"Wir Tunesier haben keine Angst mehr!"
19. Januar 2011Es ist voll in der kleinen arabischen Teestube in Köln-Kalk. Tunesier und Algerier haben sich hier versammelt, um die neuesten Nachrichten aus Tunesien mitzuverfolgen. Schon seit Stunden berichtet Al Jazeera in Dauerschleife aus Tunis und Umgebung. Die Araber, die hier auf den Bildschirm starren, verfolgen das ganze Geschehen mit einer Mischung aus Anspannung und Euphorie. "Niemals hätte ich geglaubt, dass es in Tunesien mal zu so etwas kommt. Niemals!", sagt der Tunesier Hatem Djelassi mit Tränen in den Augen. "Keiner hätte das geglaubt. Aber ich finde das schön, was jetzt dort passiert."
Das Ende der Unterdrückung?
23 Jahre lang, seit 1988, hatte Zine El Abidine Ben Ali das Land zuvor mit eiserner Hand regiert, die Opposition unterdrückt, die Presse zensiert, das Land geplündert. Seit Freitag (14.01.2011) ist er außer Landes, doch die meisten realisieren erst jetzt so richtig, dass diese Zeit wohl endgültig der Vergangenheit anzugehören scheint. Auch bei Amara Rida sickert die Erkenntnis erst langsam durch: "Wir haben keine Angst mehr! Das Wort Angst gibt's nicht mehr bei den Tunesiern! Wir haben keine Angst mehr!" Wie ein Mantra wiederholt Amara Rida diese Formel immer wieder. Auf diesen Moment, erzählt der Tunesier mit leuchtenden Augen, hätten er und seine Landsleute lange gewartet. "Wir wurden unterdrückt. Tunesien war ein Polizeistaat. Keiner durfte seine Meinung sagen", erzählt Rida. "Und dann noch die Arbeitslosigkeit. Ein paar wenige Leute haben in Tunesien auf Kosten der anderen gelebt. Und deswegen hat es jetzt endlich gekracht."
Mafiöse Strukturen in Nordafrika
Genugtuung spiegelt sich auf Amara Ridas Gesicht. Aber nur, solange er über sein Heimatland spricht. Wenn die Sprache auf die Nachbarländer kommt, legt der Tunesier sofort seine Stirn in Falten. "Die Menschen in den anderen Ländern werden auch langsam wach!", sagt Rida mit drohendem Unterton. Denn dort werde die Bevölkerung genauso unterdrückt wie in Tunesien. In Nordafrika seien die Machthaber alle gleich, schimpft Rida: "Die gehören zu einer Mafia!"
Es gärt an allen Enden der arabischen Welt. In mehreren Staaten Nordafrikas haben Männer versucht, sich selbst anzuzünden, um ihren Protest gegen die Machthaber auszudrücken. In Amman haben am Wochenende tausende Jordanier gegen ihre Regierung protestiert.
Massive Unzufriedenheit auch bei Algeriern
Auch im arabischen Café in Köln sitzen Frust und Ärger über die politische Kaste in den Heimatländern tief. Etwa beim Algerier Hassan Amri. Er redet sich geradezu in Rage, wenn er an die Verhältnisse in seinem Heimatland Algerien denkt. Am liebsten, sagt er, würde er sofort nach Algerien zurückkehren, "aber unser Land ist kaputt, unser Land ist korrupt". Die algerischen Machthaber hätten sich jahrelang bereichert – und Proteste mit Gewalt unterdrückt. Sein Landsmann Hatem Abidi neben ihm hat bisher nur kopfnickend zugehört, doch als das Gespräch auf die Zustände in Algerien kommt, platzt auch ihm der Kragen. "Algerien ist ein Militärstaat", sagt Abidi. Wer protestiert, werde gnadenlos zusammengeschlagen. "Wenn mich in Algerien ein Polizist anhält", schimpft Abidi mit überschlagender Stimme, fragt er nicht nach meinem Ausweis, sondern beschimpft meine Mutter. Und wenn ich dann ein Wort sage, schlägt er zu." Unbequeme Algerier würden verhaftet, einige von ihnen verschwänden später spurlos. "Es gibt keine Menschenrechte in Algerien", sagt Abidi verzweifelt. Doch zumindest freut er sich für seine – wie er sagt – "Brüder" in Tunesien. Endlich könnten die Menschen zumindest dort in Freiheit leben. Abidi hofft, dass auch Algerien sich bald aus dem Würgegriff der Diktatur befreien könne. Tunesien, sagt er, könne da nur der Anfang gewesen sein.
Autor: Thomas Latschan
Redaktion: Katrin Ogunsade