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Ägypten ein Jahr danach

25. Januar 2012

Vor einem Jahr in Kairo: Hunderttausende Menschen trauten sich, demonstrierten und zwangen Ex-Machthaber Hosni Mubarak zum Rücktritt. Zum Jahrestag hob der regierende Oberste Militärrat nun den Ausnahmezustand auf.

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Menschen protestieren auf dem Tahrir-Platz in Kairo (Foto: EPA)
Bild: picture-alliance/dpa

Eine Ausnahme gibt es jedoch: Gegen Randalierer kann jederzeit weiter nach den Regeln des Ausnahmezustandes vorgegangen werden. Nach Ansicht von Hamadi El-Aouni, Hochschullehrer für Politik und Wirtschaft an der Freien Universität Berlin, ist das keine wirkliche Aufhebung des Ausnahmezustandes. Es sei ein formales Entgegenkommen gegenüber den Demonstranten. In Wahrheit könne das Militär aber den Begriff Randalierer auf jeden Ägypter anwenden. Wenn er zurückblickt auf das vergangene Jahr, stellt El-Aouni fest: "Es begann mit einem arabischen Frühling, und es mündete in einen islamistischen Herbst". Viele hatten sich wie er die Entwicklung ganz anders vorgestellt. Am 25. Januar 2011 gab es die erste große Demonstration auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Die Menschen, die sich dort versammelt hatten, forderten mehr Demokratie, soziale Gerechtigkeit und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Immer wieder gab es Kundgebungen, die Präsident Hosni Mubarak nur drei Wochen später zum Rückzug zwangen.

Inzwischen haben die ersten freien Wahlen stattgefunden. Gut 70 Prozent der Wählerstimmen konnten die verschiedenen islamischen und islamistischen Gruppierungen auf sich vereinigen. Die Partei "Freiheit und Gerechtigkeit" der Muslimbruderschaft, die sich als gemäßigt islamisch bezeichnet, holte gut 47 Prozent der Stimmen und ihr kommt die wichtigste Rolle bei der Regierungsbildung zu. An der Wahl des Koalitionspartners liegt es nun, wie religiös Ägypten in Zukunft sein wird. Zweitstärkste Kraft wurde die radikal-islamische "Partei des Lichts" mit über 24 Prozent, auf Platz drei kam die liberale Wafd-Partei mit gut acht Prozent der Stimmen. Ein Wahlergebnis das ernüchtert, findet der außenpolische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Rolf Mützenich, und fügt hinzu: "In der Rückschau ist man immer näher an der Wahrheit, vielleicht haben wir uns auch ein bisschen von der Euphorie anstecken lassen."

Rolf Mützenich (SPD) im Bundestag in Berlin (Foto: dpa)
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfragktion Rolf MützenichBild: picture-alliance/dpa

Sich nicht abschrecken lassen

Mützenich plädiert dafür, zur Kenntnis zu nehmen, dass "große Meinungsverschiedenheiten innerhalb dieser Gruppen" existierten. Man dürfe nicht übersehen, dass es bei den Muslimbrüdern viele junge und kritische Aktivisten gebe. Er verweist darauf, dass auch in Europa Demokratisierungsprozesse nicht ohne Widrigkeiten vonstatten gingen. "Ich glaube, dass viele Ägypter akzeptieren, dass der Islam eine wichtige kulturelle und geschichtliche Brücke in ihrer Gesellschaft ist, dass aber die Dominanz von Religion mit Sicherheit von einer Mehrheit auf Dauer nicht akzeptiert wird."

Der Politologe Hamadi El-Aouni (Bild: DW)
Der Politologe Hamadi El-Aouni

Der Politologie Hamadi El-Aouni steht den Beteuerungen moderater islamistischer Gruppierungen skeptisch gegenüber: Man werde sie daran messen, ob es ihnen gelingt, die nationale Einheit Ägyptens zu erhalten und ob sie die angekündigte soziale Gerechtigkeit herbeiführen. Vielen jungen Menschen, besonders aus benachteiligten Stadtvierteln, fehlen Perspektiven für ihr Leben. Hier sind es häufig die islamisch geprägten Gruppen, die Halt und Unterstützung bieten. Auch diese Jugendlichen verbanden mit dem arabischen Frühling Hoffnung auf ein besseres Leben.

Beobachten und lernen

Mützenich glaubt, dass der Westen den nun stattfindenden Prozess sehr genau beobachten, aber auch akzeptieren müsse, dass seine Einflussmöglichkeiten begrenzt seien. Man müsse sehr genau hinschauen und lernen, innerhalb der Gruppen zu differenzieren. "Wir müssen nicht nur die Regierungen, nicht nur die Parlamente in den Fokus unserer Betrachtungen nehmen, sondern die Gesellschaft insgesamt", fügt er an. Es gebe ja auch Länder wie die Türkei oder Indonesien, die durchaus eine Vereinbarung von Islam und Demokratie zuließen.

Eine wichtige Komponente im ägyptischen Demokratisierungsprozess ist das Militär. Seit dem Sturz von Mubarak am 11. Februar 2011 regiert der Oberste Militärrat unter Vorsitz von General Mohammed Hussein Tantawi. Das wird so bleiben, bis die neue Regierung gebildet, eine neue Verfassung verabschiedet und ein neuer Präsident gewählt ist. Die Demonstranten, die teils wochenlang auf dem Tahrir-Platz ausharren, um ihren Forderungen nach einem politischen Erneuerungsprozess Ausdruck zu verleihen, bleiben skeptisch. Nicht zuletzt, weil es immer wieder auch gewaltsame Übergriffe von Polizei und Militär gegen die Demonstranten gegeben hat. Mit Blick auf den Jahrestag hatte die Regierung vor Demonstrationen gewarnt. Man werde nicht zulassen, dass Ägypten in Brand gesetzt werde, sagte Tantawi vor der Presse. Die Streitkräfte seien das Rückgrat, das Ägypten schützt: "Dieses Rückgrat soll gebrochen werden. Das werden wir nicht zulassen."

Mohamed Hussein Tantawi, Vorsitzender des Obersten Militärrates in Ägypten (Foto: EPA)
Mohamed Hussein Tantawi, Vorsitzender des Obersten Militärrates in ÄgyptenBild: picture-alliance/dpa

Autorin: Sabine Hartert-Mojdehi
Redaktion: Daniel Scheschkewitz