Das MoMA in Berlin
15. September 2004
Abwarten und Kaffee trinken - im Stehen, Sitzen, Hocken: zu Tausenden, jeden Tag, bei jedem Wetter. Sie alle haben ein Ziel: Picasso, Matisse, Hopper - die Stars der MoMA-Ausstellung in Berlin. Trotz der Wartezeiten von bis zu neun Stunden sahen täglich etwa 10.000 Besucher die Werke aus dem New Yorker Museum of Modern Art. Am Sonntag (19. September) ist in Berlin nun endgültig Schluss.
Nachhilfe in moderner Kunst
Die 200 Ikonen der Moderne haben auch Besucher angelockt, die sonst nur selten ins Museum gehen. Sie sahen Marcel Duchamps Fahrrad-Rad, die riesige Filz-Draperie von Robert Morris und 8,5 Quadratmeter Seerosen aus Claude Monets Garten. Präsentiert wurde ihnen eine Sammlung mit universellem Anspruch: ein repräsentativer Überblick der modernen Kunst von Paul Cézanne und Vincent van Gogh bis zu Frank Stella und Gerhard Richter. Nie zuvor waren die Klassiker der Moderne derart geschlossen außerhalb der USA zu sehen. Für die Kunst reisten viele Interessierte aus ganz Deutschland an. Seit der Eröffnung am 20. Februar erlebte Berlin den seit dem Zweiten Weltkrieg größten Besucherandrang bei einer Kunstausstellung.
Sehnsucht zu sehen
Die Warteschlange um die Nationalgalerie ist während der sieben Monate selbst zur Attraktion geworden - als "soziales Kunstwerk". Sie spricht alle Sprachen und vereint die Wartenden. Das Ergebnis: ein Gemeinschaftsgefühl wie 1995 bei der Verhüllung des Reichstages durch das Künstlerpaar Christo & Jeanne Claude (mehr als fünf Millionen Besucher).
Es dauerte fünf, manchmal sieben, acht oder gar neun Stunden, um in die heiligen Hallen der Neuen Nationalgalerie vorzudringen. An solchen Tagen wickelte sich die Menschenschlange gleich drei Mal um den Mies van der Rohe-Tempel. An Wochenenden bewährten sich die "MoMAnizer". Mit interessanten "Kunstgeschichten" verkürzten Studenten den Wartenden ihre imaginäre Reise nach New York. In der gleichen Zeit wäre der Flieger allerdings längst jenseits des Atlantiks und der Besucher im "echten" MoMA angekommen.
"Affront" gegen Europa?
Doch es gab auch grundsätzliche Kritik an der Ausstellung: Im zweiten Teil über die Nachkriegsmoderne kommen europäische Künstler nur sporadisch vor. Namen wie Nam June Paik, Joseph Beuys, Georg Baselitz oder Sigmar Polke fehlen ganz. Werner Spies, der ehemalige Direktor des Centre Pompidou in Paris, sieht darin eine Verfälschung der Kunstgeschichte der vergangenen 50 Jahre. Die Schau verschweige in "ungeheuerlicher" Weise den Beitrag der Europäer zur Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die Politik förderte das MoMA in Berlin mit Nachdruck. Der amerikanische und der deutsche Außenminister übernahmen die Schirmherrschaft. Die Bundesregierung deckte die hohen Versicherungsrisiken ab.
Stoff für Diskussionen bot auch die hohe Leihgebühr für die Kunstwerke: Neun Millionen Euro überweist der Verein der Freunde der Nationalgalerie ans New Yorker MoMA. Für die New Yorker ein lohnendes Geschäft: Während des MoMA-Umbaus hätten die Gemälde und Kunstobjekte ohnehin ausgelagert werden müssen.
Rosarotes Finale
In Berlin sind die Werke nun unwiderruflich zum letzten Mal am 19. September zu bewundern. Stoßsicher verpackt, gehen sie dann auf die Rückreise nach New York. Im November öffnet dort das renovierte Museum of Modern Art seine Türen.
Mit einem grandiosen Feuerwerk sagt das MoMA den Berlinern am 19. September "bye, bye": Für kurze Zeit soll der Himmel über der Neuen Nationalgalerie ganz typisch MoMA-Pink leuchten. Bis zum Countdown läuft noch der "MoMArathon": Während der letzten vier Tage bleibt die Ausstellung rund um die Uhr geöffnet.
Das MoMA in Berlin, Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin-Tiergarten. Öffnungszeiten: von Donnerstag, 16. September 2004, ab 8 Uhr, durchgehend geöffnet bis Sonntag, 19. September 2004, 22 Uhr.