Palästina Staat
23. September 2011Selten gab es eine spannendere Generalversammlung bei den Vereinten Nationen in New York. Bis zuletzt war ungewiss, ob die Palästinenser nicht doch noch Angst vor der eigenen Courage bekommen würden und auf ihren lange angekündigten Antrag auf Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen unter dem Druck der USA und einiger europäischer Verbündeter verzichten. Dann aber dürfte sich Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gedacht haben: Wenn nicht jetzt, wann dann? Nach mehr als sechs Jahrzehnten seit ihrer Vertreibung, zwei Jahrzehnten erfolgloser Verhandlungen mit Israel und den jüngsten Umbrüchen in der arabischen Welt ist die Zeit reif für einen souveränen palästinensischen Staat. Doch lässt sich ein auch wirtschaftlich existenzfähiger Staat über einen diplomatischen Aufnahmeantrag bei den Vereinten Nationen erzwingen? Wohl kaum.
Historischer Rückenwind für Palästinenser
Dennoch waren die Palästinenser von ihrem lange angekündigten Vorhaben nicht mehr abzubringen. Sie spüren den Rückenwind der Geschichte, der ihrem Anliegen neuen Auftrieb verleiht. Eine Friedenslösung im Nahen Osten muss das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern sein. Der Umweg über die Vereinten Nationen wird dem Anliegen der Palästinenser aber neue Schubkraft verleihen. Zulange hat Israel einfach den Kopf in den Sand gesteckt und sich effektiven Verhandlungen beharrlich verweigert. Die Diplomatie der internationalen Staatengemeinschaft war seit Jahren in eine immer tiefere Sackgasse geraten. Amerika war im Kampf gegen den Terror gebunden und hat inzwischen vor allem mit sich selbst zu tun. Europa sucht im Konzert der Mächte nach einer eigenständigen und einheitlichen Stimme, hat sie aber ich in der Nahostfrage bisher nicht finden können.
Deutschland hat hinter den Kulissen getan, was es konnte, um eine Konfrontation zu verhindern. Die Chance besteht immer noch, wenn die Zeit bis zur Behandlung des palästinensischen Antrags im Sicherheitsrat genutzt wird, um Druck auf Israel aus zu üben. Die Regierung Netanjahu muss den Siedlungsbau im Westjordanland stoppen und an den Verhandlungstisch zurückkehren. Eine entsprechende Erklärung des schon in Vergessenheit geraten Nahostquartetts hat jetzt einen klaren Zeitplan für Verhandlungen aufgestellt- den gilt es unbedingt einzuhalten.
Die Palästinenser werden keine Ruhe mehr geben. Scheitert ihr Antrag auf Vollmitgliedschaft im Sicherheitsrat, werden sie sich an die Vollversammlung der Vereinten Nationen wenden. Dabei wissen sie eine deutliche Mehrheit der 193 Staaten dieser Welt hinter sich. Moralisch dürfen sich die Palästinenser schon jetzt als Sieger fühlen, auch wenn ihr Antrag im Sicherheitsrat abgeschmettert wird oder am Veto der USA scheitern sollte. Der Geist, der einmal aus der Flasche entwichen ist, lässt sich nicht mehr zurückholen.
Zeitfenster für Nahostverhandlungen
Die internationale Staatengemeinschaft und vor allen der Westen stehen nun unter Zugzwang. Deutschland sollte seiner historischen Verantwortung gegenüber Israel gerecht werden und dem Land helfen, aus seiner gegenwärtigen Isolation herauszufinden. Dies kann nur geschehen, wenn auch der jüdische Staat territoriale Zugeständnisse an die Palästinenser macht. Die Zeit dafür ist endgültig reif. Das sollte auch Präsident Obama erkennen. Das fortwährende Schielen auf die jüdische Lobby in den USA ist zwar in einem Vorwahljahr nachvollziehbar, im internationalen Rahmen droht Amerika aber seinen moralischen Führungsanspruch in der Welt endgültig zu verlieren, wenn es den Druck auf Israel jetzt nicht erhöht. Gerade der Friedensnobelpreisträger Obama steht hier bei den arabischen Völkern im Wort.
Passiert nichts, wird der Antrag der Palästinenser im Sicherheitsrat auf die lange Bank geschoben, werden sich die Palästinenser und ihre arabischen Nachbarvölker selbst Gehör verschaffen. Neue Koalitionen gegen Israel werden seine Sicherheit nachhaltig bedrohen. Mit Ägypten ist Israel schon ein Partner verloren gegangen. Israels Regierung muss jetzt die Zeichen der Zeit erkennen und die vielleicht letzte Chance für produktive Verhandlungen nutzen. Sonst ist der Frieden im Nahen Osten massiv bedroht.
Autor: Daniel Scheschkewitz
Redaktion: Tamas Szabo