Zwölf wollen SPD-Chef werden
26. Oktober 2019Es war ein rabenschwarzer Tag für die SPD, als ihre bisherige Parteivorsitzende Andrea Nahles Anfang Juni nach nur einem Jahr an der Spitze der SPD aufgab und alle Ämter hinwarf. Was hatte sie nicht alles versprochen: Sie wollte die Partei aus der Krise führen und an alte Erfolge anknüpfen. Doch alles ging schief. Die SPD erlitt eine Niederlage nach der anderen. Nur 15,5 Prozent bei der Europawahl; die gleichzeitig stattfindende Landtagswahl im Stadtstaat Bremen ging erstmals seit 73 Jahren verloren. Die Landtagswahlen in Bayern und in Hessen im Herbst 2018 waren bereits ein Desaster gewesen.
Nahles Rücktritt ließ die Genossen taumeln. Einfach weitermachen wie bisher, das war unmöglich. Zumal sich für den Spitzenjob im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale, spontan auch niemand zu finden schien. Ein Spitzenpolitiker nach dem anderen sagte ab. Dasselbe Schicksal erleiden wie Andrea Nahles und im Amt verbrannt werden? So etwas schreckt ab.
Neue Wege
Aus der Not heraus entwickelte eine umgehend eingesetzte kommissarische Parteileitung die Idee, die Mitglieder einzubinden. "Wenn früher ein Parteivorsitzender zurückgetreten ist, dann traf sich meistens eine Runde von mehreren Herren im Hinterzimmer und dann hat man anschließend in der Zeitung gelesen, wer es denn jetzt wird", erinnert sich die brandenburgische SPD-Landespolitikerin Klara Geywitz. Damit müsse nun Schluss sein.
Als eines von sechs Bewerber-Teams tritt die 43-jährige Geywitz zusammen mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz an, um SPD-Vorsitzende werden. "Wir haben ein großes Experiment gewagt: Wir treffen eine basisdemokratische Entscheidung." Die Teams, bestehend aus jeweils einem Mann und einer Frau, reisten wochenlang gemeinsam durch Deutschland und stellten sich in insgesamt 23 Diskussionsrunden der Basis vor.
Eine Partei auf der Suche
Teilweise mussten größere Säle angemietet werden, so unerwartet hoch war das Interesse der Parteimitglieder. Ob sich das auch in den Abstimmungszahlen niederschlagen wird? Seit dem 14. Oktober hatten die rund 430.000 SPD-Mitglieder Zeit, online oder per Brief über den künftigen SPD-Vorsitz abzustimmen. Nach einer Woche hatten erst 30 Prozent ihre Stimme abgegeben. Nötig waren 20 Prozent, damit die Wahl gültig ist. Man rechne am Ende mit 60 Prozent Wahlbeteiligung, heißt es aus der SPD-Zentrale. Am Samstagabend soll das Ergebnis bekannt gegeben werden.
Nach den Statuten der Partei ist es rein rechtlich allerdings gar nicht zulässig, dass die Parteimitglieder den Vorstand wählen. Das müssen die Delegierten auf einem Bundesparteitag tun. Der findet Anfang Dezember in Berlin statt. Parteiintern wurde jedoch vereinbart, dass sich die Delegierten an das Ergebnis des Mitgliederentscheids halten sollen.
Regieren und Reformieren?
Neue Gesichter an der Spitze allein werden der ältesten Partei Deutschlands allerdings nicht helfen, aus der tiefsten Krise ihrer Nachkriegsgeschichte herauszukommen. Gemeinsam mit CDU und CSU regiert die SPD mit einer Unterbrechung in der nun dritten großen Koalition seit 2005. Wäre jetzt Bundestagswahl, dann hätte die GroKo keine Mehrheit mehr. Das liegt vor allem an der SPD, die in Umfragen bei nur 14 Prozent liegt.
Für die Sozialdemokraten, die seit 1949 dreimal den Bundeskanzler stellten und 1998 mit Gerhard Schröder noch mehr als 40 Prozent der Stimmen erreichten, ist das nur schwer zu ertragen. Schon nach der Bundestagswahl 2017 begann die Partei damit, sich inhaltlich neu aufzustellen. Soziale Themen sollen wieder stärker im politischen Fokus stehen. Steuern für Vermögende erhöhen, den Mindestlohn auf 12 Euro anheben, Sanktionen für Arbeitslose lockern - das ist mit den Unionsparteien aber nicht zu machen.
