Wirbel um Ego-Shooter
28. April 2012Technisch und künstlerisch hochwertig, kulturell und pädagogisch wertvoll, abwechslungsreich und unterhaltsam – das waren die Anforderungen für das beste deutsche Computerspiel 2012. Mit dieser Auszeichnung wurde am vergangenen Donnerstag (26.04.2012) das Spiel "Crysis 2" der Frankfurter Firma Crytek gewürdigt. Hierbei handelt es sich um ein so genanntes Ego-Shooter-Spiel - ein Computerspiel also, bei dem ein einzelner Spieler auf andere Lebewesen schießt. Die grafische, akustische und spielerische Qualität von "Crysis 2" habe überzeugt, heißt es in der Begründung der Jury.
Ausgelobt wird der Deutsche Computerspielpreis, der in insgesamt sieben Kategorien verliehen wird, gemeinsam von Wirtschaft und Politik: von den Branchenverbänden BIU und GAME sowie von dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Bernd Neumann (CDU). Sie bestimmen eine unabhängige Jury, die aus Vertretern der Spielebranche, Politikern, Journalisten und Wissenschaftlern besteht. Das Ziel: den Wirtschaftsstandort Deutschland im Bereich der Spiel-Entwicklung zu fördern und einen Anreiz für pädagogisch wertvolle Inhalte zu bieten. Das Problem: Selten erfüllt ein Computerspiel alle gewünschten Kriterien.
Fatale Entscheidung?
Die diesjährige Entscheidung, das Ego-Shooter-Spiel "Crysis 2" auszuzeichnen, hat vor allem in der Politik Empörung ausgelöst. "Der Preis ist an ein Spiel verliehen worden, das Gewalt verherrlichend ist", kritisiert der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Börnsen im DW-Gespräch. Er warnt vor einer fatalen Entwicklung: "Ich glaube, dass wir uns zehn Jahre nach dem Massaker in Erfurt und jetzt nach den fürchterlichen Geschehnissen in Norwegen fragen müssen: Sind wir nicht dabei, die Gewaltschwelle immer weiter zu senken, indem wir uns an Gewalt gewöhnen?"
"Es ist, glaube ich, klar, dass 'Crysis 2' nicht pädagogisch wertvoll ist", räumt Thomas Jarzombek, der Jugendschutzbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im DW-Interview ein. Als Mitglied der Jury verteidigt er jedoch die Entscheidung: "Es gab kein Spiel, bei dem alle Kriterien erfüllt gewesen wären."
Für Branchenkenner ist die Wahl keine Überraschung: "Crysis 2" gilt wegen der innovativen Spielmechanik und der überzeugenden Grafik als hervorragendes Spiel aus Deutschland, das auch international Maßstäbe setzt. Zudem ist "Crysis 2" kommerziell ein großer Erfolg.
Unklare Kriterien
Diese Begründung lässt Wolfgang Börnsen nicht gelten. Die Jury habe sich an der technischen Innovation orientiert, bemängelt er, nicht aber an dem Grundsatz des Bundestages, der 2007 einen Preis für Computerspiele gefordert hatte. "Das Parlament setzt auf pädagogisch wertvolle Spiele. Eine Jury, die sich von diesem Grundsatz entfernt, muss sich gefallen lassen, dass sie dann auch kritisiert wird." Der CDU-Politiker hatte bereits vor der Preisverleihung gefordert, inhaltliche Kriterien höher zu bewerten als die technische Qualität.
Börnsens Parteifreund und Jury-Mitglied Thomas Jarzombek weist die Kritik zurück. Die Kriterien für den Deutschen Computerspielpreis seien nicht ganz eindeutig definiert, sagt er. "Der Einsetzungsantrag des Deutschen Bundestages hat zwei Intentionen: Die eine ist, dass man etwas für die deutsche Games-Branche tun möchte", sagt der CDU-Politiker. "Auf der anderen Seite wird von 'pädagogisch wertvoll' gesprochen - wobei da auch niemand so genau weiß, was das eigentlich heißt."
Erfolg versus pädagogischer Wert
Aus der Sicht der Spieler sei es absurd, argumentiert Jarzombek, das Spiel mit dem pädagogisch höchsten Wert auszuzeichnen - und nicht das in der Gesamtbetrachtung erfolgreichste Spiel. "Wir brauchen eigentlich zwei Preise", sagt Jarzombek. "Wir brauchen so eine Art Publikumspreis, mit dem man auch einmal das auszeichnet, das technisch aufwendig und kommerziell erfolgreich ist. Und wir brauchen einen zweiten Preis, der das 'wertvollste' Spiel auszeichnet."
Unterstützung für ihre Entscheidung bekommt die Jury von Seiten der Spielebranche und von Politikern verschiedener Parteien. Dennoch hat Staatsminister Neumann angekündigt, mit den Abgeordneten des Kulturausschusses erneut über die Vergabekriterien zu diskutieren.
Mitarbeit: Rachel Gessat