Herausforderungen für die Polizei
19. November 2016Mindestens einmal im Jahr wird das Kurfürstliche Schloss in Mainz zum Hochsicherheitstrakt. Polizisten patrouillieren mit Maschinenpistolen vor dem hellroten Sandsteingebäude am Rhein; wer hinein will, muss wie am Flughafen strenge Kontrollen passieren. Dann versammeln sich im Inneren des Schlosses die Spitzen der deutschen Sicherheitsbehörden und etliche internationale Gäste zur Herbsttagung des Bundeskriminalamtes.
Als sich das rund 500 Gäste umfassende Fachpublikum einfindet, sind die Nachrichten noch beherrscht von der Großrazzia in zehn Bundesländern gegen die radikal-salafistische Vereinigung "Die wahre Religion". BKA-Präsident Holger Münch betont, man müsse die "unterstützenden Netzwerke des islamistischen Terrors angehen". Deutschland stehe weiter im Fadenkreuz des Terrors und gerade mit den militärischen Niederlagen und Gebietsverlusten des sogenannten IS steige die Gefahr von Anschlägen in Europa. Allein in Deutschland kennt das BKA momentan 530 sogenannte Gefährder.
Mehr Mittel für die Polizei
So alarmierend das klingt: Die Stimmung bei dieser Herbsttagung ist deutlich entspannter als vor einem Jahr. Damals fand die Fachkonferenz gerade mal fünf Tage nach den blutigen Anschlägen von Paris statt; unmittelbar vor Konferenzbeginn war wegen Terrorgefahr ein Fußballspiel abgesagt worden. Dieses Mal wird die Konferenzregie nicht durch unvorhergesehene Ereignisse aus dem Takt gebracht. BKA-Präsident Münch zeigt sich zufrieden, und auch der aus Berlin angereiste Innenminister Thomas de Maizière betont: "Wir haben für die Sicherheit in dieser Legislaturperiode unheimlich viel erreicht." Diese Zufriedenheit hat ihren Grund sicher auch in dem neuen Sicherheitspaket der Bundesregierung: Der Etat des BKA wächst im nächsten Jahr um 144 Millionen Euro auf knapp 600 Millionen Euro. Damit sollen unter anderem 750 neue Stellen geschaffen werden. Die Bundespolizei soll bis 2020 sogar 7500 neue Mitarbeiter einstellen.
Der Personalaufbau wird flankiert von technischer Aufrüstung. Nicht nur soll ein neuer Bundestrojaner auch für die Überwachung von Mobiltelefonen kommen. Vielmehr hat sich das Bundeskriminalamt die Aufgabe gestellt, seine gesamte Informationsinfrastruktur komplett neu aufzustellen. Schon der Datenaustausch innerhalb der deutschen Polizeibehörden verläuft nicht reibungslos, ganz zu schweigen vom Datenaustausch mit anderen Bundesbehörden. Innenminister de Maizière erzählt, wie etwa bei der Bewältigung der Flüchtlingswelle Dokumente ausgedruckt und anschließend per Faxgerät übermittelt wurden, weil es keine Schnittstellen zwischen den Datenbanken gab. Innenminister de Maizère fordert deshalb in seiner Vision "BKA 2020" modernste Technologie beim BKA: "Wir werden die IT-Landschaft beim BKA umbauen – von einer Struktur gut gepflegter, aber verschiedener Datentöpfe zu einer hochmodernen und einheitlichen IT-Architektur." Der Bundesinnenminister kündigte nichts weniger an, als die "Modernisierung des gesamten Informationsmanagements bei der Polizei."
Polizei als "Informationsfabrik"
Auf europäischer Ebene ist der Handlungsdruck noch deutlich größer. Das bislang wichtigste System zum Austausch polizeilicher Daten zum Beispiel, das "Schengen-Informationssystem" (SIS II) , kann bislang noch keine biometrischen Daten verarbeiten wie etwa Fingerabdrücke. Die Folge: Es ist noch nicht möglich, Personen eindeutig zu identifizieren und mit eventuell bereits vorliegenden Erkenntnissen in anderen Ländern in Verbindung zu bringen. Für BKA-Chef Münch sind neben technischen Hindernissen dafür aus seiner Sicht "unzeitgemäße, verkomplizierende Datenschutzregelungen" mitverantwortlich. Man ist später dem Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts dankbar: Ferdinand Kirchhof betont in der abschließenden Podiumsdiskussion, Grundrechte seien Schutzrechte des Bürgers gegen den Staat. Sicherheit habe keinen Vorrang vor anderen Rechten.
Weiter noch als Münch geht in seinem Vortrag der Korpschef der niederländischen Nationalpolizei, Erik Akerboom. Akerboom sieht die Polizei als Informations-Fabrik. Und die müsse nicht nur den Austausch der Daten innerhalb der Polizeibehörden verbessern, um die in jeder Dienststelle vorhandenen "Goldminen an Information besser auszubeuten". Akerboom möchte mit einer um zahlreiche IT-Spezialisten ergänzten "High-Tech-Polizei" auch an die Big-Data Töpfe heran.
Gewalt von Rechts
Die Herbsttagung stand unter dem Titel "Kriminalität in Deutschland unter dem Einfluss weltweiter Krisen und Konflikte?" und hatte damit das innen- und europapolitisch zentrale Thema Migration und Flüchtlinge aufgegriffen. Im Gespräch mit der DW betonte Holger Münch, die Kriminalitätszuwächse lägen deutlich unter dem, was man angesichts der Zahlen der Zuwanderer erwarten könne. "Personen aus Syrien, aus Irak, aus Afghanistan sind unterdurchschnittlich auffällig", sagte Münch. Allerdings gebe es kleine Gruppen, etwa aus dem Maghreb, die sehr auffällig seien und die man besonders in den Fokus nehmen müsse." Der Befund passt zu der Aussage von Gerald Tatzgern. Der oberste Bekämpfer des Menschenhandels in Österreich erläuterte in seinem Vortrag, kriminell würden besonders Menschen ohne Bleibeperspektive. In einem Punkt allerdings gab es durchaus einen klaren Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität: BKA-Chef Münch verwies auf rund 850 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte allein in diesem Jahr.