Impeachment in der entscheidenden Runde
16. Januar 2020Wochenlang haben die Demokraten die Eröffnung des historischen Amtsenthebungsverfahrens gegen US-Präsident Donald Trump hinausgezögert. Nun geht es Schlag auf Schlag: Am Donnerstag kam der Senat zur ersten Sitzung zu dem Thema zusammen. Zunächst verlas der führende Anklagevertreter des Repräsentantenhauses, der Demokrat Adam Schiff, die Anklagepunkte gegen den Präsidenten. "Donald J. Trump hat die Macht des Präsidentenamtes missbraucht", sagte Schiff. Er habe die Regierung der Ukraine zu einer "Einmischung" in die nächsten US-Präsidentschaftswahlen gedrängt und dabei gegen seinen Amtseid verstoßen. Später habe er die Untersuchung des Repräsentantenhauses zu der Affäre behindert.
Der Oberste Richter der USA, John Roberts, schwor, er werde gemäß der Verfassung und der Gesetze "unparteiisch Gerechtigkeit" walten lassen. Der Vorsitzende des Supreme Court wird den Impeachment-Prozess leiten, er entscheidet ihn allerdings nicht. Dies obliegt den 100 Senatoren, die die Rolle von Geschworenen einnehmen. Roberts nahm anschließend den Senatoren den gleichen Eid ab. Nach der rund halbstündigen Sitzung wurde das Verfahren auf Dienstagmittag vertagt. Dann wird sich der Senat inhaltlich mit den Vorwürfen gegen den Präsidenten befassen. Der Montag ist in den USA ein Feiertag.
Amtsenthebung unwahrscheinlich
Trump muss sich als dritter Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten einem Amtsenthebungsverfahren im Senat stellen. Dort haben seine Republikaner die Mehrheit. Für eine Amtsenthebung müssten zwei Drittel der 100 Senatoren für mindestens einen der beiden Anklagepunkt stimmen. Das gilt als extrem unwahrscheinlich.
Die Demokraten beschuldigen Trump, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu Ermittlungen gegen seinen politischen Rivalen Joe Biden aufgefordert zu haben, um die US-Präsidentschaftswahl 2020 zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Der Präsident soll als Druckmittel unter anderem eine Militärhilfe an die Ukraine in Höhe von 391 Millionen Dollar (350 Millionen Euro) zurückgehalten haben. Als das herausgekommen sei, habe Trump alles daran gesetzt, die Ermittlungen des Repräsentantenhauses zu blockieren.
Rechnungshof rügt Gesetzesbruch
Für Aufsehen sorgte am Donnerstag ein Rechtsentscheid des Rechnungshofs des US-Kongresses. Er kommt zu dem Schluss, dass das Weiße Haus mit dem Zurückhalten einer Militärhilfe an die Ukraine - einem der zentralen Elemente im Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten - gegen das Gesetz verstoßen habe. Die Haushaltsabteilung des Weißen Hauses habe vom US-Kongress gebilligte Militärhilfe für Kiew aus "politischen Gründen" zurückgehalten. Das verstoße gegen ein zentrales Haushaltsgesetz. Der Rechnungshof befasste sich nur mit einem Teil der Militärhilfe, der sich auf 214 Millionen Dollar beläuft. Das Geld war dem US-Verteidigungsministerium vom Kongress als Militärhilfe für die Ukraine zugeteilt worden.
Insider belastet Trump
Unterdessen bekräftigte ein Geschäftspartner von Trumps Anwalt Rudy Giuliani seine Vorwürfe gegen den US-Präsidenten. "Präsident Trump wusste genau, was ablief", sagte der ukrainisch-stämmige US-Bürger Lev Parnas in einem Interview mit dem Fernsehsender MSNBC. "Er war sich über all meine Bewegungen bewusst. Ich hätte nichts ohne das Einverständnis von Rudy Giuliani oder des Präsidenten unternommen", sagte Parnas, der in der Ukraine-Affäre mit Giuliani zusammengearbeitet haben soll.
Die US-Demokraten hatten am Dienstagabend Dokumente veröffentlicht, die zeigen sollen, dass Giuliani zusammen mit Parnas Druck auf Kiew ausübte, Ermittlungen gegen Biden einzuleiten. Demnach sollen die beiden zusammen mit ukrainischen Vertretern versucht haben, die US-Botschafterin in der Ukraine, Marie Yovanovitch, aus dem Amt zu drängen, die schließlich von Trump abberufen wurde.
Die Ukraine leitete am Donnerstag Ermittlungen wegen einer möglichen illegalen Überwachung der früheren US-Botschafterin Marie Yovanovitch ein. Die Polizei wolle feststellen, ob ukrainisches oder internationales Recht zum Schutz von Diplomaten verletzt worden sei, teilte das Innenministerium mit. Zuvor hatte die Zeitung "Washington Post" eine Chat-Unterhaltung veröffentlicht, die den Schluss nahelegt, dass ein Kongresskandidat der republikanischen Partei die ehemalige Botschafterin Yovanovitch abgehört und überwacht haben könnte.
Aus dem Weißen Haus hieß es am Mittwoch zum Impeachment-Verfahren: "Das sind die schwächsten Anklagepunkte, die je in einem Amtsenthebungsverfahren gegen einen Präsidenten verabschiedet wurden." Man rechne daher nicht damit, dass das Verfahren im Senat länger als zwei Wochen dauern werde. Das Weiße Haus wolle "bald" mitteilen, wer Teil des Verteidigerteams des Präsidenten sein werde, hieß es.
Wochenlanger Streit
Nach wochenlangem Streit über die Ausgestaltung des Prozesses hatte das Repräsentantenhaus am Mittwoch mit der Mehrheit der Demokraten die Übermittlung der Anklagepunkte beschlossen und die Anklagevertreter bestätigt. Damit wurde der Weg für das Amtsenthebungsverfahren im Senat endgültig freigemacht. Beide Parlamentskammern haben ihren Sitz im Kapitol in Washington.
Die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi, hatte die Impeachment-Ermittlungen gegen Trump im vergangenen September in die Wege geleitet. Vor vier Wochen beschloss das Repräsentantenhaus dann mit der Mehrheit der Demokraten die beiden Anklagepunkte - ohne eine einzige Stimme der Republikaner.
Streit gibt es darüber, ob im Senat weitere Zeugen gehört werden sollen, was die Demokraten fordern. Trumps Republikaner lehnen dies im Senat bislang ab. Sie wollen den Prozess gegen den Präsidenten möglichst schnell über die Bühne bringen. Wegen des Streits um mögliche Zeugenbefragungen hatte das Repräsentantenhaus die Anklagepunkte gegen Trump wochenlang zurückgehalten. Die Demokraten wollten die Republikaner damit zu Zugeständnissen zwingen - allerdings blieben diese Bemühungen letztlich vergeblich. Denn Trumps Republikaner sitzen am längeren Hebel: Während im Repräsentantenhaus die Demokraten die Mehrheit haben, verfügen die Republikaner im Senat über 53 der 100 Sitze.
Trump rechnet nach Angaben des Weißen Hauses mit einer vollständigen Entlastung von allen Vorwürfen. Seine Sprecherin Stephanie Grisham teilte mit, Trump freue sich darauf, im Senat das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren zu haben, was ihm von den Demokraten im Repräsentantenhaus verwehrt worden sei. Grisham sprach von einem "illegitimen Amtsenthebungsverfahren" und betonte: "Präsident Trump hat nichts falsch gemacht."
stu/se/kle (dpa, afp)