Maroder Charme und große Torten
6. April 2017Der Fahrer fährt Schlangenlinien. Wie bei einer Rallye zieht er auf der Autobahn plötzlich nach links oder rechts. Wir sind auf dem Weg von Buenos Aires nach Santa Fe und einigermaßen entsetzt über die abrupte Fahrweise. Doch Alejandro zuckt nur mit den Schultern und zeigt nach draußen. Riesige Schlaglöcher tauchen plötzlich auf. Die LKWs vor uns können nur mit Mühe ausweichen. Ein mit Milch beladener Lastwagen hat es wohl nicht mehr geschafft und liegt im Straßengraben. Wer auf der Suche nach dem Investitionsstau in Argentinien ist, kann ihn hier finden.
Zwölf Jahre Kirchner-Regierung haben das Land in einigen Bereichen regelrecht verrotten lassen. So sind die Bürgersteige der argentinischen Hauptstadt für ältere oder behinderte Menschen nur bedingt zu empfehlen. Herausgebrochene Steine oder plötzlich auftauchende große Löcher machen das Gehen zu einem Hindernislauf. Es empfiehlt sich, Kinder an die Hand zu nehmen.
Verrottete Straßen
140 Kilometer vor Santa Fe besuchen wir das Dorf Colonia Belgrano. Es liegt mitten in der Pampa, der argentinischen Steppenlandschaft. Die Rinder grasen auf scheinbar unendlichen Weiden. In der Ferne sind Sojafelder zu sehen. 1400 Einwohner hat die Colonia Belgrano. Die meisten arbeiten in der Landwirtschaft.
Daniel Tron sieht nicht sehr glücklich aus. Er besitzt 260 Hektar Land, züchtet Kälber, baut Soja und Getreide an. Der Mittfünfziger betreibt den Betrieb in der fünften Generation. "Die Preise sind zu niedrig", erzählt seine Frau Ariana. "Um den Betrieb am Laufen zu halten, müssen wir einiges einkaufen, zum Beispiel Pflanzenschutzmittel. Aber alles ist so teuer. Die Inflation liegt bei rund 40 Prozent. Das können wir nicht verdienen."
Ihre Hoffnungen ruhten auf der Regierung von Präsident Mauricio Macri, die vor anderthalb Jahren mit zahlreichen Versprechungen angetreten ist. Marktkontrollen sollten aufgehoben und Investitionen gefördert werden. Unternehmerisches Handeln soll sich wieder lohnen, versprach der Präsident. Auf dem Dorf ist davon nicht viel zu spüren. "Es dauert zu lange", stöhnt Ariana Tron. "Bisher hat sich kaum etwas verbessert."
Keine Sehnsucht nach den alten Zeiten
Nach den alten Zeiten sehnt sie sich noch nicht zurück, aber Macri läuft allmählich die Zeit davon. Denn die Argentinier werden ungeduldig. 30 Prozent gelten offiziell als arm. Dass dies bekannt ist, liegt auch daran, dass Statistiken inzwischen korrekt aufbereitet werden. Macris hatte das für seine falsche Zahlen berüchtigte Amt für Statistik vollständig umgebaut. Mit den neuen Wahrheiten muss nun auch seine Regierung leben.
Ein weitere Reform ist der umstrittene Abbau von Subventionen, unter anderem im Energiebereich. "Strom kostete nicht mehr als ein Stück Pizza. Da wurde natürlich auch viel verschwendet. Energie sparen war nicht nötig", erzählt Carolina Iglesias. Die junge Argentinierin hat im Ausland studiert und ist vor sechs Jahren wieder nach Buenos Aires gekommen. Sie lebt gerne hier, hat eine feste Arbeit Im Bereich Marketing, klagt aber auch über die hohen Stromrechnungen. Sieben Mal mehr als noch vor zwei Jahren, muss jetzt bezahlt werden. "Eigentlich ist es immer noch günstig", sagt Iglesias, "aber unsere Löhne steigen doch nicht so schnell". Und dann wundert sie sich über die vielen Armen in ihrem Wohnviertel. "Immer mehr Menschen schlafen auf der Straße, das hat es früher nicht gegeben."
Warten auf die Wende zum Positiven
Vielen Argentiniern ist klar, dass die Regierung Macri vieles nicht so schnell umsetzen kann wie geplant und dass das Erbe von zwölf Jahren Regierung Kirchner viel schwerer war als gedacht. Die Wende zum Positiven ist noch nicht da, besonders nicht bei den einfachen Menschen.
Ganz anders sieht es in der Wirtschaft aus. Hier herrscht Aufbruchsstimmung. Barbara Konner, Vizepräsidentin der Deutsch-Argentinischen Industrie- und Handelskammer, kann sich vor Anfragen kaum retten. Die Besuche von Delegationen aus Deutschland haben um 30 Prozent zugenommen. Es sind Unternehmer, die schauen wollen wo man investieren kann.
"Die Torte ist größer geworden und alle wollen mitessen", sagt Konner schmunzelnd und sieht positive Tendenzen. "Die Wirtschaft wird in diesem Jahr um drei Prozent wachsen. Das ist wahrscheinlich erst der Anfang. Es wird wieder investiert, auch in Energieeffizienz und im Agrarbereich, in Logistik und Transport. Es läuft."
Kluft zwischen Arm und Reich
Auch sie sieht die Kluft zwischen Arm und Reich kritisch. "Wir hatten einen Reallohnverlust von sechs bis acht Prozent im vergangenen Jahr, weil die Inflation so hoch ist."
Tatsächlich ist ein Liter Milch mit rund 1,20 Euro in Buenos Aires teurer als in Berlin. Die Lohnverhandlungen sind deshalb hart, die Verteilungskämpfe nehmen zu. Für diesen Donnerstag haben zahlreiche Gewerkschaften zum Generalstreik aufgerufen. Dann fahren keine U-Bahnen und Busse, Flugzeuge müssen am Boden bleiben. Das Regieren wird für den argentinischen Präsidenten Mauricio Macri nicht einfacher.