Wohnungsnotstand in Dublin und Berlin
6. Juli 2019Mit mehr als 115.000 Wohn- und Geschäftsimmobilien allein in Berlin ist die Deutsche Wohnen der mit Abstand größte Vermieter in der Hauptstadt. Wer Anteile am Unternehmen hält, hatte in den vergangenen zehn Jahren nur wenig Grund, sich zu sorgen - bis vor ein paar Wochen. Nachrichten, der Berliner Senat plane, die Mieten in der Stadt für die kommenden fünf Jahre einzufrieren, brachte die Aktie ins Stolpern: 14 Prozent verlor das Papier der Deutsche Wohnen, der größte Knick nach zehn Jahren schier unaufhaltsamen Aufstieges.
Angst vor Enteignung
Es war lediglich das vorläufig letzte Scharmützel in Berlins Schlacht um das Wohneigentum. Berlin ist keine Stadt, in der man einfach so eine Mietwohnung findet. Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem. Mieten und Immobilienpreise in Berlin steigen und steigen. 2017, das zeigen Zahlen der Immobilienberatungsgesellschaft Knight Frank, war Berlin die Stadt mit den am schnellsten steigenden Immobilienpreisen - weltweit. Es gibt sogar eine ständig lauter werdende Forderung nach einem Referendum, um mächtige Vermieter enteignen und Wohneigentum in sozialen Wohnraum umwidmen zu können.
Sollten Berliner jetzt denken, sie hätten es schwer, dann sollten sie mal in Richtung Westen schauen, in die irische Hauptstadt Dublin. Die Stadt, und in kleinerem Maßstab das ganze Land, befindet sich in einer Wohnraumkrise, die die Verhältnisse in Berlin verblassen lässt.
Horrende Mieten
"Das ist die schlimmste Wohnungskrise, die wir je gehabt haben", sagt John Bisset. Er kämpft seit Jahren für bezahlbaren Wohnraum und arbeitet gegenwärtig mit einer Gruppe zusammen, die sich "Housing Action Now" nennt.
Über den Dubliner Immobilienmarkt kursieren wahre Horrorgeschichten. Für Mieter ist die Lage besonders schlimm. Die Mieten in der Stadt sind zurzeit die höchsten in ganz Europa und sie steigen weiter. Die Mieten übersteigen sogar jenes Niveau erheblich, dass sie in der Immobilienblase von vor zehn Jahren erreicht hatten. Seither sind sie um 37 Prozent gestiegen: So kostet ein Zwei-Schlafzimmer-Appartement in der Innenstadt mehr als 2000 Euro.
Entspann dich und schau in die Waschmaschine
Wer sich ein Bild davon machen will, wie unerschwinglich das Wohnen in der City geworden ist, sollte einen Blick auf Irlands größte Immobilien-Internetseite "Daft.ie" werfen. Ein durchaus typisches Beispiel, das große Aufmerksamkeit hervorgerufen hat, ist diese Anzeige: Beschrieben wird ein "Studio" in Innenstadtlage. Das Studio besteht in der Hauptsache aus einer kleinen Küche, in deren Mitte ein Bett steht, direkt gegenüber von Spülbecken und Waschmaschine. Der Werbetext spricht von einem Appartement, das "den höchsten Ansprüchen genügt". Miete: 750 Euro im Monat.
Für Bisset sind die hohen Mieten einerseits mit einem zu geringen Angebot an Wohnraum und andererseits mit "reiner Gier" auf Seiten der Vermieter zu erklären. Dabei seien die Schwierigkeiten, denen sich die Mieter gegenübersehen, aber nur ein Teil des Problems.
Wohnungsnot und Obdachlosigkeit
Der Staat müsse nach Bissets Ansicht dringend mehr Sozialwohnungen bauen. Zurzeit stehen etwa 50.000 Menschen allein in Dublin auf den Wartelisten für eine Sozialwohnung, während bereits 10.000 Menschen, darunter 4000 Kinder, obdachlos sind. Viele von ihnen sind in Hotels oder in sogenannten "Familien-Hubs" untergebracht, die einfach überfüllte Notunterkünften sind.
Während der Finanzkrise vor zehn Jahren platzte Irlands Immobilienblase und stürzte das Land in eine tiefe Rezession. Eine der Konsequenzen war, dass der Wohnungsbau im Land quasi zum Stillstand kam. Laut Bisset kam der staatliche soziale Wohnungsbau, der zuvor schon vernachlässigt worden war, unter die Räder. "Wir hörten auf, kommunale Wohnungen zu errichten und haben das Feld den Kräften des freien Marktes überlassen."
"Sterben nach den Gesetzen des Marktes"
Bisset glaubt, der Staat verfüge über genug Land, um Sozialwohnungen in großem Stil zu errichten. Finanziert werden könnte das durch staatliche Mittel und Zuschüsse etwa von der Europäischen Investitionsbank (EBRD).
"Aber dagegen gibt es starken Widerstand", sagt er. "Irland ist neoliberal, das gilt für die Wirtschaft wie für den Staat. Die politischen Parteien sind dem Modell verbunden. "Wir leben und sterben nach den Gesetzen des Marktes", ist die Botschaft, und viele Menschen haben darunter zu leiden.
Ein Problem, viele Lösungen
Die meisten Leute, die mit Wohnungsbau und Immobilien zu tun haben, sind sich einig, worin das Hauptproblem besteht: Jahre sinkender Bautätigkeit haben zu dem beklagenswerten Mangel an Wohnraum geführt. Unabhängig davon, ob es sich um Miet- oder Eigentumsobjekte handelt, ob es um private oder öffentlich finanzierte Vorhaben geht. Aber über die Lösung des Problems herrscht keine Einigkeit.
