Woher stammt die Omikron-Variante?
14. Dezember 2021Unter Hochdruck suchen Forschende in aller Welt nach Antworten, welche Eigenschaften die neue Omikron-Variante hat und woher sie stammt. Das mag akademisch klingen, aber letztlich geht es darum, wann diese Pandemie endlich ein Ende hat und wie wir uns besser vor künftigen Varianten schützen können.
Auch wenn die Datenlage noch dünn ist, so viel ist klar: Omikron ist gefährlich! Durch ihre rund 50 Mutationen im Spike-Protein, über die der Erreger in die menschlichen Zellen eindringt, kann Omikron von den vorhandenen Impfstoffen weniger gut erkannt werden, sie entkommt mittels Immun Escape der Immunantwort weitgehend. Das heißt, auch Geimpfte können sich mit Omikron anstecken. Die neue Variante ist zudem ansteckender und mehr Infektionen in kurzer Zeit können die Gesundheitssysteme schneller überlasten. Und auch schwere Verläufe sind möglich, inzwischen mussten die ersten Omikron-Patienten ins Krankenhaus eingeliefert werden, und es gab den ersten Toten.
Deshalb sind Erst-Impfungen und Booster auch mit den vorhandenen Impfstoffen so wichtig. Omikron wird sich weiter rasend verbreiten und könnte in den nächsten Monaten die noch in vielen Teilen der Welt vorherrschende Delta-Variante verdrängen.
Denn so viel ist auch klar: Wahrscheinlich wird es so schnell nicht gelingen, den neuen Erreger weltweit vollständig auszurotten. Vielmehr wird SARS-CoV-2 sehr wahrscheinlich endemisch, sprich: Es gibt zwar keine weltweite Pandemie mehr, aber das Virus wird lokal zu bestimmten Zeiten immer wieder auftreten, so wie das Influenza-Virus im Winter auch immer wieder auftritt und wir uns mit einer jährlichen Grippeschutzimpfung davor schützen können.
Parallel zu anderen Varianten entstanden
Für die Wissenschaft ist das plötzliche Auftauchen dieser hochansteckenden Omikron-Variante hochinteressant, weil sie nicht etwa nur eine Weiterentwicklung vorheriger Varianten ist, sondern offenbar vor oder parallel zu Alpha, Beta, Gamma und Delta entstanden ist.
Weil sich Omikron so stark von den anderen Viren-Stämmen unterscheidet, sind die nächsten Viren-Verwandten nur schwer zu bestimmen, so Dr. Emma Hodcroft, Virologin an der Universität Bern, in der Sendung DW COVID-19 Special .
Der Omikron-Stammbaum in der Nextstrain-Datenbank, in die Forschende weltweit ihre Ergebnisse zu Virussequenzierungen einspeisen, zeigt deutlich, dass diese parallele Entwicklung bereits Mitte 2020 begonnen haben könnte.
Drei Theorien zum Omikron-Ursprung
Erste Theorie: Unbemerkt in isolierter Population entstanden
Die Variante könnte sich in einer isoliert lebenden Population entwickelt haben, wo das Virus bereits seit längerer Zeit zirkuliert. Wo also bereits viele unbemerkt infiziert und genesen waren, ohne dass dies durch Tests und Sequenzierung bemerkt worden wäre.
Diese Theorie favorisiert Christian Drosten, Chefvirologe von der Berliner Charité, gegenüber dem Science Magazin: "Ich gehe davon aus, dass es sich nicht in Südafrika entwickelt hat, wo derzeit viele Sequenzierungen durchgeführt werden, sondern irgendwo im südlichen Afrika während der Winterwelle", so Drosten. "Dort gab es lange Zeit viele Infektionen, und für die Entwicklung eines solchen Virus ist ein enormer evolutionärer Druck erforderlich."
Andrew Rambaut von der University of Edinburgh hält diese Theorie für nicht so überzeugend. Er könne sich nicht vorstellen, wie das Virus so lange in einer Gruppe von Menschen verborgen bleiben kann. "Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich einen Ort auf der Welt gibt, der so isoliert ist, dass diese Art von Virus über einen so langen Zeitraum übertragen werden kann, ohne dass es an verschiedenen Orten auftaucht".
Zweite Theorie: In immungeschwächtem Menschen entstanden
Omikron könnte sich in einem chronisch infizierten COVID-19-Patienten entwickelt haben, wahrscheinlich bei jemandem, dessen Immunreaktion durch eine andere Krankheit oder ein Medikament beeinträchtigt war. Dies könnten zum Beispiel Krebspatienten oder auch HIV-Patienten sein, denn bei immungeschwächten Menschen kämpft der Körper länger gegen das Virus an. Das Virus wiederum hat so mehr Zeit, Mutationen zu entwickeln, um sich der Immunantwort zu entziehen.
Befürworter dieser Theorie wie auch Richard Lessells von der Universität von KwaZulu-Natal verweisen in diesem Zusammenhang auf eine junge Frau in Südafrika mit einer unbehandelten HIV-Infektion, die das neue Coronavirus SARS CoV-2 mehr als sechs Monate lang in sich trug. Bei ihr und anderen Patienten, bei denen die Infektion Wochen oder Monate andauerte, waren jene Mutationen zu beobachten, die auch bei den besorgniserregenden Varianten gefunden wurden.
Allerdings sprechen die gesamten Erfahrungen mit Influenza- und anderen Viren bei immunsupprimierten Patienten nach Auffassung von Christian Drosten klar gegen diese Theorie: Bei diesen Menschen entwickeln sich zwar Varianten, die dem Immunsystem entgehen, aber sie gehen mit einer Reihe anderer Veränderungen einher, die ihre Übertragungsfähigkeit von Mensch zu Mensch verringern, so Christian Drosten. Und Omikron ist im Vergleich zu anderen Coronavarianten eindeutig ansteckender.
Dritte Theorie: Im Tier weiterentwickelt und übergesprungen
Das Virus könnte sich auch in einem tierischen Wirt versteckt und dort weiter entwickelt haben und ist dann als mutierte Omikron-Variante (wieder) auf den Menschen übergesprungen. Diese Theorie befürworten zum Beispiel Kristian Andersen, ein Forscher für Infektionskrankheiten bei Scripps Research, oder der Evolutionsbiologe Mike Worobey von der University of Arizona in Tucson.
Für diese Theorie spricht, dass inzwischen hinreichend bewiesen wurde, dass auch bestimmte Tiere anfällig für Coronaviren wie SARS CoV-2 sind.
Das ist auch der Grund, warum die meisten Forschenden auch beim eigentlichen Urtyp des SARS CoV-2, der vor zwei Jahren erstmals im chinesischen Wuhan aufgetaucht war, von einem tierischen Ursprung ausgehen.
Im Jahr 2020 mussten Millionen Nerze vor allem in Dänemark gekeult werden, weil Forschende bei ihnen eine mutierte Version des Coronavirus nachgewiesen hatten. Veterinärmediziner gehen davon aus, dass das Virus vom Menschen auf die Marder übergesprungen war. Sie befürchteten, dass die Tiere wiederum Menschen mit der mutierten Version anstecken können.
Als weiteres Indiz führen Befürworter dieser Theorie an, dass das Virus in einem Tier einem ganz anderen evolutionären Druck ausgesetzt war, was die vielen neuen und teilweise einzigartigen Mutationen bei Omikron erklären könnte.