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Argentinien: Der Dollar als Rettungsanker?

Tobias Käufer Buenos Aires
12. Mai 2022

Argentinien leidet wieder einmal unter einer hohen Inflation. Die Opposition bringt nun eine alte, neue Idee ins Spiel: Die Dollarisierung. Damit ist ein wirtschaftspolitischer Kulturkampf eröffnet.

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Die Reichen sollen die Schulden des Landes zahlen: Plakat in Buenos Aires
Die Reichen sollen die Schulden des Landes zahlen: Plakat in Buenos Aires Bild: Tobias Käufer/DW

Nicht nur die Kaffeemaschine im kleinen Bistro von Fernando Alvarez auf der Avenida Libertad in Buenos Aires ist für die tägliche Arbeit unverzichtbar geworden. Auch der gute alte Tintenstrahldrucker. Mit dem druckt er alle zwei Wochen die neuen Preise für den Espresso oder das Mittagessen aus. "Es ist ein ständiger Wettlauf", sagt der Café-Besitzer im Gespräch mit der DW. Und einer, den er eigentlich nicht gewinnen kann. Die Preise stiegen im März um über 55 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der schlechteste Wert seit April 2002 in einem Land mit ohnehin chronischer Inflation.

Präsident geht in die Offensive

In der Kritik steht die aktuelle und heftig zerstrittene Regierung um den peronistischen Präsidenten Alberto Fernandez und seine einflussreiche Stellvertreterin Cristina Kirchner. In dieser Woche trat Fernandez bei einem Deutschland-Besuch die Flucht nach vorne an. Er kritisierte die verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland in Folge des Überfalls auf die Ukraine. Diese würden die gesamte internationale Gemeinschaft betreffen und zu mehr Armut und Hunger führen: "Die Ernährungssicherheit vieler Menschen auf dem amerikanischen Kontinent ist gefährdet", sagte Fernandez in einem Interview mit der DW in Berlin. Wirtschaftskrise, Inflation und bisweilen auch die Knappheit bestimmter Lebensmittel begleiten Argentinien allerdings bereits seit Jahren und nicht erst seit Februar 2022.

Auch das ist Inflation: Weil sich sparen nicht lohnt oder nicht immer getauscht werden kann, geben die Argentinier sofort aus: Zum Beispiel in Restaurants.
Auch das ist Inflation: Weil sich sparen nicht lohnt oder nicht immer getauscht werden kann, geben die Argentinier sofort aus: Zum Beispiel in Restaurants.Bild: Tobias Käufer/DW

Hoffnungsträger oder Scharlatan?

Fernandez' Kritiker sehen das ohnehin anders. Einer von ihnen ist Javier Milei, ein zunehmend populärer Wirtschaftswissenschaftler, der mit eingängigen, einfachen Erklärungen komplexe Sachverhalte in Talkshows zusammenfasst. Das bringt ihm den Vorwurf des Populismus ein. So richtig einzuordnen ist Milei nicht, einige nennen ihnen einen Anarcho-Kapitalisten, andere einen Marktliberalen wieder andere den argentinischen Donald Trump. Mileis liberale Bewegung kommt laut Umfragen auf rund 22 Prozent ist jetzt aus dem politischen Spektrum nicht mehr wegzudenken.

Wirtschaftspolitischer Kulturkampf

Ausgerechnet im Heimatland des Papstes scheint sich eine Art wirtschaftspolitischer Kulturkampf anzudeuten: Der "Befreiungsökonom" Milei gegen den Befreiungstheologen Franziskus und dessen populäre Armenpriester. Die einen glauben, der Kapitalismus befreie von der Armut, die anderen sehen den Kapitalismus als Ursache allen Übels. Nachzulesen ist das auf Plakaten in Buenos Aires, auf denen Parolen stehen wie "Die Reichen sollen die Schulden des Landes zahlen". (siehe Artikelbild) 

Immer mehr junge Menschen scheinen den provokanten Thesen zu folgen. Angesichts einer Armutsrate von zuletzt bis zu 40 Prozent und einer hohen Jugendarbeitslosigkeit verfangen in den Armenvierteln die bisweilen sozialistisch angehauchten Versprechungen der Regierung immer weniger vor. Milei hingegen schlägt eine Dollarisierung der argentinischen Wirtschaft vor, um sich vom chronisch schwachen Peso zu befreien. "Wir müssen unsere Wirtschaft entfesseln, sie befreien", lautet sein Credo.

Grafitti in Buenos Aires: Tu etwas fürs Vaterland und töte einen Liberalen (sinngemäß)
Grafitti in Buenos Aires: Tu etwas fürs Vaterland und töte einen Liberalen (sinngemäß)Bild: Tobias Käufer/DW

Keine einfachen Lösungen

Ein gutes Wahlkampfthema, aber auch gefährlich, sagt der Wirtschaftsberater und Argentinien-Experte Carl Moses in Buenos Aires im Gespräch mit DW. Denn bei einfach klingenden Lösungen liege das Problem oft im Detail. Und der liege im Fall Argentiniens beim Verzicht auf den "Münzgewinn", der dem Staat beim Drucken von Geld entsteht. "Für jedes Land wäre das schmerzhaft, aber für ein Hochinflationsland wie Argentinien ganz besonders", sagt Moses. In Argentinien werde der Münzgewinn bezeichnenderweise "Inflationssteuer" genannt und ohne diese Steuer wäre der Staatshaushalt in den letzten Jahren nicht zu finanzieren gewesen. Dabei handelt es sich um den von der Zentralbank erzielten Gewinn, der durch die Ausgabe von Zentralbankgeld entsteht.

Dieser Packen Pesos ist umgerechnet 180 Euro wert
Dieser Packen Pesos ist umgerechnet 180 Euro wertBild: Tobias Käufer/DW

"Seit zehn Jahren schwankt die Inflationsrate in Argentinien zwischen 20 und 60 Prozent. Jetzt droht sie allerdings zu eskalieren", sagt Moses. Andererseits: Argentinien sei im Grunde gedanklich schon seit langer Zeit "dollarisiert". Die Argentinier rechnen und planen in Dollar. Der Peso diene lediglich für tägliche Transaktionen, ansonsten ist die Landeswährung weitgehend unbedeutend. Ein Wahlkampfthema für den Urnengang im nächsten Jahr scheint damit schon gefunden.