Argentinier tragen Unmut auf die Straße
6. April 2017Der soziale Konflikt in dem südamerikanischen Land gewinnt an Schärfe und wird zunehmend auf den Straßen ausgetragen. Laut dem Beratungsunternehmen Diagnóstico Político fanden allein im vergangenen Februar 518 Proteste statt, die meistens von Verkehrsblockaden begleitet waren. Der wirtschaftliche Aufschwung in Argentinien schreitet nur langsam voran. 2016 stiegen die Lebenshaltungskosten um mehr als 40 Prozent. Von sinkenden Reallöhnen betroffen, hat die Bevölkerung bisher noch nicht von den Anpassungsmaßnahmen der Regierung Mauricio Macris profitieren können.
Die Politologin Mariana Llanos vom GIGA-Institut in Hamburg verweist auf die vielen Beispiele in der jüngeren argentinischen Geschichte, bei denen die sozialen Massenproteste Regierungen zu Fall brachten und mehrere Präsidenten sich gezwungen sahen, frühzeitig abzudanken. Llanos glaubt, dass viele Argentinier befürchten, solche Szenarien könnten sich wiederholen, sobald die sozialen Proteste auf die Straße getragen werden.
Rückendeckung für Macri
Angesichts des Generalstreiks, zu dem der argentinische Gewerkschaftsverbund CGT für diesen Donnerstag (06.04.2017) aufgerufen hat, gingen zahlreiche Bürger bereits vergangenes Wochenende erneut auf die Straße. Das Besondere daran: Dieses Mal demonstrierten sie für die Regierung. „Die Demo vom vergangenen Samstag verhalf der Regierung wieder in die Offensive zu gehen und sich besser zu positionieren", sagt die Politikwissenschaftlerin. Heinz Mewes, ehemaliger Volkswirt der Dresdner Bank Lateinamerika und Gründer von LatAmConsult, ist überzeugt, dass „die Bevölkerung verstanden hat, dass die Regierung auf dem richtigen Weg ist, dass die Maßnahmen notwendig sind und dass sie auf lange Sicht erfolgreich sein werden".
Dieser sogenannte „Marsch für die Demokratie", zu dem über die sozialen Netzwerke aufgerufen wurde, hat dem Präsidenten Mauricio Macri, dessen Beliebtheitswerte in letzter Zeit sanken, eine Verschnaufpause verschafft. Einer Umfrage der Consultingfirma Management & Fit zufolge, die Mitte März veröffentlicht wurde, gibt es zum ersten Mal mehr Menschen, die ein negatives Image von ihm haben (44,2%), gegenüber jenen, die positiv über ihn denken (40,2%). Dazu kommt, dass 48,3 Prozent der Befragten die wirtschaftliche Situation des Landes für die kommenden Monate pessimistisch bewerten.
Ein wichtiges Wahljahr
Mewes hingegen ist positiv gestimmt: „Das Land befindet sich in einer schwierigen Situation, aber daran ist nicht die jetzige Regierung Schuld. Die Maßnahmen, die der Präsident in die Wege geleitet hat, sind besonnen und notwendig, und man sieht bereits erste Ergebnisse".
Wenngleich die Proteste angesichts der schlechten sozialen Lage verständlich sind, sieht Mewes auch eine politische Motivation dahinter: „Im Oktober finden in Argentinien Parlamentswahlen statt, daher versuchen die Gewerkschaften jetzt, Druck auf die Regierung auszuüben, damit mehr soziale Programme in Angriff genommen werden". Gleichzeitig warnt der Volkswirt davor, dass kaum Spielraum für solche Programme besteht. Auch Mariana Llanos ist der Meinung, dass sich in diesem wichtigen Wahljahr für Argentinien politische Beweggründe mit echten Forderungen nach mehr Gehalt mischen.
Der Lehrerkonflikt
Die soziale Unzufriedenheit ist in vielen Bereichen spürbar, angefangen bei der Lehrerschaft, die sich im Dauerstreik befindet. „Im Fall des Lehrerkonflikts hat die Regierung bisher auf Konfrontation anstelle von Verhandlungen gesetzt. Das ist eine gewagte Wette, da die Schüler in den Provinzen seit Wochen nicht mehr zur Schule gehen können", sagt die Politikwissenschaftlerin vom GIGA-Institut.
Laut Mewes wartet eine „titanische Aufgabe" auf die Regierung Macris. Die Sanierung der Staatsfinanzen ist seiner Meinung nach jedoch das dringlichste Problem, da nur so die Inflation gesenkt und das Wachstum angekurbelt werden können. Der Finanzmarktexperte attestiert der argentinischen Regierung diesbezüglich eine gute Note: „Aus europäischer Sicht beeindruckt es, dass die notwendigen Maßnahmen in Argentinien so schnell umgesetzt wurden". Das wirtschaftliche Vertrauen in das südamerikanische Land sei trotz der angespannten sozialen Lage größer als noch vor einigen Monaten.