Katar: Zwischen Glanz und Elend
9. März 2016Doha, Katar. Die Palmen am Uferboulevard Corniche wiegen sich malerisch im Wind. Die Wolkenkratzer werden von bunten Lichtern angestrahlt. Das ist die Postkartenansicht von Doha, der Hauptstadt des Ausrichterlandes der Fußball-WM 2022. Den Sound zur Postkarte liefert Hassan Al Thawadi im gediegenen Sheraton Hotel am Ende der Corniche. Der Chef des Organisationskomitees der WM lobt während eines Meetings beim Jahreskongress des internationalen Sportjournalistenverbandes AIPS die Reformbemühungen der FIFA und entwirft das Bild eines rauschenden Fußballfestes mit friedensstiftender Wirkung: "Sehen Sie, die FIFA durchläuft einen Reformprozess. Auch andere große Sport-Organisationen reformieren sich. Wir sind dafür verantwortlich, die WM auszurichten."
"Was die WM angeht, geht es mit der FIFA zügig voran", betont Al Thawadi. "Es läuft alles sehr positiv. Und wir sind überzeugt, dass diese WM eine der erfolgreichsten Weltmeisterschaften in der Geschichte dieses Sports sein wird. Gerade auch deshalb, weil es die erste WM im Nahen Osten ist und die zweite in Asien. Eines der wichtigsten Elemente ist, eine Brücke zwischen Ost und West zu bauen."
Das hehre Ziel darf man dem mehrsprachigen, fußballverrückten und durchaus sympathisch wirkenden OK-Chef auch abnehmen. Katar will beeindrucken. Deshalb stürzt sich das Wüstenemirat auch in megalomane Bauprojekte, wie beispielsweise in eine ganze neue "smart city" in der Innenstadt mit modernsten Klimaschutztechnologien, mit Stadien, die wie Skulpturen wirken und einem großzügigen Verkehrsnetz inklusive drei neuer U-Bahnlinien.
Der Streik der "Brückenbauer"
Nicht ganz so gut geht es jenen, die diese symbolische Brücke zwischen Orient und Okzident errichten sollen. Auf der 31 Hektar großen Baustelle der "smart city" des Msheireb Downtown Doha Projekts streikten Ende November letzten Jahres Arbeiter aus Bangladesh, Indien und Nepal, weil ihnen zwei Monatslöhne nicht ausgezahlt wurden und auch die als Beschwichtigung angebotenen kostenlosen Mahlzeiten ausblieben.
"Die Arbeiter aus Bangladesh begannen den Streik wegen der verspäteten Lohnzahlungen. Sie sollten Mitte November den Lohn erhalten. Die Leute wurden unruhig. Die Firma versprach, dass das Geld kommen sollte und außerdem noch freies Essen. Sie konnten sich ja kein Essen mehr kaufen, weil sie kein Geld mehr hatten", erzählt der Gewerkschafter Frank. Er arbeitet für die internationale Bauarbeitergewerkschaft BWI, dokumentiert in Katar Verletzungen der Rechte der Arbeiter und leistet juristische und praktische Hilfe. Offene Gewerkschaftsarbeit darf er nicht anbieten. Gewerkschaften sind in Katar verboten. Frank ist auch nicht sein richtiger Name.
Dank seines Engagements hat man aber zumindest Kenntnis vom Arbeitskampf auf der Baustelle des späteren Verkehrsknotens, der drei Metrolinien und damit drei WM-Stadien verbinden soll. Frank erzählt, wie es weiterging: "Als das Management seine Versprechungen nicht erfüllte, besonders das Essen betreffend, fragten die Arbeiter immer wieder bei ihren Vorgesetzten nach, anstatt zu arbeiten. Unzufrieden mit den Antworten stellten sie die Arbeit schließlich ein. Sie schlugen Glastüren ein und zerbrachen Equipment."
Am Ende kam die Polizei und nahm die Arbeiter auf Verlangen der Firma fest. Auf der Polizeistation schaltete sich immerhin das Arbeitsministerium ein und sorgte dafür, dass die ausstehenden Löhne gezahlt und Anklagen gegen die Arbeiter wegen Sachbeschädigung zurückgezogen wurden. In diesem einen Fall hatten die Arbeiter sich durchgesetzt.
