"Biomasse kann Rohstoffe ersetzen"
18. Juni 2009
DW-WORLD.DE: Biomasse gilt als ein wichtiger Baustein für die zukünftige Energieversorgung. Wie hoch sehen Sie das Potenzial für Europa und auch weltweit?
Franz Fischler: Ich glaube, dass die Biomasse nicht nur als ein Rohstoff für die Energieversorgung gilt, sondern insgesamt als ein nachwachsender Rohstoff zu betrachten ist. Er kann durchaus auch zum Beispiel Metalle oder andere Rohstoffe ersetzen - nicht nur Öl oder Gas. Das Potenzial ist ziemlich groß, aber auch begrenzt. Niemand soll glauben, man kann jetzt einfach von der Ölwirtschaft auf eine Biomassewirtschaft umstellen. Gerade wenn es um Treibstoffe geht, ist das Potenzial ziemlich begrenzt, vor allem auch deshalb, weil eines nicht in Frage gestellt werden darf: Dass die Ernährung der Welt Vorrang haben muss gegenüber der Produktion oder der Verwendung von Biomasse für Energiezwecke.
Fünf Prozent der Nahrungsmittel werden weltweit für die Biospritproduktion verwendet. Gleichzeitig hungern Millionen Menschen. Ist die Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen für die Produktion von Biomasse und Biosprit verantwortbar?
Ich glaube, dass man das nicht so generalisierend beantworten kann. Es gibt Situationen, in denen der Anbau von Energiepflanzen durchaus Sinn machen kann. Aber wie ich schon gesagt habe, spielt es keine allzu große Rolle. Das Ziel der Europäischen Union, zehn Prozent des Treibstoffkonsums durch Biomasse zu ersetzen, wird nur dann funktionieren, wenn es gelingt, die zweite Generation einzusetzen, das heißt, dass wenn man Bioethanol nicht mehr aus Getreide herstellt, sondern aus Stroh, um das etwas bildlich auszudrücken.
Mit Biomasse kann man Wärme, Strom und Kraftstoffe produzieren. Welchen Nutzungspfad favorisieren Sie vor allem für die Zukunft?
Fischler: Ich favorisiere das heute so genannte Kaskadenmodell. Aus meiner Sicht ist die Biomasse eigentlich viel zu schade, um einfach nur verbrannt zu werden oder daraus Biogas zu machen. Ich glaube, man muss die verschiedenen Komponenten, aus denen die Biomasse entsteht, entsprechend getrennt nutzen. Da darf man nicht vergessen, dass die Biomasse ein Rohstoffreservoir auch für Chemikalien darstellt, die man zunächst einmal aus der Biomasse entnehmen sollte. Dann müsste man als nächsten Schritt vor allem versuchen – aber da ist noch sehr viel Forschung notwendig –, aus der Zellulose, sprich, aus dem Stroh oder aus dem Gras, Treibstoffe zu produzieren. Erst den Rest sollte man der Verbrennung zuführen. Das Gleiche gilt genauso für Holz.
Wie sollte Ihrer Meinung nach das Verhältnis zwischen Nahrungsmittel- und Energieproduktion aussehen und derzeit geregelt werden?
Da darf es überhaupt keinen Zweifel geben: Die Nahrungsmittelproduktion muss eindeutig Vorrang haben. Aber man darf nicht vergessen: Es gibt auch Getreide oder andere Biomasseprodukte, die für den menschlichen Konsum nur wenig geeignet sind und solche Produkte kann man ohne weiteres ich glaube auch ohne moralisch-ethisches Bedenken, einsetzen.
Sollte es Ihrer Meinung nach eine weltweite Regelung geben, oder eine vonseiten der EU?
Die Europäische Union wird ihre Ziele überdenken müssen, je nachdem, wie gut oder weniger gut es gelingen wird, die zweite Generation von Biokraftstoffen tatsächlich in die Praxis einzuführen. Eines jedenfalls ist klar: Dieses Zehn-Prozent-Ziel kann man nie mit der ersten Generation erreichen.
