Sechs von zehn Menschen behalten alten Pass
10. August 2018Es ist ein Stück Papier, das so viel wert sein kann: der Pass. Er entscheidet, ob Menschen mit oder ohne Visum in ein Land einreisen können. Gleichzeitig verleiht er Rechte und Pflichten und ist ebenso ein Ausdruck von Heimat. Einige Leute besitzen zwei Pässe und damit mehrere Staatsbürgerschaften. In Deutschland behalten inzwischen sechs von zehn eingebürgerten Menschen laut Statistischem Bundesamt ihre alte Staatsbürgerschaft. Kein eingebürgerter Syrer, Afghane, Marokkaner oder Nigerianer habe im vergangenen Jahr den Pass seines Herkunftslandes abgegeben, berichtet die Tageszeitung "Die Welt" unter Berufung auf die Behörde.
Demnach haben 68.918 von insgesamt 112.211 eingebürgerten Menschen (61,4 Prozent) ihre bisherige Staatsbürgerschaft behalten. Dieser Anteil sei noch nie so hoch gewesen. Laut Bundeszentrale für politische Bildung, die sich ebenfalls auf Daten des Statistischen Bundesamts bezieht, lag der Anteil im Jahr 2016 bei 57,8 Prozent und zehn Jahre zuvor noch bei 51 Prozent. Jedoch sehen einige Länder wie zum Beispiel Iran oder Marokko eine Entlassung aus der Staatsbürgerschaft gar nicht vor. So ist es auch in Afghanistan, Eritrea, Nigeria und auch Syrien.
Viel diskutiertes Thema
Das Thema der doppelten oder mehrfachen Staatsbürgerschaft wird in Deutschland oft intensiv diskutiert. Gegner unterstellen denjenigen, die über zwei Pässe verfügen, mitunter Loyalitätskonflikte. Zudem glauben sie, dass die doppelte Staatsbürgerschaft der Integration schade, weil sie verhindere, dass sich Zuwanderer ganz auf das neue Land einlassen können. Befürworter sehen es genau andersherum: Sie erkennen die Mehrfachbindung als integrationsfördernd an und sehen sie als Mittel, um die Zahl der Einbürgerungen in Deutschland zu steigern. Letzteres bestätigen auch Ergebnisse der Sozialwissenschaft: Die Pflicht, die bisherige Staatsbürgerschaft aufzugeben, galt lange als Hürde für Einbürgerungsanträge in Deutschland.
Jene Einbürgerungen sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die häufigste Form des Erwerbs der deutschen Staatsbürgerschaft. Die Eingebürgerten erhalten ihre deutsche Staatsangehörigkeit auf Dauer. Sie zählen damit nicht mehr zu den Ausländerinnen und Ausländern, auch wenn ihre bisherige Staatsbürgerschaft fortbesteht. 2014 gab es zudem eine wichtige Gesetzesänderung: Bis dato mussten Kinder, die in Deutschland geboren wurden, deren Eltern ihnen aber eine andere Staatsbürgerschaft "vererbt" hatten, sich für einen Pass entscheiden sobald sie 18 Jahre alt wurden. Diese Optionspflicht wurde 2014 aufgehoben - sofern die Kinder in Deutschland aufgewachsen sind. In jenem Jahr stieg auch die Zahl der Eingebürgerten, die ihren alten Pass behielten, um knapp vier Prozentpunkte.
Ausnahmen für EU-Bürger
Für EU-Bürger bestehen indes Ausnahmeregeln. Deshalb behielten 99 Prozent der fast 39.000 Eingebürgerten aus Staaten der Europäischen Union ihren alten Pass. Zudem wird bei Asylberechtigten sowie anerkannten Flüchtlingen bei der Einbürgerung darauf verzichtet, die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft zu verlangen, wie die Bundeszentrale für politische Bildung unter Berufung auf das Innenministerium schreibt. "Wenn Sie aus einem Land kommen, das seinen Bürgern regelmäßig die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit verweigert, nehmen die deutschen Behörden Mehrstaatigkeit hin", heißt es dazu in einer Information der Bundesregierung.
Von den 2017 eingebürgerten Iranern (2689), Syrern (2479), Afghanen (2400), Marokkanern (2390), Libanesen (1294), Tunesiern (1125), Nigerianern (954) und Algeriern (462) gab laut Statistischem Bundesamt im Vorjahr kein einziger seinen alten Pass ab - wie es den Regelungen dieser Länder entspricht. Von den 3480 eingebürgerten Irakern behielten demnach 87,8 Prozent ihre alte Staatsbürgerschaft.
jmw/jj (dpa, rtr, Welt, bpb)