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Äußerst komplex: Willy Brandt im britischen Drama

Das Interview führte Klemens Vogel7. Mai 2004

Michael Frayn setzt mit seinem Stück "Demokratie" Willy Brandt ein Denkmal. Am 6. Mai war Deutschland-Premiere am Berliner Renaissance-Theater. Über das Faszinosum Brandt sprach der britische Dramatiker mit DW-WORLD.

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Der Spion Günter Guillaume (Tilo Nest) hat das Ohr des Kanzlers Brandt (Peter Striebeck)Bild: Iko Freese/DRAMA

Berlin war der Spielplatz der Spione - der richtige Ort um den 70-jährigen Kolumnisten, Dramatiker und Romancier Michael Frayn zu treffen. Sein Thema in "Demokratie" ist der größte Spionageskandal der Bonner Republik: Brandts Referent Guillaume wurde 1974 als DDR-Agent enttarnt. Brandt ging. Was blieb, waren die Ost-Verträge mit Polen und der Sowjetunion. In England gefeiert, soll "Demokratie" im Oktober 2004 an den Broadway.

DW-WORLD: Mister Frayn, die Deutschen können sich für das Theaterstück "Demokratie" bei ihnen bedanken. Sie rücken Willy Brandt, eine Schlüsselfigur der deutschen Geschichte, in bestes Licht. Er ist weise und nachdenklich, von großer charakterlicher Tiefe. Wollen sie den Deutschen einen Helden schenken?

Michael Frayn
Bild: Renaissance-Theater

MICHAEL FRAYN: Willy Brandt war ein Held lange bevor ich auf der Bildfläche erschienen bin. Er war ein herausragender Mann. Und er hat eine große Leistung vollbracht, denn er hat die Aussöhnung mit dem Osten begonnen. Aber da war noch etwas anderes an ihm, das ihn für mich zu etwas Besonderem macht, selbst wenn er die Ost-Verträge nicht durchbekommen hätte. Da war etwas, das jedermanns Aufmerksamkeit anzog. Viele Leute hassten ihn, aber ebenso viele haben ihn geliebt.

Warum ein Drama über Brandt und die deutsche Politik?

Ich wollte ein Stück über die Komplexität von Politik schreiben. Die deutsche Politik ist ein gutes Beispiel: Sie ist sehr komplex, wegen des föderalen Systems und wegen der Neigung zu Koalitionen. Sehen sie: Nur die Deutschen bringen eine Koalition wirklich zum funktionieren, denn sie fürchten sich vor unsicheren Verhältnissen. Doch ich habe auch bewusst über Brandt und Guillaume geschrieben, denn ich wollte nicht nur ein Stück über die Komplexität von Politik machen, sondern über die Komplexität des einzelnen Menschen.

Es ist recht ungewöhnlich für einen britischen Autor, sich mit deutscher Zeitgeschichte, mit deutschen Politikern zu befassen.

Deutsche Politik ist interessant, weil sie so kompliziert ist. Es ist eine viel vertracktere Version der Demokratie als wir sie in Großbritannien haben. Es gibt viele britische Theaterstücke über die Nazi-Zeit. Aber niemand hat bislang darüber geschrieben, was für mich viel interessanter ist: Die überraschende Wiederauferstehung nach dem Zweiten Weltkrieg, die mich als Außenstehenden vielleicht mehr erstaunt als die Deutschen selbst.

Ist Brandt so etwas wie der Anti-Hitler?

Er war ein Anti-Hitler, ganz klar. Er war immer ein Gegner des Nationalsozialismus, er war im Exil. Und am Tag als er Kanzler wurde, sagte er: "Der Krieg, den Hitler gegen die Nationen der Welt und gegen so viele Menschen in unserer eigenen Nation begonnen hat, ist nun verloren."

Bereits ihr letztes Stück "Kopenhagen", wo der deutsche Atomphysiker Werner Heisenberg 1941 auf seinen Mentor Nils Bohr trifft, thematisiert den Widerstreit von Gut und Böse, die Dialektik dieser beiden Prinzipien.

"Kopenhagen" handelt davon, wie schwer es ist herauszufinden, warum Menschen tun, was sie tun. Bevor man das nicht weiß, kann man nicht urteilen, ob es gut oder schlecht ist. Man muss die Absichten kennen.

Warum tut denn jemand wie der Spion Günter Guillaume, der sich in "Demokratie" selbst als ein "Niemand" bezeichnet, was er tut?

Guillaume war vermutlich ein loyaler Bürger der DDR. Er dachte, er könne ihr dienen, indem er für die Stasi arbeitet. Sie haben ihn in den Westen geschickt, und durch Zufall kam er ins Bundeskanzleramt. Ich vermute, er war der Ansicht, dass er ehrenvoll der DDR dienen könne, obwohl er zugleich große Bewunderung für Brandt entwickelte.

Steht Guillaume für den durchschnittlichen Deutschen?

Ich glaube nicht, denn der durchschnittliche Deutsche arbeitet nicht für zwei Regierungen zur selben Zeit. Aber in jedem Menschen sind verschiedene Möglichkeiten angelegt. Man muss versuchen, diese Möglichkeiten in Einklang zu bringen. Guillaume ist nur ein extremes Beispiel dafür.

Der einzige Vertreter der DDR-Führung, der in "Demokratie" eine Rolle spielt - obwohl er nie auftritt - ist der ehemalige Stasi-Agentenführer Mischa Wolf. Er bleibt unsichtbar. Ist er das eigentliche Faszinosum?

Mischa Wolf ist ein sehr fesselnder Charakter. Möglicherweise war er der erfolgreichste Agentenführer auf der Welt. Aber ich denke, der weitaus interessantere Charakter war Willy Brandt selbst. Er hatte viele dunkle Seiten, trotz seines Erfolgs. Er litt unter Depressionen, und er hatte mehrere ernst zu nehmende Schwächen, nicht nur vordergründige wie übermäßiges Trinken und sein Interesse an Frauen: Brandt war konfliktscheu und es war für ihn schwer, zu Entscheidungen zu finden.

Was bleibt übrig aus dieser Zeit, außer der spannenden Story?

Bestand hat Brandts Leistung, die Ost-Politik. Sie hat Europa vollständig verändert. Durch sie wurde es möglich, den Kalten Krieg zu beenden. Es war nur der erste Schritt, ohne den es womöglich noch die DDR und die Sowjetunion gäbe. Wir hätten immer noch die Konfrontation, das nuklearen Patt. Die Ost-Politik war der erste Schritt zur Veränderung der Welt.