Fußball-WM: Wirtschaftsboom durch Titelgewinn?
18. Dezember 2022Vier Wochen lang hat die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar weltweite Aufmerksamkeit genossen. Mit dem großen Finale zwischen Argentinien und Titelverteidiger Frankreich geht das Turnier in Katar zu Ende. Doch das Erbe der WM wird im Golf-Emirat noch Jahrzehnte spürbar sein.
Forscher haben in der Vergangenheit verschiedene Studien zur Auswirkung von Sport-Großereignissen wie Olympischen Spielen oder der Fußball-WM auf die Wirtschaft in den Ausrichterländern erstellt. Die nachgewiesenen wirtschaftlichen Vorteile und Gewinne fielen dabei insgesamt schwach aus und wirkten eher kurzfristig. Wie sich ein Titelgewinn bei der WM auf die Wirtschaft des Gewinner-Landes auswirkt, wurde bisher hingegen weniger untersucht.
Man braucht keine außergewöhnliche Vorstellungskraft, um sich die Freude und Jubelszenen auf den Champs-Élysées in Paris oder in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires im jeweiligen Falles des WM-Titelgewinns auszumalen. Doch kann der WM-Triumph auch einen nachhaltigen Wirtschaftseffekt im Land des Gewinners auslösen?
Wachstumsanstiege nach WM-Sieg
Fünf verschiedene Nationen haben die sieben vergangenen Weltmeisterschafts-Turniere gewinnen können: Brasilien (1994, 2002), Frankreich (1998, 2018), Italien (2006), Spanien (2010) und Deutschland (2014). In sechs der sieben Fälle wies das Land des Weltmeisters im WM-Jahr ein höheres Bruttoinlandsprodukt (BIP) aus, als in den beiden Jahren zuvor.
1994 verzeichnete Brasilien ein Rekord-Wirtschaftswachstum von 5,9 Prozent. Genauso passierte es im Jahr 2002 als Brasiliens Wirtschaft im Jahr des Titelgewinns gegen Deutschland um 3,1 Prozent zulegte - deutlich mehr als im Jahr davor (1,4 Prozent) und danach (1,1 Prozent)
Für Frankreich geht es in Katar bereits zum vierten Mal seit 1998 in ein WM-Endspiel. Damals holte das Team um Zinedine Zidane und den heutigen Nationaltrainer Didier Deschamps bei der Heim-WM gleich im ersten Endspiel mit französischer Beteiligung den Titel.
Im gleichen Jahr wuchs Frankreichs Wirtschaft um satte 3,6 Prozent und damit deutlich mehr als 1997 und 1999. Anders war es 2018, als Frankreich in Russland seinen zweiten WM-Titel holen konnte, die Wirtschaft des Landes allerdings mit 1,9 Prozent schwächer wuchs als im Jahr davor (2,3 Prozent).
Italiens Titelgewinn 2006 wurde von einem Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent "begleitet" und war damit auch stärker als das Vorjahreswachstum (0,8 Prozent) und das im Jahr danach (1,5 Prozent). Auch in Deutschland war 2014 ein vermeintlicher WM-Effekt zu verzeichnen: Die deutsche Wirtschaft wuchs im Jahr des Titelgewinns um 2,2 Prozent und damit deutlich stärker als im Vorjahr (0,4 Prozent) und im folgenden Jahr (1,5 Prozent).
Sogar während der andauernden Weltwirtschaftskrise war im Jahr 2010 in Spanien, das in Südafrika zum ersten Mal Weltmeister werden konnte, ein Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent zu verzeichnen. Im Jahr davor war die spanische Wirtschaft sogar deutlich geschrumpft (-3,8 Prozent) und auch im folgenden Jahr gab es in Spanien keinen wirtschaftlichen Zuwachs (-1,2 Prozent).
"Nationaler Zuckerrausch"
Aber ist der Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft wirklich der Grund für einen Wachstumsschub in den Ländern, oder ist es schlicht Zufall? Während der WM 2014 schrieb Kolumnist Allen St. John im US-amerikanischen Forbes-Magazin [Zitate aus dem Englischen übersetzt, Anm. d. Red.]: "In den Monaten nach einem WM-Titelgewinn scheint es einen kurzfristigen Anstieg der Produktivität zu geben. Stellen Sie sich das als eine Art 'nationalen Zuckerrausch' mit einem kurzlebigen Energieschub vor, der dann wieder auf Talfahrt geht."