Raus aus der Koalition mit CDU und CSU?!
Die Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach und Nina Scheer wollen daher, sollten sie gewinnen, die Regierungskoalition aufkündigen. "Nina war immer gegen die große Koalition, ich war damals dafür. Das war ein Fehler, ich habe mich damals geirrt" sagt Lauterbach. Die SPD werde immer unglaubwürdiger, je länger sie in der Regierung bleibe. Auch Willy Brandt habe vor 50 Jahren eine damalige GroKo "mutig verlassen" und sei anschließend Bundeskanzler geworden. "Das hat sich für die Sozialdemokraten politisch gelohnt."
Wenn Willy Brandt heute noch leben würde, dann würde er es nicht zulassen, dass die SPD das Klima vernachlässige, kritisiert Lauterbach das Regierungsprogramm zum Klimaschutz. "Willy Brandt hätte es auch nicht zugelassen, dass die Jugendlichen sich von uns abwenden und dass wir eine Flüchtlingspolitik machen, wo Tausende Menschen im Mittelmeer quasi vor unseren Augen ertrinken."
Der Finanzminister will im Amt bleiben
Das Team Lauterbach/Scheer und das Team Scholz/Geywitz sind so etwas wie entgegengesetzte Pole im Feld der Bewerber für den Parteivorsitz. Während die einen aus der Koalition austreten wollen, stehen die anderen in diesem Punkt für Kontinuität. Probleme könne man am besten in der Regierung lösen, betont Geywitz. Bei der Bewertung der großen Koalition dürfe man "nicht nur im Rückspiegel schauen, was wir erreicht haben", sondern müsse bedenken, dass die Regierung noch gemeinsame Projekte vor sich habe.
Scholz hofft, dass ihm sein Bekanntheitsgrad als Finanzminister und früherer regierender Bürgermeister von Hamburg dabei helfen wird, SPD-Parteivorsitzender zu werden. "Ich freue mich, dass ich ein großes Ansehen in der deutschen Bevölkerung habe - jedenfalls bekomme ich oft den Eindruck vermittelt, wenn ich mit den Bürgern und Bürgern spreche und man sieht das auch in Meinungsumfragen", sagt der 61-jährige von sich.
Auch andere Teams liegen gut im Rennen
Innerhalb der SPD hat der eher nüchtern auftretende und wenig charismatische Olaf Scholz allerdings nicht so viele Fans. Schon unter Bundeskanzler Gerhard Schröder bekleidete er wichtige Parteiämter und erzielte auf Parteitagen regelmäßig vergleichsweise schlechte Abstimmungsergebnisse.
Scholz' größte Konkurrenten dürften der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius und der frühere Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans sein. Pistorius tritt mit der sächsischen Integrationsministerin Petra Köpping an, Walter Borjans mit der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken.
Warten bis zum 30. November?
Das älteste Team im Rennen sind die bereits 76-jährige Professorin im Ruhestand, Gesine Schwan und der 60-jährige stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner. Das jüngste Team stellen die 39-jährige NRW-Landtagsabgeordnete Christina Kampmann und der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth. Die beiden erhielten anfangs sehr viel Zuspruch, weil sie sehr optimistisch, ja enthusiastisch antraten.
Welches der sechs Teams die Nase vorn hat, darüber will in der SPD niemand eine Prognose abgeben. Auf der Deutschland-Tour war der Applaus oft gleich verteilt. Um zu gewinnen, muss ein Team mehr als 50 Prozent bekommen. Das ist im ersten Wahlgang bei sechs Teams nicht zu erwarten. Wahrscheinlich wird eine Stichwahl nötig sein, in die das erst- und das zweitplatzierte Team gehen sollen. Vom 19. bis zum 29. November müssten die Mitglieder dann erneut abstimmen. Erst am 30. November wird wohl feststehen, wer die SPD künftig führen soll.