Kein Ende in Sicht
19. Dezember 2013Vorhang auf. Auftritt: Der Vorsitzende Richter Frank Rosenow. Die Beteiligten sollen bis Anfang Januar überlegen, "ob an eine Einstellung des Prozesses gedacht werden kann." Es ist ein Vorschlag, der sofort als Eilmeldung durch die deutschen Medienhäuser läuft.
Denn der Fall, um den es geht, bewegt Deutschland seit mehr als einem Jahr. Im Zentrum der tragisch-glückliche Held des Gerichtsprozesses: Christian Wulff. Ehemaliger Strahlemann der CDU, ehemaliger niedersächsischer Ministerpräsident, ehemaliger Bundespräsident.
Die Medien brachten den Korruptionsprozess gegen ihn durch Recherchen und Kampagnen ins Rollen. Unter dem öffentlichen Druck trat Wulff als Bundespräsident zurück. Anschließend ermittelte die Staatsanwaltschaft unermüdlich: 93 Zeugen wurden im Vorfeld ausführlich vernommen, rund eine Million elektronische Dateien gesichtet, 37 Telefonanschlüsse und 45 Bankkonten überprüft, 380 Aktenordner sichergestellt.
Doch am Ende blieb von den Ermittlungen nur ein einziger strafrechtlich relevanter Punkt übrig - und der wird seit dem 14. November vor dem Landgericht Hannover verhandelt.
Exposition: Es geht um rund 750 Euro
Laut Anklage hat sich Wulff - zu der Zeit, als er noch Ministerpräsident in Niedersachsen war - der Vorteilsannahme schuldig gemacht: 2008 soll er sich zu einem Besuch des Oktoberfestes in München vom mitangeklagten Filmproduzenten David Groenewold haben einladen lassen. Im Gegenzug soll Wulff später bei der Firma Siemens um finanzielle Unterstützung für ein Filmprojekt des Unternehmers geworben haben.
Noch nie in der bundesdeutschen Geschichte wurde ein ehemaliges Staatsoberhaupt wegen Korruption angeklagt. Wulff ist der Erste - wegen rund 750 Euro. Darauf beläuft sich die Summe der Einladung für Verpflegung, Unterkunft, Babysitter.
"Es ist absurd", sagt Heribert Prantl, studierter Jurist und Redakteur bei der "Süddeutschen Zeitung" schon zu Prozessbeginn.Der Betrag sei lächerlich, die Staatsanwaltschaft habe sich von der medialen Hysterie anstecken lassen und sei ihrer Rolle als unabhängiger Wächter des Gesetzes nicht nachgekommen.
Dem widerspricht Dominik Wichmann, Chefredakteur der Illustrierten "Stern": "Das Verfahren ist keine Lappalie, nur weil es in der Summe um ein paar Hundert Euro geht", schrieb er.Verhandelt werde schließlich die Frage, ob ein späterer Bundespräsident korrumpierbar war. "Für unsere politische Kultur ist das Ergebnis deshalb wichtig."
Akt eins: Zeugen, die sich an nichts erinnern
Rund 20 Zeugen wurden bislang vernommen: die Babysitterin genauso wie Wulffs Noch-Ehefrau Bettina, eine Bedienung des Oktoberfestes ebenso wie ein deutscher Großverleger. "Ich weiß es nicht mehr", ist dabei der wohl meistgesagte Satz - etwa von den zehn Mitarbeitern des Hotels Bayerischer Hof, wo die Wulffs übernachteten. Oder von Wulffs ehemaligem Personenschützer, der das Paar nach München begleitete.
Keine Erinnerung an einen Abend im Restaurant, an einen Termin, an Abläufe, Absprachen und Zeiten. Wohl aber erinnern sich die Zeugen an andere Details - solche, die entlasten. So haben alle Zeugen bisher Wulff vor allem gestützt. Freunde und Verwandte zeichneten das Bild eines disziplizierten und äußerst korrekten Mannes. Prozessbeaobachter verwundert diese partielle Amnesie sehr - allerdings liegt das Wochenende, um das es geht, auch schon fünf Jahre zurück.
Akt zwei: Kopfschüttelnde Richter, passive Staatsanwälte
Mehr noch wundert die Beobachter: Die Richter fragten wenig, die Staatsanwälte häufig gar nichts - als fehlt eine Strategie, ein Plan, eine Basis für die Anklage. Wenn es doch einmal Fragen gab, so drehten sich diese um Details: Ob Wulff lieber Bananensaft trinke als Champagner oder wie viele Geldscheine er üblicherweise in der Hosentasche trägt. Und die Babysitterin wurde gar gefragt, was das Baby gemacht hat, als seine Eltern auf dem Oktoberfest waren.
Christian Wulff selbst beobachtete diesen Prozess bisher ganz als Medienprofi. Der Ex-Bundespräsident weiß, wie er sich präsentieren muss: mal zeigte er sich ernst, dann lächelnd, mal konzentriert, mal entspannt zurückgelehnt. Der Gerichtssaal wurde seine Bühne, auf der er sich sichtlich immer wohler fühlte, je weiter sich der Prozess zu seinen Gunsten entwickelte.
Akt zweieinhalb: Alles vorbei?
Ursprünglich hatte das Gericht bis April tagen wollen. Jetzt soll das Schauspiel frühzeitig enden, wenn es nach Richter Rosenow geht: Er wolle sich die Gesamt-Show ersparen, sagt der Richter am Donnerstag (19.12.2013) im Landgericht in Hannover. Ausschlaggebend dafür sei die mangelnde strafrechtliche Relevanz der Vorwürfe. Denn bislang habe keine bewusste Entgegennahme von Vorteilen festgestellt werden können. Anfang Januar sollten nur noch zwei weitere Zeugen gehört werden, Ankläger und Verteidiger ihre Plädoyers halten - wenn beide Parteien darauf eingehen.
Doch das scheint unwahrscheinlich: Die Fortsetzung wurde von beiden Seiten bereits angekündigt. Die Staatsanwaltschaft will die Beweisaufnahme fortführen. Noch seien nicht alle Zeugen gehört.
Und Wulff geht es ohnehin vor allem darum, seine Ehre zu retten. "Ich bin mir ganz sicher, dass ich auch den allerletzten Vorwurf ausräumen werde, weil ich mich immer korrekt verhalten habe im Amt", hatte er am ersten Prozesstag gesagt. Tatsächlich wird er jetzt wohl auf einen Freispruch drängen, kündigten Wulffs Anwälte an: "Das Zwischenfazit des Richters stimmt mit dem überein, was die Verteidigung die ganze Zeit vorgetragen hat. Es kommt nur noch ein Freispruch in Betracht."
Fortsetzung folgt. Doch jetzt ist erst mal Weihnachtspause. Und - Vorhang.