"Street Art ist die demokratischste Kunst"
17. September 2017Am 16./17. September 2017 öffnet es seine Türen in Schöneberg. Die Werke von über 130 "Urban Art" Künstlern sind zu sehen, unter ihnen "Street Art"-Größen wie Shepard Fairey, Herakut und 1010. Begleitet wird die Eröffnung von einem Straßenfest mit Freiluft-Yoga, Skaterpark und einer "Community Wall", die mit Sprühdosen bemalt werden kann. Gehören Graffiti nicht eigentlich an Hauswänden? Und dürfen sie auch in Museen gezeigt werden? Antwort auf diese Fragen gibt Yasha Young, künstlerische Leiterin und Initiatorin von "Urban Nation", einem Netzwerk, das seit 2013 Szene-Größen und aufstrebende Talente der Street Art nach Berlin einlädt, um Hauswände und Schaufenster zu gestalten.
DW: Das Museum, das es gar nicht geben dürfte - so der Slogan des Museum for Urban Contemporary Art. Was will dieses Museum, und was kann es sein, wenn Street Art genau genommen ja nur auf der Straße existieren kann?
Yasha Young: Richtig, Street Art gehört auf die Straße und soll auch da bleiben. Daher ist das Label "Museum für Street Art", auch wenn wir es oft benutzen, nicht ganz richtig. Wir sind viel mehr. Unser Museum ist beweglich gestaltet, so dass es Außen und Innen verbindet. Wir haben eine Wechselfassade an der Hauswand. Das heißt, die Kunst, die dort entsteht, kann abgenommen, ausgewechselt und auch innen ausgestellt werden.
Seit 2013 haben wir mit unserem Urban Nation-Netzwerk über 148 Wände in Berlin und der Welt bemalt. Beim Museum geht es nun um Nachhaltigkeit, weil diese große weltweite Kunst auch ein Zuhause braucht. Daher bieten wir im Haus ein Archiv, eine Bibliothek und eine jährlich wechselnde Show.
Aber wir werden auch weiterhin draußen arbeiten, etwa die "Project M"-Reihe fortführen, für die wir wichtige Menschen aus der Szene zu uns einladen, um im Außenraum zu arbeiten. Ferner haben wir ein Artist in Residence-Programm aufgelegt. Denn wir wollen unserem Motto "all nations under one roof" treu bleiben – und Verbindungen schaffen mit Politik, Wirtschaft, verschiedenen Communities und der Nachbarschaft. Wir werden ein Haus sein, in dem diskutiert wird und in dem Kunst eine eigene Sprachform ist.
Welche Künstler nehmen Sie auf? Werden die Werke eigens geschaffen oder – wie bei dem englischen Street Art Künstler Bansky schon geschehen – ganze Mauern abgetragen, um sie auszustellen?
Bis auf zwei, drei historische Werke aus der Kollektion, die man einfach zeigen muss, weil sie entscheidend für die Entwicklung der Szene sind, wurden alle Werke für unser Museum eigens geschaffen. Und es sind alles Künstler, die draußen auf der Straße angefangen haben – und auch weiterhin auf der Straße arbeiten.
Das ist das Schöne an "Urban Contemporary Art": Sie muss sich nicht im traditionellen Rahmen der zeitgenössischen Kunst bewegen. Das heißt, man muss nicht auf der Akademie studiert haben, Meisterschüler gewesen sein bevor es in die Galerien geht. In dieser Kunst behalten sich die Künstler frei, ob sie die Mauer, das Haus als Leinwand wählen oder auch drinnen malen, eine Animation machen, ein "Urban Gardening Projekt" oder sonst was wählen. Alles gehört zusammen.
Street Art extra für ein Museum anfertigen: Haben manche Künstler das auch abgelehnt, weil sie nicht unglaubwürdig erscheinen wollten?
Selbstverständlich, und das ist auch völlig in Ordnung. Generell war die Reaktion auf unsere Idee zur Museumsgründung durchweg positiv in der Szene. Aber letztlich entscheidet jeder Künstler selbst, ob er ins Museum gehört oder nicht. Wir acht Kuratoren hatten uns auf 130 von 780 Künstlern aus unserer Gesamtauswahl geeinigt, und alle haben sofort gesagt: "Wir machen auf jeden Fall mit!"
Mit der "Art Meile" rund ums Museum haben wir nochmal zusätzlich 43 Künstler gewonnen. Wir machen auch Performances und vieles mehr. Ich glaube, dass sich die Community über diese Anerkennung freut und darüber, dass es einen "Hub" gibt, wo sie auch in Zukunft etwa durch das Artist in Residence-Programm arbeiten können.
Wenn Street Art-Künstler nun plötzlich von einem Museum geadelt werden – entsteht da nicht eine Elite innerhalb einer eigentlich nicht elitären Kunst?
Auf gar keinen Fall. Ich liebe Kritik, aber die Leute, die uns das vorwerfen, müssen sich intensiver damit auseinandersetzen, was wir alles machen. Bei uns trennt sich das nicht in Elite und Nicht-Elite – im Gegenteil. Unser Ansatz ist zu integrieren, und zwar, durch Sozialarbeit und die Bereitstellung von Projekträumen.
Mit unseren Förderprogrammen unterstützen wir nicht nur Künstler, sondern auch Kuratoren, die bei uns lernen können, wie man kuratiert. Street Art ist die demokratischste Kunstform, die man überall auf dieser Welt sieht. Daher wollen wir auch Verantwortung übernehmen und uns mit Stadtplanern, Architekten und Hochschulen zusammensetzen, um diese Kunstform weiter voran zu treiben.
Street Art lebt auch davon, übermalt zu werden. Wie funktioniert dieser Wechsel im Museum?
Es gibt Werke, die schon viele Jahre existieren, wie zum Beispiel den "Mann auf dem Mond" in Berlin-Kreuzberg. In den USA ist etwa Shepard Faireys "Angry Giant" immer noch da und mindestens zwölf Jahre alt. Der Wechsel ist allerdings unvermeidbar. Wenn jemand ein Graffiti übermalen will, kann ihn keiner hindern. Und das ist auch in Ordnung.
Die Szene hat jedoch einen natürlichen Respekt vor ihren älteren Wegbereitern und auch den Jungen, die sich profilieren wollen. Wir im Haus werden einmal im Jahr ein große Show kuratieren. Dazwischen freuen wir uns auf schöne "Open Studios" von den Künstlern, die bei uns arbeiten und die man besuchen kann.
Berlin schafft sich mit dem Museum ein weiteres Denkmal als besonders hippe, offene Stadt.Wäre dieses Museum für Street Art für Sie auch anderswo denkbar?
Nein, ich gehe sogar so weit zu sagen, dass nicht nur Berlin, sondern Schöneberg der einzig richtige Standort für uns ist. Der Bezirk war immer mittendrin in den wichtigsten Geschehnissen. In Schöneberg hat David Bowie gearbeitet und Musik produziert, die Einstürzenden Neubauten und Marlene Dietrich haben hier gelebt, Klaus Kinski und Iggy Pop waren hier.
Wir haben uns intensiv mit der Geschichte beschäftigt und sie auch an die Künstler weitergereicht. Schöneberg ist der erste Schauplatz für die Community von Lesben und Schwulen. Damals gab es den ersten "Gentlemen Club" hier. Auch heute existiert hier ein solcher Schmelztiegel der unterschiedlichsten Kulturen – auf der einen Seite die Kurfürstenstraße, auf der anderen die Potsdamer mit Straßenstrich und vielen neuen Galerien. Ich finde, wir sind genau da richtig, wo wir sind.
Das Interview führte Tina Hüttl.