Wo Urwald wuchern soll, wächst Ärger
11. Januar 2010Es gibt eine Frage, die Georg Sperber schon oft gehört hat. Und sie ärgert ihn immer wieder aufs Neue. Gerade noch kniet der drahtige Mittsiebziger neben einem abgestorbenen Baumstamm im Laub und zeigt auf ein filigranes cremeweißes Gewächs, einen Baumpilz, der aussieht wie ein Flokati-überzogener Brotlaib. Dann springt er auf und antwortet. "Ob man den Astigen Stachelbart essen kann? Darum geht es doch gar nicht, es fragt doch auch niemand bei einem schönen Kirchenaltar, wie gut er brennt oder wem er nutzt!"
Georg Sperber stapft los, weiter hinein in den Steigerwald im Norden Bayerns. Der Waldexperte führt in eine hügelige Waldlandschaft mit jahrhundertealten mächtigen Buchen. Es duftet nach nassem Laub. Hier leben extrem seltene Pflanzen und Pilze, wie der Astige Stachelbart, und eine bemerkenswerte Vielfalt von Tieren und Insekten. Der Wald ist außergewöhnlich, stellt das Bundesamt für Umweltschutz fest. Forstwissenschaftler und Ökoaktivisten pilgern in den Steigerwald, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie die Wälder vor ein-, zweitausend Jahren in Mitteleuropa waren. Nutzwert erscheint angesichts dieser Naturpracht nicht als der richtige Maßstab.
Wuchernde Vielfalt
17.000 Hektar des nördlichen Steigerwaldes gehören dem bayerischen Staat. Als Forstdirektor hat sie Sperber jahrelang verwaltet und gepflegt. Für ihn hieß das auch, Naturwaldreservate einzurichten. In diesen Waldstücken wurde nicht mehr eingegriffen. "Da ist schon seit 30 Jahren keine Axt oder Motorsäge zu Gange", sagt Sperber, "das abgestorbene Holz ist liegengeblieben und die Artenvielfalt geradezu explosionsartig angestiegen."
Für Sperber ist das nur ein Anfang. Er will, dass ein großer Teil des Staatswaldes hier wieder zum Urwald wuchert und zwar in Form eines Nationalparks. Die Bundesregierung hat sich international darauf verpflichtet, dass bis 2020 zehn Prozent der öffentlichen Wälder wieder ganz ursprünglich werden. Damit soll die Artenvielfalt in Deutschland gesichert werden. "Da passt doch der Steigerwald gut rein", sagt Sperber.
Sein Wort hat Gewicht. Sperber war schon am Aufbau des ersten deutschen Nationalparks im Bayerischen Wald maßgeblich beteiligt. Naturschützer sind begeistert. Aber der Vorschlag entzweit die Menschen in der Region. Ein Nationalpark muss in Bayern mindestens 10.000 Hektar groß sein. Drei Viertel davon dürften nicht mehr genutzt werden - außer zum Spazierengehen.
Regionale Ängste
Ganz entschieden gegen den Nationalpark ist Bürgermeister Oskar Ebert. Der 60-jährige Kommunalpolitiker mit dem kräftigen Schnauzbart sitzt seit fast 20 Jahren im Rathaus von Rauhenebrach. Die Gemeinde mit 3000 Einwohnern verteilt sich über 13 Ortsteile in einem malerischen Tal des Steigerwalds. "Wir leben seit Generationen in diesem Wald und von diesem Wald", sagt Ebert. Und das solle auch so bleiben.
Oskar Ebert bringt die Ängste der Anwohner auf den Punkt: Was passiert mit den Arbeitsplätzen als Holzarbeiter und im Sägewerk, wenn kein Holz mehr geschlagen werden darf? Womit heizen wir unsere Häuser? Ebert findet es unerträglich, dass sich Ortsfremde einmischen. Hier, wo es seit Hunderten von Jahren Tradition ist, Holz zu schlagen, um es zu verkaufen und zu verbrennen. Die Bürger Rauhenebrachs haben Ebert mit 96 Prozent gewählt - wissend, dass der Kommunalpolitiker gegen einen Nationalpark ist.
Die Macht der Politik
Ob der Staatswald zum Nationalpark wird, entscheidet der bayerische Landtag. Derzeit sieht es nicht so aus. Die Regierungspartei CSU erklärt, nichts gegen den Willen der Bürger machen zu wollen. Die Oppositionspartei SPD stimmt hier mit ein. Man will die Wähler vor Ort nicht vergraulen. Es ist kein Einzelfall, dass die Bürger es nicht schätzen, wenn vor ihrer Haustür Umweltpolitik gemacht werden soll. Auch wenn niemand die nationale Bedeutung von Artenvielfalt und Umweltschutz bezweifelt. Dass der Steigerwald das Zeug zum Nationalpark hat, weiß Ebert, "aber das wollen wir nicht, und wir würden uns schon dagegen wehren, wenn der Staat das selbstherrlich bestimmen würde".
Ex-Forstdirektor Sperber steht im Wald und atmet tief ein. "Ich liebe diesen Wald", sagt er. Das gibt ihm Kraft. Er kennt die Wut der Nationalpark-Gegner: Beleidigungen, anonyme Anrufe. Er kennt die ungünstige politische Situation in Bayern. Trotzdem bleibt er optimistisch und blickt auf das politische Ganze. "Wenn die Bundesrepublik bei der Umweltpolitik international glaubwürdig bleiben will, dann kommt sie nicht umhin, aus ihrem Naturerbe Buchenwald etwas zu machen." Manche der Baumriesen, zwischen denen der Forstexperte steht, sind über 300 Jahre gewachsen. Auch Sperber hat es nicht eilig.
Autor: Heiner Kiesel
Redaktion: Michael Borgers