Yücel-Kollegin: "Das ist irre und absurd"
1. März 2017Deutsche Welle: Frau Akrap, Sie haben mit Deniz Yücel bei der "taz" zusammengearbeitet und sind gut mit ihm befreundet. Vor der Gerichtsverhandlung konnten Sie ihn kurz sehen. Wie war dieser Moment für Sie?
Doris Akrap: Wir haben im Justizpalast vor dem Büro des Staatsanwaltes auf Deniz gewartet. Nach einigen Minuten kamen vier Polizisten, die Deniz den Gang entlang zum Büro führten, nicht in Handschellen, das war alles sehr zivil. Ihn zu sehen, war sehr surreal. Das letzte Mal hatte ich ihn Ende Oktober gesehen, als ich ihn in Istanbul besuchte. Diesmal hatte ich ein ganz komisches Gefühl, weil ich einfach nicht wusste, wie er aussehen würde und wie es ihm ging. Ihn zu sehen, war sehr beruhigend - auch wenn sein Bart und seine Haare sehr lang waren, sah Deniz verhältnismäßig gut aus. Er hat gestrahlt und sich sehr gefreut, uns zu sehen. Wir konnten ihn kurz umarmen und mit ihm sprechen. Er hat erzählt, dass es ihm gut gehe. Deniz war gerührt und wir auch. Danach hat er mit seinem Anwalt weiter geredet, um sich auf die Vernehmung durch den Staatsanwalt vorzubereiten.
Vor der Urteilsverkündung war Herr Yücel zwei Wochen in türkischem Polizeigewahrsam. Was wissen Sie von seinen Haftbedingungen?
Die Verhältnisse waren wohl soweit okay. Aber er ist in einem Polizeipräsidium, das darauf ausgelegt ist, Verdächtige maximal ein bis zwei Nächte festzuhalten - keine zwei Wochen. Es gibt kein ordentliches Essen oder ordentliche Betten. Nach dem Bericht eines Mithäftlings, der freigelassen wurde, hat Deniz alle aufgeheitert, Witze und Geschichten erzählt.
Im Moment besucht ihn zum ersten Mal sein Anwalt. Seine Anwälte rechnen damit, dass er in das Hochsicherheitsgefängnis in Silivri überstellt wird. [Dies ist inzwischen geschehen, Anm. d. Red.] Sollte Deniz weiter im Gefängnis bleiben müssen, wovon wir derzeit ausgehen müssen, ist es dort besser für ihn. Die Häftlinge sind in Silivri größtenteils politische Häftlinge, das heißt Journalisten oder Mitglieder der Oppositionsparteien, Leute, mit denen sich Deniz in der Zelle unterhalten kann.
Es ist das erste Mal, dass die türkischen Behörden mit einem deutschen Korrespondenten so umgehen. Wird an ihm ein Exempel statuiert?
Was im Protokoll von der Vernehmung durch den Haftrichter steht, ist kaum zu glauben. Als Beweise werden dort Texte angeführt, die Deniz Yücel in der "Welt" veröffentlicht hat - in einer liberalen deutschen Tageszeitung. Seine Reportagen und Berichte über die Politik vor Ort und über die PKK, sein Interview mit dem Vize-Chef der PKK-Rebellen, werden als Terrorpropaganda ausgelegt. Das ist irre und absurd.
Andererseits waren wir erleichtert, als die Anwälte uns berichteten, dass es ausschließlich um seine Texte geht. Damit war der Vorwurf, er sei Mitglied in einer terroristischen Vereinigung, nicht mehr gültig. Das Verständnis von journalistischer Arbeit, Pressefreiheit und natürlich auch Meinungsfreiheit scheint hier weit von dem entfernt zu sein, was weltweit darunter verstanden wird.
Wie erleben Sie die Journalisten in Istanbul?
Auch die Journalisten, die mit uns im Justizpalast waren und die Entscheidung des Haftrichters abgewartet haben, dachten zuvor, dass die Behörden sich nicht trauen würden, diese Willkür anzuwenden - vor allem vor dem Hintergrund, dass Deniz deutscher Staatsbürger ist und die deutsche Regierung und die Solidaritätsbekundung der deutschen Bevölkerung hinter sich weiß. Man muss natürlich betonen, dass hier in Dutzenden von Fällen gegen türkische Journalisten vorgegangen wird. Das ist für alle ein Schock. Aber man hat damit gerechnet, weil man den Staat mittlerweile kennt. Diese kleine Hoffnung, an der wir uns festgehalten haben, dass die türkischen Behörden es nicht wagen würden, wegen Deniz so einen diplomatischen Skandal loszutreten, ist damit enttäuscht worden.
Wie berichten türkische Medien über den Fall Yücel?
Deniz ist hier ein Fall von vielen. CNN Türk hat gestern Abend dann doch einen größeren Bericht über die Proteste in Deutschland gemacht. Eine Zeitung hat von dem "Terroristen-Liebhaber Deniz Yücel" berichtet. Heute ist ein 73-jähriger Journalist auch nur auf Grundlage solcher Texte verurteilt worden. Er gilt hier als einer der bekanntesten und renommiertesten Journalisten. Man glaubt eben, dass ein Journalist ein Aktivist sei, sobald er die Regierungspartei kritisiert. Das ist Willkür. Die Bundesregierung muss alle Hebel in Bewegung setzen.
Doris Akrap ist eine langjährige Freundin der Familie von Deniz Yücel und Journalistin der "Tageszeitung" (taz). Derzeit hält sie sich in Istanbul auf, um Deniz Yücel von dort zu unterstützen. In Deutschland ist sie Mit-Organisatorin der bundesweiten Autokorsos und der Protestaktion #FreeDeniz.
Das Interview führte Sabrina Pabst.