Man stelle sich ekstatische Spieler vor, die noch Tage und Wochen nach dem Sieg Bars und Restaurants bevölkern, oder Unternehmer, die versuchen, das Selbstvertrauen und den Elan der Fußballer ihres Landes zu nutzen, indem sie waghalsige Wetten abschließen, die sie vorher vielleicht nicht gewagt hätten.
Die wenigen Daten, die es bisher zu diesem Thema gibt, weisen jedoch in eine andere Richtung. Eine im Vorfeld der WM 2022 von der Universität von Surrey in England durchgeführte Studie ergab, dass der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts nach einem WM-Sieg größtenteils auf eine Steigerung der Exporte und nicht auf einen Anstieg des Binnenkonsums oder von Investitionen zurückzuführen ist.
"Die Untersuchungen untermauern die These, dass der Erfolg in einem der angesehensten und prestigeträchtigsten internationalen Sportwettbewerbe das Potenzial hat, den Konjunkturzyklus zu beeinflussen", sagte der Autor der Studie, Marco Mello. Verglichen wurden in der Studie die Wachstumsdaten der Siegerländer mit denen der Teilnehmerländer, die das Turnier nicht gewonnen haben.
Angeschlagenes Argentinien, reiches Katar
Für beide WM-Finalisten wäre ein Wirtschaftsboom im eigenen Land durch den Titelgewinn ein Segen. Insbesondere Argentinien befindet sich seit Jahren in einem wirtschaftlichen Abschwung und im Dauerkrisenmodus. Doch auch Frankreichs Wirtschaft steht vor einer ungewissen Zukunft und hofft auf einen positiven Effekt durch den erneuten WM-Titel.
Doch das ist Nichts im Vergleich zur katastrophalen Lage in Argentinien, das seit dem Zusammenbruch des Finanzsystems 2001 eine wirtschaftliche Dauerkrise durchlebt. In diesem Jahr wird im Land von Superstar Lionel Messi ein Inflationsanstieg von bis zu 100 Prozent erwartet, während der Schuldenberg Argentiniens weiter und weiter wächst.
Obwohl das argentinische Team um Messi die Menschen in Katar und in der Heimat gleichermaßen begeistert und ausgelassene Freudenszenen in Argentinien quasi zur Tagesordnung gehören, sind die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu schwerwiegend, als dass der Sieg am Sonntag irgendeine nennenswerte Auswirkung haben könnte.
Für Katar ging es - anders als für andere WM-Gastgeberländer zuvor - nicht vorrangig um wirtschaftliche, sondern um sicherheitspolitische Aspekte. Das Land am Golf von Arabien will durch Sport-Großveranstaltungen wie dem Vorzeigeprodukt der FIFA sein internationales Renommee und seine Bedeutung in der Welt erhöhen. Wie während der WM zu hören war, plant Katar mit einer Bewerbung für die Olympischen Spiele bereits den nächsten Mega-Coup im Sport - die WM soll nur der Anfang gewesen sein.
"Es ist klar, dass es bei dieser Weltmeisterschaft nicht um wirtschaftliche Rentabilität für Katar geht", sagte Dan Plumley von der Sheffield Hallam University gegenüber der DW. Die WM 2022 werde sich wirtschaftlich wahrscheinlich eher als ein Verlustgeschäft erweisen", erklärt Plumley, aber Katar strebe in erster Linie nicht-kommerzielle Ziele an.
"Die internationalen Beziehungen sind die Hauptmotivation für die Ausrichtung des Turniers, und es geht auch um Soft Power als Verteidigungs- und Sicherheitsstrategie." Geld ist für Katar nach Ansicht Plumleys, so wie der der meisten Beobachter, "eindeutig kein Thema". Das Land könne es sich leisten, eine Weltmeisterschaft auszurichten und sei bereit, die damit verbundenen Verluste in Kauf zu nehmen.
Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.