Brexit: Deutscher Pass ist kein Patentrezept
26. September 2017Neben Finanz- und Handelsfragen sind die Rechte der Bürger ein entscheidendes Thema bei den Trennungsgesprächen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union. Die Fortschritte sind immer noch kleiner, als viele gehofft hatten. Währenddessen wächst die Sorge unter vielen der drei Millionen EU-Bürger im Vereinigten Königreich und den 1,2 Millionen Briten, die in der EU leben und arbeiten.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat versucht, die 100.000 Briten in Deutschland zu beruhigen, dass keiner heimgeschickt werde, aber angesichts der Bundestagswahlen und Koalitionsverhandlungen sind die künftigen Bedingungen alles andere als geklärt. Merkels Rat? "Bewerben Sie sich für die deutsche Staatsbürgerschaft", riet sie einem Briten, "wenn Sie ganz sicher gehen wollen".
Rechte als EU-Bürger behalten
In Deutschland bemühen sich viele Briten um die Staatsbürgerschaft, die sie offenbar als Versicherungspolice sehen, nicht nur, um im Land bleiben zu können, sondern auch um die größere Palette an Rechten zu behalten, die sie als EU-Bürger genießen. Die deutsche Statistikbehörde veröffentlichte im Juni Zahlen, die einen "außergewöhnlichen Anstieg" zeigten bei den Briten, denen 2016 der deutsche Pass bewilligt wurde.
Die Zahl aller Einbürgerungen stieg im Vergleich zu 2015 um 2,9 Prozent. Die Anzahl der Briten aber, denen die deutsche Staatsbürgerschaft bewilligt wurde, schnellte um 361 Prozent empor auf 2865 Fälle. Obwohl die Behörde die Motive der Bewerber nicht eigens ermittelt, notierte sie doch, dass der plötzliche Anstieg ganz offensichtlich mit dem Brexit zusammenhänge.
Für diejenigen, die in Deutschland sesshaft sind, ist die Bewerbung ein Verwaltungsakt, aber die Anforderungen sind nicht allzu lästig: Bewerben kann sich, wer seit acht Jahren im Land lebt (oder sieben, wenn man einen deutschsprachigen Integrationstest absolviert hat) oder seit drei Jahren, wenn man seit zwei Jahren mit einem oder einer Deutschen verheiratet ist. Weitere Voraussetzungen sind: der Nachweis von Sprachkenntnissen, finanzielle Unabhängigkeit, ein sauberes Strafregister und eine Gebühr von 255 Euro.
Für Duncan Ballantyne-Way (36), Herausgeber eines Online-Kunstmagazins, der mit seiner deutschen Frau und seinen Kindern in Berlin lebt, waren diese Voraussetzungen kein großes Problem. Aber er bezweifelt, dass er sich um den deutschen Pass beworben hätte, wenn es keinen Brexit gäbe: "Genau wie andere Europäer, die in Großbritannien leben, schon vorher die Möglichkeit hatten, eine ständige Aufenthaltserlaubnis oder einen Pass zu beantragen - warum sollte man das alles durchlaufen, wenn es nicht nötig ist? Der Brexit beschleunigt den Prozess, weil Menschen sicher sein wollen, dass ihnen nicht der Weg abgeschnitten wird, dass sie nicht ohne es zu bemerken, ihre Optionen verlieren."
Zeitlimit für doppelte Staatsbürgerschaft
Nick Wolfe (29), Rechtsanwalt in München, bestätigt, dass auch seine kürzliche Bewerbung nur durch den Brexit beschleunigt wurde - und durch das enge Zeitfenster: "Wenn man die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben will, muss man seine bisherige aufgeben - es sei denn, man ist EU-Bürger. Die zuständigen Ämter hier sagen, wenn man tatsächlich die deutsche Staatsbürgerschaft vor März 2019 erhält, ist alles in Ordnung. Wenn man sie nachher bekommt, muss man die britische Nationalität aufgeben, um die deutsche zu erhalten."
Wenn es soweit käme, fände Wolfe es schwer, seine britische Staatsbürgerschaft aufzugeben: "Es gibt da eine sehr emotionale Verbindung. Darum ist es natürlich am besten, wenn man beide Nationalitäten haben kann."
