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Zwischenbericht vom Everest

Marcus Bösch23. Mai 2005

Seit einer Woche lebt DW-Reporter Stefan Nestler auf 5500 Meter Höhe. Im Telefoninterview mit Marcus Bösch berichtet er über das alltägliche Leben am Himalaja und beantwortet Fragen der Blog-User.

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Natürlich ist es hier auch mal langweiligBild: Stefan Nestler

Mein entferntestes Telefongespräch bisher war nach Südafrika. Es klingelte am anderen Ende der Welt - und niemand nahm den Hörer ab. Diesmal also ein Anruf auf dem Mount Everest. Radiokollege Stefan Nestler harrt dort auf 5500 Meter im Basislager eines Expeditionsteams aus. Und berichtet täglich im Weblog von DW-WORLD.

10.000 Kilometer sind vergessen

15 Ziffern hat die Nummer seines Satellitentelefons, das nun in seinem Zelt klingelt. Es tutet. Nestler nimmt ab. Und wir unterhalten uns, als ob er in einer Telefonzelle am Rhein stehen würde. Die Qualität ist erschreckend gut, die fast 10.000 Kilometer Entfernung sind vergessen. Wer sich noch an quälende innereuropäische Telefonate aus dem Urlaubsort im Süden erinnert, mag jetzt leise den Kopf schütteln.

Mount Everest
Gletscher bei strahlendem Sonnenschein an der Nordseite des Mount Everest am 22.5.2005. Foto: Stefan Nestler/DWBild: Stefan Nestler

Gut geht es ihm, sagt Nestler etwas kurzatmig. Bei der Höhe ist ein kurzer Atem allerdings kein Wunder. "Man atmet hier mehr, damit man auf seinen Sauerstofflevel kommt. Dementsprechend wird der Kreislauf unterversorgt, ebenfalls das Gehirn - das macht einem am meisten zu schaffen. Es fängt mit Kleinigkeiten an: Man will sich morgens die Schuhe zubinden. Und man braucht wirklich ein paar Minuten, weil man nach dem ersten Schuh vergessen hat, das man eigentlich auch den zweiten zumachen wollte."

Abfallregelung und Langeweile

Die User des DW-Weblogs haben im Kommentarbereich zahlreiche Fragen an Nestler gestellt. Fragen über das alltägliche Leben in einer ganz und gar nicht alltäglichen Situation. Ob es zum Beispiel eine Abfallregelung gibt, will ein User wissen. "Wir hinterlassen keinen Müll," sagt Nestler: "Mandarinenschalen bleiben hier oben, aber Cola- und Bierdosen und Büchsen werden gesammelt und dann nachher mit den Yaks, also den Lastentiere runtertransportiert." Die Expedition hat zudem eine Müllsumme zahlen müssen, die nur erstattet werde, wenn man den Rücktransport der Abfälle nachweisen könne.

Ob ihnen beim Warten auf das notwendige Wetterfenster für den Gipfelsturm nicht auch mal langweilig werde, will eine Userin aus Dormagen wissen. "Also ich müsste lügen, wenn ich sage, es ist nie langweilig. Aber dadurch, dass hier alles viel langsamer geht, kommt Langeweile auch nicht so häufig auf", sagt Nestler. Außerdem habe man ja zwei Laptops mit, inklusive Musik und einigen Filmen auf DVD. Ob Bergfilm, Zeichentrick oder normale Spielfilme - "die werden dann schon mal nach dem Abendessen geguckt."

Bier und Erfrierungen

"Wir sind uns noch nicht über", beteuert Nestler, der gemeinsam mit Deutschlands Top-Höhenbergsteiger Ralf Dujmovits, seiner Lebensgefährtin Gerlinde Kaltenbrunner und dem Japaner Hirotaka Takeuchi im Gebirge unterwegs ist. Anders sieht es offenbar bei einer tschechischen Expedition aus, die ihr Camp ganz in der Nähe aufgeschlagen hat. "Die Tschechen scheinen sich nach fünf Wochen wirklich auf die Nerven zu gehen."

Ausblick am Mount Everest
Blick aus dem Zelt im Basislager auf dem Mount Everest, 21.5.2005. Foto: Stefan NestlerBild: Stefan Nestler

Die Erfrierungen, die sich das Team zugezogen hat, interessieren ebenfalls zahlreiche Leser des Blogs. "Es hat sich nichts verschlimmert und es hat sich nichts entzündet", berichtet Nestler über den aktuellen Stand der Dinge: "Die Gefühllosigkeit in den Gliedmaßen wird sich aber erst nach Monaten legen." Alle Erfrierungen seien aber nicht so dramatisch und würden keine Schwierigkeiten beim Bergsteigen machen.

Tabuthema und Wetterfenster

Aber wie reagiert die Truppe, falls ein Mitglied verunglückt? "Wenn es möglich ist, steigt man natürlich hinab bei einer Verletzung. Aber das ganze ist ein kleines Tabuthema. Da wird nicht wahnsinnig viel drüber geredet", erklärt Nestler. Gerade vor einer Expedition sei es wichtig, dass man Selbstbewusstsein und ein Gemeinschaftsgefühl entwickle. Da klammere man solche ernsten Themen gerne aus.

"Wann geht es endlich los?" - die Frage stellt im Kommentarbereich nicht nur User "K2". Nestler kann da im Moment auch nur erneut auf das passende Wetterfenster verweisen. "In den letzten Tagen waren die Wetter-Voraussagen so widersprüchlich und teilweise falsch, das ich da noch ein bisschen vorsichtig bin. Wir hoffen, dass es wirklich so ist, das der Wind Donnerstag, Freitag nachlässt, dann würde der Start hier ganz schnell vonstatten gehen", sagt Nestler.