Welche Effekte ergeben sich für die Produktion von Biomasse für den ländlichen Raum, eventuell auch für die Entwicklungsländer?
Wenn man Biomasse breiter sieht und nicht nur in Zusammenhang mit der Verwendung als Treibstoff, dann bietet sie durchaus Chancen, dezentrale Energieversorgungen zu fördern. Da gibt es gute Beispiele für: Bei uns in Österreich gibt es die Gemeinde Güssing, die das ambitionierte Ziel hat, energieautark zu sein - und das gelingt auch. Aber dort spielt die Treibstoffversorgung nur eine sehr untergeordnete Rolle. Es geht mehr darum Holzabfälle und Stroh entsprechend energetisch zu verwerten oder aus Biomasse verschiedene Chemikalien zu produzieren.
Die moderne Bioenergienutzung steckt ja noch in den Kinderschuhen. Reichen die derzeitigen Rahmenbedingungen und Forschungen aus, das Potenzial auszuschöpfen und auch nachhaltig zu gestalten?
Es wird sicher intensiv geforscht und die Europäische Union hat in ihrem derzeit gültigen Forschungsprogramm diese Fragen auch zu einem Schwerpunkt gemacht, aber wir sind vom Ziel noch weit entfernt. Es ist so, dass zum Beispiel die Frage der Verflüssigung von Biogas oder die Verwendung von Stroh- und Holzabfällen oder - allgemeiner gesagt - von Zellulose, noch weit jenseits der Rentabilität ist. Die Herausforderung ist ja nicht nur, etwas technisch möglich zu machen, sondern auch dafür zu sorgen, dass es ökonomisch sinnvoll wird, denn ansonsten macht der Praxiseinsatz ja keinen Sinn.
Welche Rolle spielt hier die EU beim Ausbau und bei der Förderung dieser Technologie?
Die Europäische Union fördert einerseits im Bereich Forschung und Entwicklung, wobei es aber darauf ankommt, dass entsprechende Projekte von den Forschern auch beantragt werden. Die Europäische Union ordnet die Forschung nicht an. Auf der anderen Seite werden insbesondere im Rahmen der ländlichen Entwicklung auch Investitionen in derartige Projekte gefördert. Was die Europäische Union nicht mehr macht, ist, dass der Anbau von solchen Kulturen direkt gefördert wird. Früher hat es eine Förderung gegeben, die aber im Zusammenhang mit dem so genannten Health Check abgeschafft wurde. Auch das Konzept der verpflichtenden Flächenstilllegung wurde außer Kraft gesetzt. Die EU hat sich von einem Konzept zurückgezogen, das die Verwendung von Getreide zum Beispiel für Energieproduktion stärker subventioniert als die Getreideproduktion für die Lebensmittelverwendung.
Die EU hat im März 2009 Nachhaltigkeitskriterien für die Nutzung von Biomasse entworfen. Wie sehen diese aus?
Es handelt sich hier um einen Entwurf, der noch nicht entschieden ist. Diese Kriterien bauen im Wesentlichen darauf auf, dass auf Basis der Vermeidung von CO2-Ausstößen in die Atmosphäre ein Standard eingeführt werden soll. Der Standard ist umso besser, je mehr CO2-Emissionen in der Atmosphäre vermieden werden. An dieser Stelle gibt es unterschiedliche Auffassungen, was man als Mindestlevel verlangen soll. Die Kommission hat 30 Prozent Verminderung vorgeschlagen, in der Zwischenzeit sind eher 50 Prozent in der Diskussion.
Ihre Prognose: Welchen Stellenwert wird die Bioenergie zur Mitte dieses Jahrhunderts in der Welt haben?
Die Bedeutung der Bioenergie wird um ein Vielfaches größer sein als derzeit. Je innovativer die Menschen werden, umso größer wird die Bedeutung.
Franz Fischler war von 1999 bis 2004 EU-Agrarkommissar und engagiert sich jetzt unter anderem als Vorsitzender des Ökosozialen Forums Österreich für die Weiterentwicklung der Bioenergie.
Das Interview führte Gero Rueter.
Redaktion: Mareike Röwekamp