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Menschenhandel in Deutschland

21. Juni 2011

Für jede Imbissbude in Deutschland braucht man eine Genehmigung, für Prostitutionsbetriebe dagegen gibt es keine Vorschriften. Das soll sich ändern. Vor allem Migrantinnen werden von Menschenhändlern brutal ausgebeutet.

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Bild einer moldawischen Kampagne gegen Menschenhandel: Eine Hand hält eine eingeschüchterte Frau, eine andere Hand ein Bündel Geldscheine

"Ich mache deine Kinder kaputt", mit dieser Drohung zwang eine rumänische Zuhälterin die junge Mutter Laura (Name geändert) in einer deutschen Kleinstadt zur Prostitution. Laura hatte in ihrer Heimat Rumänien keine Arbeit gefunden. Sie wurde mit dem Versprechen nach Deutschland gelockt, dass sie hier als Kellnerin arbeiten könnte. Doch nach ihrer Ankunft wurde sie geschlagen und eingesperrt. Mit der Todesdrohung gegen ihre kleinen Kinder in der Heimat zwang man sie, die sexuellen Wünsche deutscher Männer zu erfüllen. Laura klingt traurig und angewidert, wenn sie von diesen Männern spricht.

Laura konnte nach einigen Tagen aus dem Bordell fliehen. Eine Passantin begleitete sie zur Polizei. Sie fand Zuflucht in einer Schutzwohnung der Hilfsorganisation Solwodi. In 15 deutschen Städten kümmern sich deren Mitarbeiterinnen um Frauen in Not. Auch Helga Tauch, Leiterin von Solwodi Nordrhein-Westfalen, nimmt immer wieder Frauen aus dem wachsenden Rotlichtmilieu auf: "Ich habe sie als schwerst traumatisiert erlebt, ohne Kleidung, oft über Tage lang nicht richtig ernährt, durstig, verfroren und kaputtgemacht."

Eine junge Frau steht mit ihrem Baby auf dem Arm vor einer Beratungsstelle der Organisation Solwodi (Foto: DW)
'Laura' drohte man, ihre Kinder zu ermordenBild: DW

BKA geht von großem Dunkelfeld aus

Fälle wie den von Laura bekommt Heidemarie Rall aus ganz Deutschland auf den Schreibtisch. Sie leitet das Sachgebiet Menschenhandel beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden.

"Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung betrifft in der Regel Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden. In den letzten Jahren sind rund 800 Opfer von Menschenhandel verzeichnet, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs."

Bild der Kriminalbeamtin Heidemarie Rall vor dem Amtsschild des Bundeskriminalamtes (Foto: DW)
Heidemarie Rall (BKA): Nur die Spitze des EisbergsBild: DW

Denn das BKA erfasst nur Ermittlungsverfahren, die abgeschlossen wurden. Auch bleibt unberücksichtigt, wenn Frauen nicht gegen die Täter aussagen oder gar nicht erst in Kontakt mit der Polizei kommen: "Es gibt sicherlich ein sehr hohes Dunkelfeld."

Imbissbude braucht Genehmigung, Bordell nicht

Fassade eines Bordells mit abgedunkelten Fenstern, davor ein Schnellimbiss (Foto: DW)
Bordellbetrieb hinter verdunkelten FensternBild: DW

Behörden und Polizei haben seit dem Prostitutionsgesetz von 2002 weniger Möglichkeiten, dieses Dunkelfeld auszuleuchten. Die Prostitution wurde damals legalisiert, aber man beschloss dafür keine verbindlichen Vorschriften.

Wer in Deutschland ein Bordell eröffnen will, braucht keine Erlaubnis der Behörden. Wer dagegen Würstchen oder Pommes verkaufen will, muss sich das genehmigen lassen und wird von den Behörden kontrolliert.

"Das ist geradezu schizophren", sagt Staatssekretär Josef Hecken aus dem Frauen- und Familienministerium. Sein Haus will ein neues Gesetz vorlegen, um Menschenhandel und Zwangsprostitution besser bekämpfen zu können.

Diese Forderung erheben auch die Innenminister der deutschen Bundesländer und der Bundesrat. Viele Polizisten warten seit Jahren auf solche Gesetzesänderungen. Detlef Ubben leitet in Hamburg die Polizei-Dienststelle gegen die kriminelle Ausbeutung von Prostituierten: "Im Moment ist es so, dass jeder verurteilte Gewalttäter ein Bordell aufmachen kann." Das gilt sogar für vorbestrafte Menschenhändler.