Marian Finnegan, Chef-Ökonomin von Irlands größer Immobilienagentur Sherry Fitzgerald, sagt, der Zusammenbruch des Immobilienmarktes vor zehn Jahren habe Investoren abgeschreckt - das habe zum dramatischen Angebotsmangel geführt. Und das Problem dauere noch an. "Unsere Investoren bekommen nicht so viel Profit aus ihrem Investment und ziehen sich zurück."
Obwohl immer mehr institutionelle Anleger auf dem Dubliner Immobilienmarkt strömen, geht das Marian Finnegan nicht schnell genug. Diese hätten noch kaum Einfluss auf die Angebotsseite gehabt. "Obwohl wir unsere Geschwindigkeit beim Bau erhöhen, kommen wir der Nachfrage nicht hinterher", sagt sie. "Meiner aktuellen Schätzung nach müssen wir in Irland 40.000 Einheiten jährlich bauen. Im letzten Jahr haben wir es auf 17.000 gebracht, im Jahr davor 14.000. In diesem Jahr könnten es 21.000 werden. In Dublin gab es im vergangenen Jahr 6700 Neubauten bei einem Bedarf von rund 14.000."
Ronan Lyons, Assistenz-Professor für Wirtschaft an Dublins Trinity-College, sagt, dass die Gründe für die Wohnungskrise in Dublin und den Mangel an Angeboten viel tiefer liegen als die Finanzkrise: "Bis in die späten 1980er Jahre hinein hatten wir in Irland generell eine schwache Nachfrage nach Wohnraum. Jedes Jahr haben wir Menschen durch Emigration verloren. Wir waren sozusagen ein Netto-Exporteur von Menschen - über Jahrhunderte hinweg. Erst seit ungefähr 30 Jahren muss Irland mit einer wachsenden Bevölkerung umgehen lernen. Wir treffen auf neue Herausforderungen, mit denen andere europäische Länder schon viel mehr Erfahrungen haben."
Ein europäisches Problem?
Bisset ist der Ansicht, es sei unvernünftig, bei der Lösung der Wohnungsprobleme auf die Kräfte des Marktes zu vertrauen: "Wenn wir nachdem, was vor zehn Jahren hier passiert ist, immer noch glauben, dass das der Weg sei, das Problem zu lösen, dann ist das verrückt. Bestimme Gruppen werden werden von diesem System profitieren, aber die große Mehrheit nicht. Der Markt reguliert sich nicht selbst. Und die normalen Menschen zahlen dafür einen hohen Preis."
Für ihn liegt der Schlüssel zur Lösung des Problems beim Staat, der sich mehr einbringen müsse. Bisset nennt Wien als Beispiel. Das sei eine Stadt mit einem sehr hohen Lebensstandard, in der fast 60 Prozent der Mieter in Wohnungen lebten, die der öffentlichen Hand gehören. In Dublin seien das nicht einmal zehn Prozent.
Lyons dagegen glaubt, das ein weiter gefächerter Zugang nötig ist: "Irland braucht ganz dringend sehr viele privat gebaute Mietwohnungen und ebenso dringend staatlich subventionierte Wohnungen und mehr sozialen Wohnungsbau. Es ist keine Frage des entweder-oder. Es braucht beides."
Er ist optimistisch, dass Irland irgendwann einmal ein gesundes und nachhaltiges Wohnungsbausystem entwickelt. Er glaubt aber auch, dass das gegenwärtige Schlüsselproblem in den Baukosten zu suchen ist. Besonders die dringend benötigten Appartementhäuser seien wegen der hohen Baukosten unrentabel.
Wieder ein Blick nach Österreich
Seiner Ansicht nach sei in Irland ein flexiblerer Umgang mit städtischem Bauland nötig, damit mehr in die Höhe gebaut und der Landverbrauch gemindert werden könnte. Irlands wenige Städte seien noch immer dafür bekannt, niedrige Häuser zu bevorzugen.
Er betont auch die Notwendigkeit für nachhaltigen Wohnungsbau zu Gunsten von Menschen mit niedrigem Einkommen, die Sozialwohnungen oder subventionierte Wohnungen brauchen. Wie Bisset blickt auch Lyon nach Österreich. Dort gibt es ein System, das es erlaubt, die Höhe der Miete an die Einkommen der Mieter zu binden und wo der Staat einspringt, wenn die Einkommen zu niedrig sind. "Wir brauchen ein System, in dem Wohnraum erschwinglich ist."
In Berlin und Dublin - und überall sonst auch
Während Bisset der Ansicht ist, dass Dublins Wohnungskrise ihren ganz eigenen Charakter hat, sieht er doch Parallelen zu dem, was in Berlin geschieht. Dort hat er gerade eine Veranstaltung besucht, bei der Wohnungsaktivisten aus ganz Europa nach einem Weg gesucht haben, ihre Anstrengungen zu koordinieren und sich zusammenzuschließen.
Auch auf dem Mietwohnungsmarkt gehe es inzwischen nur darum, möglichst viel Geld zu machen, beklagt Bisset: "Der Markt schaut nicht nach den Bedürfnissen. Er schaut nur danach, wie hoch die Rendite eines Investments sind. Das ist die Priorität. Und das Problem, dass auch bei Wohnungen die Gesetze des freien Marktes regieren, ist nicht auf Irland beschränkt - es ist ein europäisches Problem. Wir brauchen hier Lösungen, aber wir brauchen auch europäische Lösungen."