Sterben Friedhöfe aus?
31. Oktober 2017"Der liebste Platz, den ich auf Erden hab, das ist die Rasenbank am Elterngrab." So beschreibt ein Trauerlied aus dem 19. Jahrhundert die letzte Ruhestätte der Familie. In Zeiten der Globalisierung jedoch sind die Menschen mobil, oft leben Familienangehörige weit von einander entfernt. Dadurch sind sie häufig nicht in der Lage, das Familiengrab zu pflegen. Zudem ist eine Erdbestattung und die Pflege eines Grabes sehr teuer. Das hat dazu geführt, dass sich inzwischen über 50 Prozent aller Menschen in Deutschland für eine Einäscherungen mit Urnenbestattung entscheiden.
Alternativen zur Grabstätte
In einigen europäischen Ländern und in den USA können Hinterbliebene die Asche ihrer verstorbenen Angehörigen mitnehmen - eine Variante, die auch viele Menschen in Deutschland gerne wählen würden. Das Bestattungsgesetz verbietet dies allerdings. Es zwingt zur Beisetzung auf dem Friedhof oder auf einem dafür freigegebenen Gelände. Trotzdem bieten Bestattungsunternehmen so genannte Naturbestattungen an - oft geht es dafür aber ins Ausland.
Bei Naturbestattungen hat man die Qual der Wahl: Pflegefreie Urnengräber in Wäldern werden gern gewählt, genauso wie das Verstreuen der Asche auf See. Auch das Ausbringen der Totenasche auf Streuobstwiesen ist eine beliebte Variante. In Deutschland bietet FriedWald an mehreren Standorten Baumgrabstätten an. Besonders viele Alternativen bietet die Schweiz. Dort sind beispielsweise Almwiesenbestattungen, Felsbestattungen oder Flussbestattungen möglich.
Umbruch im Friedhofswesen?
"Etwa ein Drittel der heutigen Friedhöfe können in den nächsten fünf bis zehn Jahren in der jetzigen Form so nicht weitergeführt werden", schätzt Judith Könsgen von der Deutschen Friedhofsgesellschaft. Urnen benötigen weniger Platz auf dem Friedhof - man spricht von einem Zehntel der Fläche eines Erdgrabes. Dadurch sieht man auf nahezu jedem Friedhof unbenutzte Flächen. Judith Könsgen: "Dadurch sinken die Einnahmen der Friedhöfe trotz teils drastisch steigender Gebühren." Eine Quersubventionierung mit anderen Einnahmen von Kommunen sei verboten. Zugleich blieben die Fixkosten hoch.
Allerdings glaubt Michael Albrecht vom Verband der deutschen Friedhofsverwalter nicht ein rasches Sterben von Friedhöfen: "Es gibt hier keine eigenen bundesweiten Statistiken, aber in den letzten Jahren ist mir keine Friedhofschließung bekannt geworden. Bis etwa 2040 wird auch ein Anstieg der Zahl der jährlichen Sterbefälle auf mehr als 1,2 Millionen erwartet." Zudem gebe es bei Ruhefristen zwischen 15 und 30 Jahren für Gräber keine raschen Veränderungen bei Friedhöfen.
Mehr Flexibilität ist gefragt
Der Bonner Juraprofessor und Biorecht-Experte Tade Spranger fordert die Friedhofsverwaltungen auf, flexibler zu werden: "Oft ist dort vieles verboten, zum Beispiel bestimmte Bepflanzungen bei Gräbern oder Spielzeug auf Kindergräbern. Viele Friedhöfe gestatten auch keine Begräbnisse an Samstagen, obwohl Angehörige heute oft eine weite Anreise haben." Ohne Flexibilität schaufelten sich die Verwaltungen ihr eigenes Grab."
Die oberbayrische Gemeinde Planegg südwestlich von München hat auf die aktuellen Bestattungstrends reagiert und sucht neue Lösungen für Grabstätten. Ein eingeladener Experte für die Gestaltung von modernen Friedhöfen hat der Kommune vorgeschlagen, auf dem Friedhofsareal Streuobstwiesen anzulegen und Baum- und Wiesenbestattung anzubieten. Das Gelände würde dafür alle Voraussetzungen erfüllen.
Bestattungsunternehmen schaffen neue Angebote
Viele Menschen machen sich mittlerweile Gedanken über die ökologische Verträglichkeit und möchten die Umwelt nach ihrem Tod nicht unnötigerweise belasten. Sie entscheiden sich zum Beispiel für eine Bio-Urne aus Filz oder Holz, die sich schnell zersetzt. Das Bonner Bestattungshaus Hebenstreit & Kentrup reagiert auf die Wünsche ihrer Kunden mit dem Produkt "Grüne Linie" und bietet Grabmale aus regionalem Naturstein, Blumenschmuck aus der Jahreszeit oder Trauerkarten aus Naturpapier an.
Friedhöfe als Räume der Stille
Stadtplaner sehen Friedhöfe mehr und mehr als Naturräume, wo sich Fauna und Flora geschützt entwickeln können. Ein Forschungsprojekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) ergab vor drei Jahren, dass Friedhöfe "eine ruhige Alternative zu stark frequentierten öffentlichen Parks" seien. Besucher würden die Stille auch zum Lesen, Walken oder Sonnen nutzen. Diese Nutzung für Freizeitzwecke nehme zu, "je näher die Friedhöfe an Wohngebiete grenzen und eine fußläufige Erreichbarkeit gegeben ist".
Projektleiter Martin Venne sieht darin eine große Chance für Städte und Gemeinden. Denn rund drei Viertel der für die Studie befragten Friedhofsverwaltungen gaben an, es gebe bereits gezielte Maßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt, beispielsweise Nist- und Bruthilfen für Vögel. Das Projekt der Gemeinde Planegg könnte Schule machen.