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Zu Fuß über die Alpen: Ein Erlebnisbericht

Benjamin Restle
4. August 2023

DW-Reisereporter Benjamin Restle wagte sich im Sommer an eine Alpenüberquerung. Dabei sind die Folgen des Klimawandels gerade hier besonders greifbar und mitunter gefährlich.

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Die Alpen erfreuen sich bei Wanderern und Kletterern großer Beliebtheit
Die Alpen erfreuen sich bei Wanderern und Kletterern großer BeliebtheitBild: Benjamin Restle/DW

Es ist ein Julimorgen kurz vor 9 Uhr als das Abenteuer Alpenüberquerung beginnt. Mein Vater, ich und eine Handvoll weiterer Bergsportbegeisterter sind extra ins österreichische Wildental gereist, um uns dieser Herausforderung zu stellen. Unsere Route wird uns etappenweise durch Tirol bis nach Norditalien führen. Unser Ziel: Die Kurstadt Meran, die "Perle Südtirols", die einst schon Österreichs Kaiserin Sissi bezauberte.

Unser Guide Ludwig Pittl, ein pensionierter Arzt mit strahlend blauen, wachen Augen und schelmischem Lachen, wird uns sechs Tage lang begleiten. Luggi, wie ihn Freunde nennen, stammt aus einem Dorf bei Innsbruck und wandert seit der Jugend. 

Luggi Pittl lehnt an einen Zaun, im Hintergrund ist das Italiens Passeiertal zu sehen
Luggi Pittl von ASI Reisen leitet seit sieben Jahren BergtourenBild: Benjamin Restle/DW

Mit festgeschnürten Wanderschuhen, befüllten Wasserflaschen und leichten Tagesrucksäcken marschieren wir los. Die Sonne lacht vom wolkenlosen Himmel. Das Tal strahlt in saftigem Grün. Frischgemähte Wiesen und dunkle Tannen prägen das Bild. Am Horizont erhebt sich eine mächtige Gebirgskette. 

Die Stimmung ist ausgelassen, schnell kommen wir mit den anderen Teilnehmern ins Gespräch. Viele sind Ruheständler, bringen Wandererfahrung mit, mein Vater und ich hingegen sind Bergsport-Novizen. 

Wir biegen auf einen schattigen Schotterweg ab und folgen dem Lauf des Wildenbachs. Zu hören ist außer dem Rauschen des Wassers, dem Knirschen kleiner Steine unter unseren Schuhsohlen und sporadischem Vogelgezwitscher: nichts. 

Stau am Berg

Doch lange haben wir dieses Idyll nicht für uns allein. Immer wieder begegnen wir anderen Wandergruppen und Ausflüglern auf E-Bikes. Kurze Zeit später, als wir den ersten Anstieg unserer Reise antreten, kommt es zum Stau. Dutzende Hobbywanderer, viele ebenfalls unter Aufsicht eines Guides, kämpfen sich langsam den Pass empor. Doch angesichts des schmalen Gebirgspfads und steil abfallender Hänge ist Überholen unmöglich. 

Österreich Widdersteinhütte Allgäuer Alpen - Bundesland Vorarlberg, Österreich
Die Widdersteinhütte in Österreich liegt auf rund 2000 Metern HöheBild: Benjamin Restle/DW

Zur Mittagszeit erreichen wir schließlich eine Berghütte, am Fuß des Großen Widdersteins. Die Anstrengung hat sich gelohnt. Von hier eröffnet sich ein weitläufiger Panoramablick auf die Lechtaler Alpen und hinein ins Tal. Zeit für ein kühles Getränk und eine Stärkung.

Klimawandel bedroht Bergtourismus

Doch tatsächlich ist die Zukunft solcher Berghütten zunehmend ungewiss. Schuld daran ist der Klimawandel, wie Tobias Hipp vom Deutschen Alpenverein sagt. Hipp ist Experte für Gletscher, Klimawandel und Naturschutz. Er promovierte zu den Auswirkungen des Klimawandels auf alpinen Permafrost.

