Assad startet neue Militäroffensive
11. Juni 2011Die syrische Armee hat in der Provinz Idlib im Nordwesten des Landes einen umfangreichen Vormarsch gegen Regimegegner begonnen. Das syrische Staatsfernsehen sprach am Freitag (10.06.2011) von einer Operation gegen "bewaffnete Banden" in der grenznahen Kleinstadt Dschisr al-Schogur. Dort seien Anfang der Woche 120 Soldaten und Polizisten getötet worden. Daraufhin hatte das Regime mindestens 15.000 Soldaten in die Nähe der Stadt beordert, die als Hochburg der Regimegegner gilt. Zahlreiche Bewohner der 50.000-Einwohner-Stadt waren am Donnerstag vor den herannahenden Truppen in die Türkei geflohen. Die Stadt soll inzwischen fast menschenleer sein.
Das Regime macht Extremisten für die Vorfälle verantwortlich. Regimegegner aus dem Bezirk hatten dagegen berichtet, die Soldaten und Polizisten seien von Angehörigen der Sicherheitskräfte erschossen worden, weil sie sich geweigert hätten, gewaltsam gegen Demonstranten vorzugehen. Die Oppositionellen schilderten auf ihren Internetseiten, die Armee sei am Freitag mit Panzern in den Ort eingedrungen. Die Telefonverbindungen seien gekappt. Ein Aktivisten-Netzwerk berichtete, bei dem Einsatz seien mehrere Menschen getötet worden.
Menschen flüchten vor dem Militär
Der Flüchtlingsstrom reißt derweil nicht ab. In den vergangenen Tagen waren aus Angst vor der Militäroffensive rund 3000 Menschen aus der Region in die benachbarte Türkei geflüchtet, wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Aktivisten warnten, dass sich unter die Flüchtenden auch einige Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes gemischt hätten.
Angesichts der Flüchtlingswelle errichtete der türkische Rote Halbmond bei Altinözü in der Provinz Hatay eine dritte Zeltstadt, die bis zu 5000 Menschen Platz bieten soll. Bisher werden 100 verletzte Flüchtlinge aus Syrien in Krankenhäusern der türkischen Grenzprovinzen behandelt.
Zahlreiche Tote bei Freitags-Protesten
Zehntausende Menschen gingen nach den Freiheitsgebeten in etlichen Städten abermals auf die Straßen, um gegen den Staatschef Baschar al-Assad und die regierende Baath-Partei zu protestieren. Die Proteste standen diesmal unter dem Motto "Freitag der Stämme".
Nach Berichten von Augenzeugen wurden mindestens 22 Menschen getötet. Allein in der Stadt Maaret al-Numan in der nordwestlichen Provinz Idleb gab es laut dem Syrischen Beobachtungszentrum für Menschenrechte in London elf Tote, als Sicherheitskräfte während einer Demonstration in die Menge schossen.
Rotes Kreuz fordert Zugang zu Verletzten
Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) forderte Syrien auf, Zugang zu Verletzten und Verhafteten zu gewähren. Das Rote Kreuz habe keinen "sinnvollen Zugang" zu jenen Landesteilen erhalten, an denen es zu Zusammenstößen mit Truppen des Regimes gekommen sei, sagte IKRK-Präsident Jakob Kellenberger. Menschenrechtsorganisationen zufolge sind seit Beginn der regierungskritischen Demonstrationen mehr als 1300 Menschen bei Einsätzen von Polizei und Militär getötet worden.
Die Aktivisten veröffentlichten in ihren Internetforen ein neues Video, auf dem ein Mann in Uniform zu sehen ist, der erklärt, er sei nicht mehr bereit, in der syrischen Armee zu dienen. Dies begründet er mit den Angriffen auf unbewaffnete Demonstranten: "Die freie syrische Armee soll gegen den Feind kämpfen und nicht gegen das wehrlose Volk", sagt er. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana trat diesem Bericht entgegen, indem sie den "Augenzeugenbericht" eines Mannes veröffentlichte, der behauptete, er sei von jungen Männern in der Provinz Idlib gezwungen worden, ein entsprechendes Video aufzunehmen.
Erdogan rückt von Assad ab
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan geht mittlerweile zunehmend auf Distanz zum Regime in Damaskus. Erdogan, der Assad mehrfach vergeblich zu grundlegenden Reformen und einer friedlichen Lösung aufgerufen hatte, nannte die Niederschlagung der Proteste eine "Barbarei" und warf Assad vor, die Lage im Land auf die leichte Schulter zu nehmen. Einige Bilder, die aus Syrien kämen, seien "widerwärtig", sagte er dem türkischen Sender ATV.
Für die Türkei, die eine fast 900 Kilometer lange Grenze zu Syrien hat, sei der Konflikt in dem Nachbarland wie eine innere Angelegenheit, sagte Erdogan. Auch könne sein Land Flüchtlingen, die sich vor Gewalt retten wollten, nicht einfach die Tür zusperren. Beide Länder pflegten in der Vergangenheit enge Beziehungen zueinander.
Autorin: Naima El Moussaoui (dpa, afp, rtr, dapd)
Redaktion: Reinhard Kleber/Ursula Kissel