Fast 2000 Jahre alte Bibel-Fragmente gefunden
16. März 2021Am Toten Meer haben israelische Forscher jahrtausendealte Fragmente einer Bibel-Schriftrolle gefunden. Das teilte die nationale Altertumsbehörde Israels am Dienstag mit. Die Fundstücke stammen demnach aus der Zeit um 132 nach Christus und gehören damit zu den ältesten jemals gefundenen biblischen Fragmenten.
Der spektakuläre Fund wurde auf ebenso abenteuerliche Weise entdeckt, in der sogenannten "Höhle des Grauens" im Wadi Nachal Chever in der Nähe von En Gedi. Sie befindet sich inmitten einer Felswand, rund 80 Meter unter dem Kliff und kann nur erreicht werden, indem man sich abseilt.
Schriften tragen zur Aufklärung über biblischen Text bei
Die neu entdeckten Bibel-Fragmente seien eine sehr große Sensation, sagt Wolfgang Zwickel, Professor für Altes Testament und Biblische Archäologie an der Universität Mainz, gegenüber der DW. "Der neue Fund hilft sehr dabei, den ursprünglichen Bibeltext noch einmal neu zu bedenken." Da man anders als bei Cäsar oder Cicero bisher so gut wie keine Bibeltexte aus den antiken Zeiten habe, trage der Fund sehr zur Aufklärung des antiken biblischen Textes bei. Die Fragmente stammen laut der israelischen Behörde aus der Zeit des Bar-Kochba-Aufstands, der im Jahre 132 nach Christus ausgebrochen und drei Jahre später niedergeschlagen worden war. Es war ein jüdischer Aufstand gegen das Römische Reich unter Rebellenführer Bar Kochba. Die "Höhle des Grauens", in der nun die Bibel-Fragmente gefunden wurden, verdankt ihrem Namen genau diesem Aufstand - in ihr wurden 40 Skelette von Schutzsuchenden aus dieser Zeit gefunden.
Eine ähnlich spektakuläre Entdeckung war zuletzt vor rund 60 Jahren gemacht worden. Im Jahr 1947 hatten Ziegenhirten in einer Wüste am nördlichen Ende des Toten Meeres in Höhlen die sogenannten Qumran-Rollen gefunden, die zu den wichtigsten archäologischen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts gehören. Diese waren vorwiegend in hebräischer Sprache geschrieben.
Griechische Übersetzung der Bibel
Die neu entdeckten Bibel-Fragmente sind auf Griechisch verfasst. "Es handelt sich nicht um einen hebräischen Text, sondern um einen griechischen Text, er wurde also schon übersetzt. Das liegt daran, dass das Griechische damals die Weltsprache des Mittelmeerraums war, Hebräisch konnte außer den Schriftgelehrten fast niemand mehr in dieser Zeit", erklärt Wolfgang Zwickel.
Laut der israelischen Behörde sind in dem Fund Auszüge aus dem Zwölfprophetenbuch enthalten, etwa aus den Büchern Sacharja und Nahum. Die Auszüge aus dem Nahumbuch weisen, so der Forschungsstand, Abweichungen zu anderen erhaltenen Versionen des Textes auf.
Dies sei ein Zeugnis für die Weitergabe biblischer Texte und der Veränderungen im Laufe der Zeit. Laut Zwickel müsse man bei abweichenden Textstellen aber auch immer bedenken, dass es sich um Übersetzungen handelt. "Übersetzungen sind immer auch Interpretationen", sagt er. Und so könnten in den Texten ein paar Unterschiede auftreten.
Mehr als 10.000 Jahre alte Funde
Nicht nur die antiken Schriftfragmente wurden bei den Ausgrabungen entdeckt. So gehören auch Kleidung, Münzen, Pfeilspitzen und Läusekämme zu den Fundstücken. In einer etwas weiter nördlich gelegenen Höhle entdeckten die Archäologen zudem einen sehr großen Korb mit einem Deckel aus gewebtem Schilf, dessen Alter mittels Radiokarbonmessung auf 10.500 Jahre geschätzt wurde - und damit der älteste je gefundene Korb sein könnte, sollte das Alter bestätigt werden. Außerdem wurde das rund 6000 Jahre alte Skelett eines Kindes gefunden, welches in Stoff eingewickelt worden war und auf natürliche Weise mumifiziert wurde. Das Kind sei laut der israelischen Historikerin Ronit Lupu bemerkenswert gut erhalten. "Haut, Sehnen und sogar das Haar sind teilweise erhalten, obwohl so viel Zeit vergangen ist", sagt sie.
Wüstenklima hat Funde konserviert
Dass die Fundstücke so gut erhalten seien, liegt laut Wolfgang Zwickel vor allem am Wüstenklima rund um das Tote Meer. Mit einer Niederschlagsmenge von weniger als 100 Millimetern sei es dort absolut trocken, von daher würden sich solche Gegenstände dort gut konservieren. "Wenn die Schriftrollen in Jerusalem aufbewahrt worden wären, hätten sie sich längst zersetzt, weil es dort viel feuchter ist." Deswegen gebe es aus feuchteren Gebieten Israels keine entsprechenden Parallelen zu den Funden rund um das Tote Meer. Hier suchten schon vor mehr als 100 Jahren Forscher nach Überresten antiker Schriften, so zum Beispiel der Antiquitätenhändler Moses Wilhelm Shapira. 1883 bot er dem British Museum in London 15 Schriftrollen mit Stücken aus dem Deuteronomium, inklusive der Zehn Gebote an, die er angeblich bei einer Höhle beim Toten Meer gefunden hatte. Diese wurden jedoch als vermeintliche Fälschungen entlarvt und bei einem Brand zerstört. Seit Kurzem wird dieser Fall neu untersucht: Idan Dershowitz, Professor für Hebräische Bibel und Exegese an der Universität Potsdam, ist der Ansicht, die Fragmente seien doch echt.
Problem mit Plünderern
Wie dem auch sei, die Höhlen rund um das Tote Meer sind ein echtes Eldorado für Archäologen und Forscher. Doch nicht nur sie suchen in den Höhlen nach antiken Gegenständen. Seit dem Fund der Qumran-Rollen haben nach Angaben der israelischen Altertumsbehörde viele Antikenräuber die Höhlen aufgesucht und historische Funde zerstört.
2017 wurde eine neue Erfassung der Höhlen gestartet, in einem Gebiet von 80 Quadratkilometern. Das Ziel dieser Erfassung ist laut Israel Hasson, dem Direktor der Altertumsbehörde, die Rettung wichtiger Stücke vor Plünderern. Die nun gefunden Fragmente seien "ein Weckruf für den Staat", Ressourcen für die Aktion bereitzustellen, die noch nicht abgeschlossen ist.