Die Folgen der Erderwärmung seien im europäischen Alpenraum am "krassesten zu sehen." Das eindeutigste Beispiel sei das Gletscherschmelzen, "dort haben wir in den letzten zehn Jahren extreme Rückgänge von durchschnittlich 20, 30 Meter pro Sommer im Ostalpenraum, also in Österreich und Norditalien," so Hipp.

Berggletscher sind wichtige Wasserspeicher. Schmelzen sie ab, hat dies schwerwiegende Folgen. "Das hat natürlich Auswirkungen auf Berghütten und deren Wasserversorgung. Viele Quellen im Hochgebirge werden vom Gletscher gespeist, und dort hatten wir eine Wasserknappheit," sagt Hipp. Besonders sichtbar wird das Problem an der Pasterze, Österreichs längsten und größten Gletscher am Großglockner.

Ein Schild an Österreichs Pasterze-Gletscher zeigt den Gletscherstand von 2005
An Österreichs Pasterze-Gletscher sind die Folgen des Klimawandels besonders deutlich zu sehenBild: Gerken & Ernst/imageBROKER/picture alliance

Doch auch Wanderwege und Klettersteige sind vom Klimawandel bedroht. Abschmelzende Gletscher beispielweise lassen Geröllhalden zurück, die zu vermehrtem Steinschlag führen können. Dieser bedroht auch tieferliegende Wanderrouten. Ebenso gefährlich ist das kontinuierliche Abschmelzen von Permafrost, das Gesteinsformationen wie Kitt zusammenhält. Weicht er auf, kann es zu massiven Bergstürzen kommen, wie unlängst am Fluchthorn an der Grenze zwischen Österreich und der Schweiz. Rund eine Million Kubikmeter Gestein brachen ab.

Zwar hat es immer schon Stein- und Bergstürze gegeben. Doch scheint die Klimaerwärmung deren Intensität und Häufigkeit nur zu verstärken.

Friedl Knönauer, ein passionierter Alpinist vom Bund Naturschutz in Bayern e. V., vermutet deshalb, dass zukünftig "in bestimmten Gebieten gewisse Wanderwege und Klettersteige nicht mehr zu halten sind." Sein Ansatz ist so pragmatisch wie fatalistisch: "Diese klimatische Erhitzung bringt Veränderungen, und wir müssen uns anpassen." Knönauer hält wenig davon, in die Natur einzugreifen, um unpassierbare Routen etwa anhand von Hängebrücken wieder begehbar zu machen. "Man soll die Natur Natur sein lassen."

Schlussetappe

Auf unserer Wanderung indes deutet wenig auf die gestiegenen Gefahren des Bergtourismus hin. Außer einem einsamen Schild entlang des Meraner Höhenwegs, das vor Steinschlag warnt, lassen sich die Folgen der Klimaerwärmung auf das alpine Ökosystem und den Tourismus leicht ausblenden. 

Ein Schild entlang des Meraner Höhenwegs warnt vor Steinschlaggefahr
Ein Schild entlang des Meraner Höhenwegs warnt vor Steinschlaggefahr Bild: Benjamin Restle/DW

Entsprechend euphorisch fühlen wir uns am letzten Tag unserer sechstägigen Wanderreise, auf der wir 45 Kilometer gelaufen sind und auch einige Strecken mit Bus und Taxi zurückgelegt haben. Wir sind auf der Zielgeraden nach Meran. Und als wir den technisch wie konditionell anspruchsvollen Aufstieg von rund 500 Höhenmetern nach einigen Stunden gemeistert haben, erreichen wir erschöpft, schweißnass, aber überglücklich das auf 1200 Metern gelegene Gasthaus Talbauer. Bei Kaltgetränken genießen wir den weitläufigen Ausblick über Meran und ins Etschtal.

Anschließend geht es mit der Seilbahn hinab, wo wir uns in Merans malerischer Altstadt mit einer Kugel Eis für die Strapazen belohnen. Wir haben es geschafft.

 

Korrekturhinweis: Am Veröffentlichungstag wurde der Tippfehler Eschtal (das gibt es auch) in Etschtal (das war gemeint) geändert.