mag überraschend klingen. Bissier stammt aus Freiburg, ist hier geboren und aufgewachsen und hat sich hier auch künstlerisch entfaltet. Er hat als Künstler engen Kontakt gehabt zu Ernst Grosse (deutscher Ethnologe und Kunstsammler, Anm. d. Red.). Grosse hat an der Universität in Freiburg damals erste Vorlesungen zur außereuropäischen Kunst gehalten, vor allem auch zur asiatischen Kunst - obwohl er eigentlich Philosoph und Philologe war. Die beiden haben sich kennengelernt und über Grosse hat Julius Bissier eine ganze Reihe von asiatischen Kunstwerken kennengelernt und ist wahrscheinlich dadurch auch sehr stark beeinflusst worden.
…und das reflektieren Sie auch in der Ausstellung?
Wir können das in der Ausstellung nachweisen: Wir stellen der Sammlung asiatischer Kunst von Grosse die Werke Bissiers gegenüber. Das ist wirklich frappierend. Es gibt verblüffende Beziehungen und Ähnlichkeiten der Kunstwerke aus Asien mit denen des Freiburgers Bissier. Diese Werke asiatischer Künstler muss Bissier also gesehen und rezipiert haben.
Aber Julius Bissier war nie in Asien!
Das stimmt, er ist selbst nie nach Japan oder nach China gereist. Er ist überhaupt nicht so gerne gereist und hat lieber immer in seinem Atelier gearbeitet - er hat über Grosse die asiatische Kunst rezipiert. Man muss natürlich auch sagen, dass er diese Rezeptionsphase in einer Zeit durchlebt hat, in der das Reisen ohnehin schwierig war. Er hat sich vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus mit der asiatischen Kunst befasst.
Er ist in eine Art der inneren Emigration gegangen, er hat Freiburg verlassen und ist an den Bodensee gegangen mit seiner Frau und Familie. Er hat von der Erwerbstätigkeit seiner Frau, die Weberin war, gelebt. Er selbst hat sich tagsüber auf die Musik konzentriert. Nachts hat er künstlerisch in seinem Studio mit abstrakten Kompositionen experimentiert, die sehr stark von der asiatischen Kunst beeinflusst waren. Er hat deswegen auch sehr kleine Formate benutzt, hat auf Papier gearbeitet, weil er immer Angst vor Hausdurchsuchungen hatte, vor der Überprüfung durch die Gestapo. Er war deswegen quasi "in der Dachstube", als er diesen neuen Weg gegangen ist, in einer gefährlichen Situation.
War man ihm direkt auf der Spur?
Wir wissen aus Tagebucheinträgen Bissiers, dass er Angst hatte. Das war schon berechtigt. Während der Willkürherrschaft des Nationalsozialismus musste man immer damit rechnen, dass es zu Verfolgungen und Verhaftungen kommen kann. Das ist ja auch der Grund, warum sich so viele Künstler damals an den Bodensee zurückgezogen haben. Da war die schweizerische Grenze nicht weit, da war immer noch die Hoffnung, dass man in letzter Minute in die Schweiz fliehen kann.
Er hat also in der Isolation auch die abstrakte Kunst für sich entdeckt, eigentlich auch ein Ding der Unmöglichkeit während dieser Zeit, dass offiziell zu pflegen! Das kam ja in Deutschland erst später auf. War er da ein Vorreiter?
Bissier hat im Grunde eine Entwicklung vorweggenommen, die in der Zeit nach 1945 einsetzte. Die Entdeckung von Abstraktion wurde von der Kunstrichtung des französischen Informel beeinflusst, aber auch aus der amerikanischen Kunst kam das nach Deutschland. Das wurde damals natürlich auch sehr von der amerikanischen und der französischen Kulturpolitik unterstützt. Bissier hat das vorweggenommen und ist dann später entdeckt worden.
