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Alte Schrift im Iran bleibt rätselhaft

Katrin Ewert
16. August 2022

Die elamische Strichschrift galt lange Zeit als unlesbar. Nun behauptet ein Archäologen-Team, es habe das Schriftsystem nahezu entziffert. Doch andere Forscher bezweifeln das.

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Archäologische Stätte Susa im Iran
Susa im Südwesten Irans: In der Nähe dieser Ruinen haben Forscher die elamische Strichschrift entdecktBild: Vivienne Sharp/Heritage-Images/picture alliance

Rauten und Quadrate mit Punkten und Strichen versehen – auf diese geometrischen Schriftzeichen stießen französische Wissenschaftler bereits im Jahr 1903, als sie in der Stadt Susa im südwestlichen Iran Ausgrabungen vornahmen.

Schnell war Forschenden klar, dass es sich – neben der mesopotamischen Keilschrift, den ägyptischen Hieroglyphen und der Indus-Schrift – um eine der vier ältesten Schriften der Menschheit handelte. Das Volk der Elam nutzte sie in der Bronzezeit im späten 3. und frühen 2. Jahrtausend vor Christus.

Die mysteriösen Zeichen bekamen daher den Namen "Linear Elamite" oder auf Deutsch "elamische Strichschrift". Doch lange war unklar, wie man die Rauten und Quadrate lesen musste und was sie bedeuteten. Nur wenige Zeichen konnten eindeutig interpretiert werden.

Silberbecher geben Hinweise auf antikes Schriftsystem

Nun gehen der französische Archäologe François Desset und sein Team davon aus, die antike Schrift nahezu entschlüsselt zu haben. Als Grundlage dienten ihnen acht Silberbecher, auf denen sich besonders viele der Schriftzeichen aneinanderreihen.

"Die Becher befanden sich lange in Besitz von einem privaten Sammler und wurden erst vor kurzem der Forschung zugänglich gemacht", erklärt Desset, der an der Universität von Teheran im Iran und am Forschungslabor Archeorient in Lyon, Frankreich, arbeitet.

Ein Becher mit Elamischer Strichschrift
Einer der Becher, die Desset und sein Team zur Entzifferung nutztenBild: François Desset/Mahboubian collection

Wie lassen sich alte Schriften überhaupt entziffern?

Unbekannte Schriftzeichen versuchen Wissenschaftler zu entschlüsseln, indem sie zum Beispiel gleiche oder ähnliche Texte in verschiedenen Schriftsystemen vergleichen. So können sie die Zeichen in der unbekannten Schrift von der bekannten ableiten.

Stellen wir uns zum Beispiel vor, wir hätten einen Text auf Deutsch über Könige und direkt darunter die Übersetzung auf Chinesisch.

In der deutschen Version kommen sehr oft die Wörter "König Karl" vor. Finden wir nun in der chinesischen Version Zeichenabfolgen, die sich an den gleichen Stellen wiederholen, könnten das die richtigen Zeichen für "König Karl" auf Chinesisch sein.

So ähnlich ging das Forscherteam um Desset mit den Silberkrügen vor.

Auf den Bechern befinden sich Inschriften über die damaligen Könige und Herrscher in derselben Sprache (Elamisch), aber in zwei verschiedenen Schriftsystemen: die bereits bekannte mesopotamische Keilschrift und die unbekannte elamische Strichschrift.

Schritt für Schritt konnte das Team so die Zeichen ableiten.

"Die Becher waren der Schlüssel, den wir brauchten, um die Schrift zu entziffern", sagte Desset der DW. "Als Ergebnis können wir nun 72 Zeichen lesen." Lediglich vier Zeichen seien noch unbekannt, so der Forscher.

Überraschende Entdeckung?

Das eigentlich Überraschende sei jedoch die Art des Schriftsystems. Forschende gehen davon aus, dass die elamische Strichschrift eine Mischung aus phonographischer und logographischer Schrift ist.

Phonographische Schriftzeichen oder "Lautzeichen" sind einzelne Buchstaben und Silben; logographische Schriftzeichen oder "Wortzeichen" bedeuten wiederum ein ganzes Wort. Ein einfaches Beispiel für letztere sind unsere Ziffernzeichen: "1" steht etwa für "eins". 

"Am Ende meiner Analyse stellte ich fest, dass die elamische Strichschrift eine rein phonographische Schrift ist", sagt Desset. "Das macht sie zur weltweit ältesten dieser Art – und verändert unseren Blick auf die gesamte Entwicklung der Schrift."

Entzifferung wird kritisch gesehen

In der Forschungsgemeinschaft stößt Dessets Entdeckung jedoch auf Kritik.

"Bis klare Beweise vorliegen, gilt die elamische Strichschrift als nicht entschlüsselt", sagt Michael Mäder im DW-Interview. Mäder ist Sprachwissenschaftler an der Universität Bern und wissenschaftlicher Leiter der schweizerischen Alice-Kober-Gesellschaft für die Entzifferung antiker Schriftsysteme. Bislang gebe es nur 15 Schriftzeichen mit gesicherter Aussprache und 19 plausible Vorschläge.

"Es kann durchaus sein, dass durch Dessets Arbeit weitere Zeichen auf der Liste der Vorschläge hinzukommen", so Mäder. "Aber dass wir für alle Zeichen Funktion und Aussprache kennen, ist erstmal nur eine Behauptung."

Auch an Dessets Aussage, die Schrift sei rein phonographisch, hat Michael Mäder "erhebliche Zweifel": "Mathematische Analysen zeigen, dass die elamische Strichschrift nur zu 70 Prozent aus Lautzeichen besteht", sagt der Sprachwissenschaftler. Der Rest seien Wortzeichen.

Ob Desset Recht hat oder nicht, bleibt erstmal offen. Im Oktober 2022 treffen sich Expertinnen und Experten für antike Schriften auf einer Fachkonferenz in Norwegen und werden über die Entdeckung diskutieren.