Die Angst bleibt

Auch die Bulgarin Olga (Name geändert) war in der Gewalt eines Menschenhändlers. Sie wuchs in einem Kinderheim auf und wurde mit 16 Jahren von ihrer Mutter an einen Zuhälter verkauft, der sie nach Deutschland schleuste. Olga wurde mit vielen anderen Mädchen auf engstem Raum eingesperrt, geschlagen und unter Drogen gesetzt. Wenn sie zu wenig Geld verdiente, bekam sie nichts zu essen.

Das alles geschah in einer großen deutschen Stadt, deren Namen Olga bis heute nicht nennen will, genauso wenig wie ihren richtigen Namen. Sie fühlt sich immer noch bedroht, auch wenn die Polizei sie schon vor Jahren aus dem Rotlichtmilieu befreite:

Die Mitarbeiterin der Hilfsorganisation Solwodi legt einer Frau den Arm auf die Schulter und führt sie zu einem Behördeneingang (Foto: DW)
'Olga' wird von Solwodi zu deutschen Behörden begleitetBild: DW

"Ich hab immer noch ab und zu Angst, mein Zuhälter würde mich finden. Der hat mich schon einmal gefunden und ich musste wieder diese Prostitution machen." Sicher fühlt sich Olga bisher nur bei der Hilfsorganisation Solwodi, deren Mitarbeiterinnen sie auch bei Behördengängen begleiten.

Große Nachfrage, große Profite

Die Nachfrage nach käuflichen "sexuellen Diensten" ist groß. Es werden Milliardenprofite gemacht. Menschenhandel gilt neben dem Waffenhandel als eine der größten Einnahmequellen der organisierten Kriminalität. Die meisten Frauen aber werden ausgebeutet. Das gilt vor allem für Migrantinnen, die im Ausland oft besonders hilflos sind, weil sie dort meist keine sozialen Kontakte außerhalb des Rotlichtmilieus haben, weil sie ihre Rechte nicht kennen und sich der Polizei zunächst nicht anvertrauen wollen.

Ein Schild vor einem Parkplatz bietet den Kunden eines Bordells kostenloses Parken an (Foto: DW)
Kostenlose Parkplätze für die Freier der BordelleBild: DW

Viele der in Deutschland ausgebeuteten Frauen stammen aus Osteuropa, in letzter Zeit verstärkt aus den EU-Neumitgliedsstaaten Bulgarien und Rumänien. Immer mehr Frauen haben keine oder eine schlechte Ausbildung, die meisten sprechen kaum Deutsch. Zuhälter und Bordellbesitzer sagen auf Nachfrage, dass die Frauen als Selbstständige arbeiten. Tatsächlich aber bestimmen meist andere, wann, wo und wie lange die Frauen arbeiten.

Zuhälter und andere Profiteure üben massiven Druck auf die Frauen aus, die Wünsche der Freier zu erfüllen. Denn nur so verdienen sie mit den Frauen sehr viel Geld. Den Frauen stellen sie dann oft noch umfangreiche Kosten in Rechnung, die diese abarbeiten sollen. Dazu gehören auch Zahlungen an die deutschen Steuerbehörden.

Fast rund um die Uhr bereit und oft krank

Beispiel Oberhausen im Ruhrgebiet: Die Bordellstraße ist durch eine Bretterwand vom normalen Wohngebiet abgeschirmt. Hinter der Wand schlendern fast rund um die Uhr Männer aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen an Glastüren und Fenstern vorbei.

(Foto: DW)
Gut besucht: eine Bordellstrasse im RuhrgebietBild: DW

Dahinter sitzen Mädchen und Frauen in aufreizenden Dessous auf Barhockern. Viele weitere warten in einem schummerigen Laufhaus vor ihren Zimmern auf Kunden: ein Leben ohne Tageslicht, in stickiger Luft.

14 bis 20 Stunden, so berichtet die rumänische Sozialarbeiterin Lilli (auch sie will ihren richtigen Namen nicht nennen), müssen sich die Frauen bereithalten, weil ihre Zuhälter Druck machen. Für das Zimmer zahlen die Frauen 100 bis 130 Euro pro Tag an den Bordellbetreiber.

Pro Freier aber gibt es immer weniger Geld, denn die Konkurrenz ist groß. Für den eigenen Bedarf bleibt den Frauen kaum etwas übrig, und sie sind nicht krankenversichert. Dafür sind viele Frauen krank, leiden an Hepatitis oder Syphilis.

(Foto: DW)
Hilfsangebot an Frauen, die in der Prostitution arbeitenBild: DW

Verpflichtende Gesundheitskontrollen in der Prostitution gibt es in Deutschland seit 10 Jahren nicht mehr.

