Der "Herr der Zahlen" Wolfgang Schäuble
17. September 2010Wolfgang Schäuble gilt als unerschrocken. Doch er hat Angst vor Oma Erna. Oma Erna bezieht eine ganz kleine Rente und hat einen Dackel. Und sie ist eine Kunstfigur, die im Bundesfinanzministerium erfunden wurde, um als fiktives Beispiel die jeweiligen Auswirkungen der Finanzpolitik zu verdeutlichen. Wolfgang Schäuble sollte als Bundesfinanzminister zum Beispiel die Mehrwertsteuer für alltägliche Nahrungsmittel, Hundefutter und Taxis von sieben auf neunzehn Prozent anheben. Der Vorschlag von Wirtschaftswissenschaftlern aus Saarbrücken hätte für Oma Erna einen herben finanziellen Rückschlag bedeutet. Bundesfinanzminister Schäuble schickte den Vorschlag zurück.
Als Schäuble 2009 zum Bundesfinanzminister bestellt wird, ist er 67 und damit schon in genau jenem Alter, in dem die Deutschen künftig in Rente gehen sollen. Doch das kommt für den CDU-Mann nicht in Frage. Er spricht von Ehre, Herausforderung und Loyalität, betont gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel aber auch: "Sie wissen auch, dass ich unbequem bin." Sie weiß es – und entscheidet sich genau deshalb für ihn.
Immer schon "Herr der Zahlen"
In seiner Position als "Herr der Zahlen" ist Schäuble tatsächlich unbequem für den Steuerzahler. Steuergeschenke wird es mit ihm zunächst nicht geben. Schäuble gilt zwar als Anhänger des Ökonomen John Maynard Keynes, der staatliche Konjunkturanreize empfahl. Aber die im Grundgesetz vereinbarte Schuldenbremse will Schäuble auf jeden Fall einhalten. Danach darf Deutschland nach 2016 keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Das bedeutet bis dahin, ganze 80 Milliarden Euro einzusparen. Wolfgang Schäuble erklärt dazu: "Das ist schon ungewöhnlich ehrgeizig. Viele glauben gar nicht, dass ich das schaffe. Aber wir schaffen das. Es wird also eingehalten."
Schäuble weiß, wovon er redet: Der im schwäbischen Hornberg aufgewachsene Sohn eines CDU-Landtagsabgeordneten studiert in Freiburg Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, promoviert im Steuerrecht und landet in der Steuerverwaltung des Landes Baden Württemberg. Schließlich wird er Regierungsrat im Finanzamt. Trotz seiner Fachkompetenz gibt Schäuble öffentlich zu: "Ich habe meinen Amtsvorgänger, insbesondere in der Finanz- und Bankenkrise nicht beneidet und jetzt beneide ich mich nicht einmal selbst". Zu Selbstmitleid neigt Schäuble allerdings nicht. Sein eigentliches Lebensmotto lautet, wie er es einmal selbst formulierte: "Nicht aufgeben. Sich anstrengen."
Leben als Pflichterfüllung
Nach diesem Motto rast Wolfgang Schäuble geradezu durch sein Leben. Während des Studiums engagiert er sich in der Jungen Union, dem Nachwuchs der Partei. Mit 30 ist er schon Bundestagsabgeordneter. Inzwischen gehört er dem Bundestag zum elften Mal an – Rekord! Im Abstand von 14 Jahren dient Schäuble gleich zweimal als Bundesinnenminister. Unter Kanzler Helmut Kohl handelt er in diesem Amt 1990 den Vertrag zur Wiedervereinigung Deutschlands aus.
Schäuble gilt als zäh und intelligent – dafür zollt ihm sogar der politische Gegner Respekt. Nach eigenen Angaben benötigt er nur eine Stunde für seine Steuererklärung, macht die Steuererklärung für seine Schwiegermutter gleich mit und schöpft Kraft in seiner Familie, bei seinen vier Kindern und seiner Frau. Aber auch aus dem Glauben. Der Protestant würde nie aus der Kirche austreten, nur um Kirchensteuer zu sparen, wie er selbst einmal betonte. Er liebt konservative Werte.
An diese Werte und seinen Glauben haben ihn auch persönliche Schicksalsschläge nicht zweifeln lassen. 1990 schießt ein geistig verwirrter Mann bei einer Wahlveranstaltung auf Schäuble. Seitdem ist der früher aktive Tennisspieler vom dritten Brustwirbel abwärts gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Wolfgang Schäuble gibt nicht auf.
Fatale Fehler
In der politischen Karriere des jetzigen Bundesfinanzministers gibt es auch Rückschläge. Schäuble nimmt 1994 ausgerechnet von einem Waffenhändler eine Parteispende über damals 100.000 Mark an. Seine Partei will die Summe lediglich als "sonstige Einnahme" verbucht haben. In einem Rechenschaftsbericht der CDU taucht die Summe jedenfalls nicht als Parteispende auf. Wolfgang Schäuble tritt, als dies bekannt wird, im Jahr 2000 von seinen Ämtern als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und als Bundesvorsitzender der CDU zurück, obwohl die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen einstellt. Und obwohl er parteiintern als Konkurrent gilt, will Angela Merkel fünf Jahre später, als sie Bundeskanzlerin wird, auf ihn nicht verzichten.
Er scheint der Richtige zu sein, vier Jahre nach den Terrorattentaten des Jahres 2001 als Bundesinnenminister die Gefahren von Deutschland fernzuhalten. Seine Vorschläge allerdings gehen vielen Bürgern und der politischen Opposition zu weit. Entführte Flugzeuge sollen von der Bundeswehr zur Not abgeschossen werden dürfen, der Staat für Ermittlungen auf sämtliche Computer zugreifen können. Und auch Daten von Autobahnmautstellen sollen Bewegungen von vermeintlichen Terroristen nachvollziehbar werden lassen. Die Proteste gegen diese Pläne fallen heftig aus.
Altersmilde
Er selber fühlt sich zu Unrecht angegriffen. Es gilt die freiheitlichen Werte zu verteidigen. Dazu allerdings müsse man auch entschlossen und entschieden handeln, erklärt er im Bundestag. Viele seiner Pläne werden dennoch politisch abgelehnt. Mehr Erfolg hat Schäuble schließlich mit der Erfindung der Islam Konferenz. Der regelmäßige Dialog zwischen Deutschen und Muslimen soll für eine bessere Integration sorgen. Schäuble setzt sich sogar bei der Europäischen Union für einen islamischen Religionsunterricht ein. Noch im Amt des Bundesinnenministers wirkt er plötzlich ruhiger. In einem Fernsehinterview kokettiert er: "Ich bin ja nicht mehr ganz jung, so entwickle ich inzwischen auch eine Art Altersmilde."
Als Wolfgang Schäuble 2009 im Rahmen einer Kabinettsumbildung zum Bundesfinanzminister ernannt wird, gilt für ihn wieder "Nur nicht aufgeben". Nach seinem Lebensmotto soll sich Schäuble vor einigen Monaten sogar aus dem Krankenhaus nach einer schweren Operation entlassen haben, weil er als Finanzminister bei wichtigen Verhandlungen sehr lange zu fehlen drohte. Die anhaltende Finanzkrise fordere das so, kommentiert er sein Pflichtbewusstsein, das er über Private Befindlichkeiten stelle. In einer TV-Talkshow hörte sich das so an: "Ich fühle mich fit, körperlich und geistig und auch seelisch – man muss ja auch manche Auseinandersetzung aushalten und mir macht Politik weiterhin Freude und dann ist eine große Herausforderung auch etwas, dem man sich gerne stellt."
Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Michael Borgers