Eine Schlüsselrolle hat dabei der Kunsthistoriker Werner Schmalenbach gespielt, damals Direktor des Kunstvereins Hannover. Schmalenbach hat ihn entdeckt und ihn in einer großen Ausstellung in Hannover präsentiert. Es folgten dann zahlreiche Ausstellungen, vor allem auch in Amerika, in Boston, Detroit, Chicago und Los Angeles. Er ist in den USA enthusiastisch rezipiert worden, so dass er am Ende seiner Karriere, gewissermaßen auch am Ende seines Lebens, große Erfolge genießen konnte und seine abstrakte Welt entdeckt worden ist.
Das heißt, Bissiers Arbeiten sind in Deutschland entdeckt - und dann in den USA mit offenen Armen empfangen worden...
Da haben natürlich die Ausstellungen von Schmalenbach eine große Rolle gespielt. Schmalenbach hatte Kontakte nach Amerika. Durch ihn ist er nach Amerika gekommen. Bissiers Kunst und seine künstlerische Sprache haben den amerikanischen Zeitgeist sehr stark getroffen. Dort war die Abstraktion in der Kunst ja schon sehr viel weiter gediehen. Er war sicherlich derjenige deutsche Künstler, der die Abstraktion am konsequentesten ausgeführt und weiterentwickelt hat.
Hingegen ist er in Ostasien, also in dem Kulturraum, an den er sich mit vielen seiner Werke angelehnt hat, weniger bekannt…
Ja, in China und Japan ist er noch gar nicht rezipiert worden. Deshalb sind wir auch gespannt, ob unsere Ausstellung dort möglicherweise auch Wirkung entfaltet. Das Thema Bissier in Ostasien ist bisher noch niemals so konsequent dargestellt worden in Deutschland.
Aber auch Bissiers erste künstlerische Phase, in der Ölbilder entstanden, die man der Kunstrichtung "Neue Sachlichkeit" zurechnet, verwies ja schon auf asiatische Vorbilder. Wie hat sich das ausgedrückt?
Julius Bissier hat in den 1920er Jahren im Stile der Neuen Sachlichkeit mit einem starken Realismus gemalt. Aber er hat in seinen Werken schon immer erstaunlicherweise Farben verwendet, die irritiert haben. Es gibt zum Beispiel das berühmte Bild "Die Rheinfähre bei Basel", wo grüne und blaue Töne drin sind, die man eigentlich in Europa nicht kannte. Wir haben jetzt in der Ausstellung einige japanische Holzschnitte neben Bissiers Werke gehängt und da kann man erstaunlicherweise schon sehr starke Parallelen erkennen. Da kommen plötzlich die Farben aus dem japanischen Holzschnitt vor, die Bissier in seinen Werken der Neuen Sachlichkeit genutzt hat. Diese ungewöhnliche Farbkombinationen haben damals die Menschen natürlich auch irritiert.
Im Spätwerk hat sich Bissier dann auf einfache Formen konzentriert…
Er hat sich inspirieren lassen von einfachen Gebrauchsgegenständen, man erkennt zum Beispiel auch einige asiatische Kunstgegenstände. Man kann sehr schön sehen, wie er sich manchmal nur von einer Teeschale oder einem anderen einfachen Gegenstand leiten ließ und das dann weiterverarbeitet hat in seinen Formen auf Papier.
Der Weg in die Abstraktion, auch durch die politischen Zeitumstände hervorgerufen, hatte aber auch persönliche Gründe?
Bissier war ein eher introvertierter Mensch und hat allzuviel Geselligkeit gemieden. Ein persönlicher Schicksalsschlag (1935 stirbt sein Sohn Uli im Alter von sechs Jahren, Anm. d. Red.) hat sicherlich eine Rolle gespielt. Bissier ist vor allem in der Intensität seiner Arbeit und der Beschäftigung mit Formen aufgegangen. Das war sein Leben. Die Außenwirksamkeit war etwas, was sich zufällig ergeben hat, das er aber nicht angestrebt hat.
Das Gespräch führte Jochen Kürten.
Die Ausstellung "Im Raum meiner Imagination" ist eine Schau des Freiburger Museums für Neue Kunst in der Halle des Augustinermuseums und ist vom 19.5. bis zum 23.9.2018 geöffnet.