Das Elend der Steine-Tester
An anderen Arbeitsorten, direkt oder indirekt mit den WM-Projekten verbunden, geschieht das aber nicht. Selbst wenn dort die Bedingungen ähnlich schlecht sind. Bei der Firma Advanced Construction Technology Services etwa werden die Grundlagen für die ambitionierten Bauprojekte gelegt. Die Firma ist ein Testlabor. Acht Kilogramm schwere Betonwürfel werden auf Festigkeit getestet. Erst liegen sie acht bis zehn Tage in einem Wasserbad. Dann werden sie in Pressen gewuchtet. Manche Steine zerbersten. Da war die Mischung wohl nicht optimal. Andere halten Stand. Steine vom Stadionerbauer Midmac sind hier zu sehen. Auch solche, die für den Bau der Goldenen Metrolinie bestimmt sind. Bewegt werden die Steine per Hand.
Harry, ein Arbeiter aus Kenia, hebt pro Schicht mehrere Tonnen Gestein - das Trainingspensum eines Schwerathleten. Mitte Februar, als die DW ihn in der Firma mitten in der Industrial Area von Doha traf, hatte er noch nicht einmal sein Dezembergehalt bekommen. Das für Januar ebensowenig. Warum er ohne Geld dennoch bei Kräften war, illustriert der kleine Laden um die Ecke. Dort werden Lebensmittel auf Kredit herausgegeben. Jeder Arbeiter hat ein Schuldbuch, in das der Verkäufer den aktuellen Einkauf einträgt. Er selbst notiert die Transaktion auf eigenen Listen, die in hohen Stapeln auf dem Tresen liegen - ein Zeichen dafür, dass nicht nur Harry auf Kredit einkaufen muss.
Die Ohnmacht der Arbeiter
Beschweren will Harry sich dennoch nicht. Er gehört zur großen Masse der Arbeiter, die nicht an Veränderungen und Verbesserungen glauben und sich lieber ins Los fügen. "Sie haben Angst. Eine Beschwerde trauen sie sich allenfalls zu machen, wenn sie schon außerhalb des Landes sind. Denn wenn der Arbeitgeber ihnen keine Ausreiseerlaubnis gibt, dann haben sie keine Möglichkeit, das Land zu verlassen. Und wenn der Staat dann sieht, dass dein Visum schon abgelaufen ist, landest du im Gefängnis.", erläutert Gewerkschafter Frank das Dilemma, in dem sich auch die Stadionerbauer und Arbeiter in der Kette der Zulieferer befinden."
Bekannt sind die Grundprobleme schon seit der umstrittenen Vergabe der WM 2022 an Katar. Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften schlagen seit 2011 Alarm. Einige Verbesserungen hat es inzwischen gegeben. So verpflichtet die Regierung die Unternehmen seit Beginn dieses Jahres dazu, die Löhne digital auszuzahlen, damit kontrolliert werden kann, ob die Auszahlungen auch korrekt erfolgt sind. Allerdings müssten die Daten dazu auch tatsächlich ausgewertet werden.
Steine-Tester Harry haben die neuen Gesetze bisher nichts gebracht. Auch eine wirkliche Freizügigkeit für Arbeiter ist noch nicht erreicht. Sie dürfen jetzt zwar einen Vertrag vorzeitig beenden oder den Arbeitgeber wechseln - das allerdings erst nach zwei Jahren. Und statt des alten Arbeitgebers muss nun das Arbeitsministerium dem Wechsel zustimmen. Das Ministerium also, dem die Arbeiter schon jetzt nicht zutrauen, Beschwerden ernsthaft nachzugehen.
Wie ernst nimmt die FIFA ihr Reformprogramm?
Die Brücke zwischen Ost und West, von der der Chef des WM-Organisationskomitees Al Thawadi so blumenreich spricht, droht weiterhin auf den Knochen ihrer Erbauer errichtet zu werden. Die FIFA immerhin hat in ihrem jüngst beschlossenen Reformstatut einen Passus zur Wahrung der Menschenrechte aufgenommen. Wenn sie ihn wirklich ernst nimmt, dann sucht sie von sich aus die Zusammenarbeit mit den Abgesandten der Gewerkschaft vor Ort.