Tatsächlich läuft die Zeit für eine Bewerbung um die Staatsbürgerschaft aus. Die Stadt München erhielt 2017 in den ersten sechs Monaten 271 Bewerbungen und gab 88 Pässe aus. Aber jede lokale Behörde behandelt Bewerbungen anders. Anforderungen und Bearbeitungszeiten können sich deutlich unterscheiden. Mancherorts warten Bewerber allein neun Monate auf einen ersten Termin und weitere Monate auf einen Termin, bei dem sie ihre Bewerbung einreichen können. Anschließend dauert die Bearbeitung noch einmal sechs bis 12 Monate. Da ist die Deadline für die doppelte Staatsbürgerschaft im März 2019 schnell erreicht.
"Es ist wirklich kompliziert und es gibt niemanden, der einen verbindlich hindurchführt", sagt Nick Wolfe: "Also ist man ihnen praktisch ausgeliefert."
Hoffen, dass die Vernunft siegt
Und was ist, wenn man bis jetzt noch nicht einmal berechtigt ist? Am Brexit-Tag wird Adrian Robinson (50), Projekt-Käufer aus Birmingham, erst mit sechs Jahren und neun Monaten Aufenthalt in Deutschland registriert sein, mehr als ein Jahr weniger als die erforderlichen acht Jahre. In seinem Beruf muss er viel reisen. Er macht sich Sorgen darüber, ob er künftig noch genauso unkompliziert durch Europa reisen kann wie bisher.
"Was auch immer Frau Merkel darüber sagt, die Rechte von Menschen zu garantieren, in Deutschland bleiben zu können. Das muss nichts darüber aussagen, wie es funktionieren wird, die EU an einem anderen Ort zu betreten oder zu verlassen", sagt er.
Robinson ist schockiert bei der Vorstellung, auf seine britische Nationalität verzichten zu müssen, wenn er sich erst nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU bewirbt: "Emotional regt es mich wirklich auf, dass wir auf diesen Weg gezwungen werden. Ich kann nur hoffen, dass die Vernunft siegt und man nicht politisch mit uns spielt."
Briten im Ausland als Faustpfand
Ingrid Taylor leitet den bayerischen Zweig der "Briten in Deutschland"-Kampagne, die zusammen mit "Briten in Europa" die britischen Staatsbürger in der EU vertritt. Sie wartet auf den Entscheid zu einem Einbürgerungsantrag, den sie im vergangenen November eingereicht hat.
Mit beißender Kritik spricht sie über die mangelnde Unterstützung durch die britische Regierung: "Weil wir entrechtet sind, kümmert sich niemand um uns", sagt sie in Anspielung auf die Tatsache, dass Briten nach 15 Jahren im Ausland ihr Wahlrecht verlieren.
Aber eine schnelle Einbürgerung kann nicht die einzige Lösung sein, verlangt Jane Golding, Vorsitzende der Briten in Europa: "Die Staatsbürgerschaft, der Pass, ist kein Patentrezept für alle Probleme. Was wir als EU-Bürger hatten, ist ein komplexes Bündel von Rechten: das Recht auf freie Bewegung, auf Niederlassung, auf gleiche Behandlung, auf Arbeit und das Recht, dass unsere Qualifikationen anerkannt werden, alle möglichen Rechte auf Pensionszahlungen und Gesundheitsversorgung. Man braucht all diese Rechte, um leben und arbeiten zu können und ein Leben in einem anderen Land zu haben."
Für Golding ist es höchste Zeit: "Der Status von Briten in der EU als Faustpfand muss aufhören, Rechte müssen garantiert werden." Sie betont: "Wir sind eine begrenzte Zahl von Menschen, die in gutem Glauben und mit legitimen Erwartungen, dachten, dass ihre Rechte ein Leben lang gelten. Was wir fordern ist, dass unsere Rechte, unser komplexes Bündel an Rechten, einfach garantiert werden."
Da die Ausstiegsvereinbarung weit länger braucht als erhofft, verlangen Golding und andere, dass die Bürgerrechte für den Rest der Brexit-Verhandlungen geschützt werden: "Weil wir Menschen sind. Es geht um die Leben von Menschen. Wir haben die ganze Zeit in Unsicherheit gelebt."