Sozialarbeiterin Lilli verteilt Visitenkärtchen und fragt, ob sie helfen kann: beim Deutschlernen, beim Umgang mit Behörden, Ärzten, oder wenn eine Frau aussteigen will. Wenn kein anderer hinhört, dann erzählen ihr manche Frauen, dass es ihnen schlecht geht, dass sie Schmerzen haben. Und dass sie verzweifelt sind.

Rücksichtslose Freier bleiben straffrei

Nur wenige Freier interessieren sich dafür, wie sich die Frauen fühlen. Diese Erfahrungen haben auch Laura und Olga gemacht. Die meisten Freier hätten ihnen gesagt, dass es ihnen egal sei, wenn es der Frau schlecht geht: "Ich habe bezahlt und du machst das." Solche Aussagen finden sich auch in Freier-Foren und Bordell-Communities im Internet: "Die Frau soll nicht rumquatschen, das interessiert mich nicht."

Olga war im 9. Monat schwanger, als ein Mann sie verprügelte und nachts im Wald aus dem Auto warf, weil sie nicht ohne Kondom arbeiten wollte. Sie will nicht mehr darüber sprechen, was danach geschah. 

Der Kriminalbeamte Lothar Wecker, der bei der Koblenzer Polizei die Arbeitsgruppe Menschenhandel leitet, beklagt die Haltung vieler Freier: "Es ist entsetzlich, wie häufig ungeschützter Verkehr ohne Kondom und Analverkehr erfragt wird". Helga Tauch von Solwodi Nordrhein-Westfalen berichtet von schlimmen Verletzungen bei manchen Frauen, von Spuren "harter sexualisierter Gewalt". Allerdings machen sich Freier von Zwangsprostituierten in Deutschland nicht strafbar.

In Prozessen werden Zeuginnen bedroht

Laura hat dazu beigetragen, dass wenigstens ihre Zuhälterin ins Gefängnis kam. Sie hat in einem Prozess ausgesagt. Die Zeuginnenaussage ist nach geltendem Recht die einzige Chance, Menschenhändler vor Gericht zu bringen. Doch viele Frauen wagen das nicht. Auch Olgas Zuhälter hat den Frauen gedroht, sie umzubringen, wenn sie gegen ihn aussagen.

Ein Männerfuß, der angekettet ist (Foto: dpa)
Täter dingfest zu machen, gelingt nur mit der Aussage der FrauenBild: picture alliance/dpa

Dass das keine Ausnahme ist, bestätigt die Anwältin Petra Maria Borgschulte. Sie vertritt seit fast 20 Jahren Frauen in Menschenhandelsprozessen vor Gericht:

"Es gab Fälle, wo per SMS auf das Handy eine Art Todesdrohung formuliert wurde. Es gab Fälle, dass Familienangehörige im Heimatland bedroht wurden, oder dass dort dann auf einmal Unfälle passierten."

Die Konfrontation mit den Tätern belastet die Frauen sehr, das bestätigt auch Nancy Gensmann, Leiterin der Solwodi-Beratungsstelle in Koblenz. "Die Strafen für die Täter fallen dann oft erschreckend gering aus", erzählt Gensmann. Weil die Beweisführung so schwierig sei, komme es oft nach Absprachen mit den Beklagten zu Freiheitsstrafen auf Bewährung: Die Täter bleiben dann auf freiem Fuß.

Der schwierige Weg ins selbstbestimmte Leben

Die Hilfsorganisation Solwodi begleitet die Frauen durch das ganze Gerichtsverfahren. In den Schutzwohnungen bekommen sie zunächst Sicherheit, Kleidung und Nahrung, später Therapieangebote, Sprachkurse oder Ausbildungshilfen. Ein langer Weg mit vielen Rückschlägen, weil viele Frauen stark traumatisiert und sehr verängstigt sind. Laura und Olga wollen die Vergangenheit hinter sich lassen und sich mit Hilfe von Solwodi ein neues Leben aufbauen. Olga wünscht sich, Köchin zu werden, "denn das ist mein Traumjob".

Traumjob Köchin – Olga hat viele Jahre gebraucht, um endlich das zu tun, was sie selber will. Sehr viele Frauen aber schaffen das nicht. Das kann erst besser werden, davon sind Helferinnen wie Polizeibeamte überzeugt, wenn es klare Regeln und Kontrollen für Prostitutionsbetriebe gibt. Nur so könnte verhindert werden, dass Frauen gegen ihren Willen und unter unwürdigen Bedingungen Männern ihre sexuellen Wünsche erfüllen müssen, während andere den Großteil des Geldes kassieren.

Zwei Sozialarbeiterinnen erklären "Olga" an einem Tisch wichtige Unterlagen (Foto: DW)
Hilfe von Solwodi-MitarbeiterinnenBild: DW

Autorin: Andrea Grunau
Redaktion: Anja Fähnle/Hartmut Lüning