Die Schriftstellerin
13. April 2012Als Kämpferin gegen die Apartheid wurde sie 1966 aus Südafrika und später auch aus Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, ausgewiesen. Während der Entkolonialisierung unterstützte sie Robert Mugabe, den ersten Präsidenten Simbabwes und führte Schlichtungsgespräche zwischen schwarzen und weißen Bevölkerungsgruppen.
Deutsche Welle: Wie haben Sie damals als junges Mädchen in Südafrika den Rassismus erlebt?
Ruth Weiss: Ich habe ihn sofort zu spüren bekommen. Als meine Mutter mit einer Afrikanerin sprach, die ein kleines Kind auf ihrem Rücken hatte, hatte sie nichts dagegen, dass meine Schwester und ich mit dem Kind spielten. Meine Mutter nahm das Kind dann auch auf den Arm. Sofort wurde das von unseren Nachbarn beanstandet. Das war der Anfang. Ich sagte nach diesem Erlebnis zu meiner Mutter: "In Deutschland durften die deutschen Kinder nicht mit mir spielen, und ich darf mit keinem schwarzen Kind spielen."
War das auch letztendlich der Anstoß für Sie, sich gegen die Apartheid zu wehren?
Wir wohnten in einem sogenannten armen weißen Vorort. Das bedeutete, dass meine ersten Klassenkameraden in der Schule unterprivilegierte Weiße waren. Sie hatten auch wenig mit Kultur zu tun. Sie waren wirklich arm. Aber jede Familie, die ich kannte, hatte mindestens einen schwarzen Bediensteten. Und der wurde nicht wie ein Mensch behandelt. Er durfte nicht dieselbe Toilette benutzen oder aus derselben Tasse trinken. Es sind ja keine Ereignisse, sondern es sind eben Details, die ich bemerkt habe und die für mich inakzeptabel waren. Und als die Apartheid etwa zwölf Jahre nachdem wir angekommen waren, als Gesetz eingeführt wurde, konnte ich das einfach nicht akzeptieren.
Was hat Ihnen in dieser politisch bewegten Zeit Mut, Zuversicht und Hoffnung gegeben? Hat ihr jüdischer Glaube da eine Rolle gespielt?
Ich denke schon. Das Judentum hat ja die Ethik, die besagt, dass vor Gott alle Menschen gleich sind. Das ist etwas, was ich als Kind verinnerlicht habe und ich stehe auch weiter dazu, dass wir alle von demselben Gott erschaffen sind. Aber es ist auch noch mehr. Ich habe eben viele Freunde kennengelernt, die ähnlich denken, wo auch immer sie diese Einstellung her haben - das ist egal. Dass es so viele Menschen gibt, die nicht nur sagen: "Wir sind alle gleich", sondern die wirklich die Hand ausstrecken und sagen: "Wir müssen Freunde sein, denn wir brauchen den Frieden in dieser Welt." Die Tatsache, dass es solche Menschen gibt, hat mich immer zuversichtlich gemacht.
Wenn wir heute nach Südafrika sehen: Wie erklären Sie sich die Einführung der neuen Medienrestriktion, die Protection of Information Bill, und was bedeutet sie für die Demokratie im Land?
Es ist ein Teil von der schleichenden Korruption, die fast sofort angefangen hat in Südafrika. Wenn eine Regierung nicht mehr ganz saubere Hände hat, dann ist es natürlich im Interesse dieser Regierung, dass das nicht unbedingt in den Medien besprochen wird. Wenn das der Grund ist - und das scheint er zu sein für diese Medienrestriktion - dann ist das inakzeptabel. Ich habe vor kurzem einen Brief bekommen, von der Schriftstellerin Nadine Gordimer. Sie schrieb: "Ich bin sehr empört über dieses Gesetz und dabei, das offen zu sagen und zu bekämpfen." Ich finde, man kann das nur unterstützen.
Sie haben in den Jahren der Dekolonisierung in Simbabwe Robert Mugabe begleitet und unterstützt. Wie sehen Sie dort die Situation?
Simbabwe befindet sich seit über zehn Jahren in einer ganz tiefen Krise wegen Mugabes Politik. Angeblich hat nur seine Partei die Befreiung der schwarzen Mehrheit herbeigeführt. Nun erhebt Mugabe zusammen mit seiner Partei den Anspruch, dass sie alles bestimmen müssen, was im Land geschieht. Hinzu kommt die offene rassistische Haltung gegen die Weißen. In Simbabwe hat es Mugabe ja geschafft, die Weißen fast total zu vertreiben. Das ist in Südafrika so wahrscheinlich nicht möglich.
Wenn wir noch einmal auf Deutschland blicken und das Zusammenleben der Kulturen hier ansehen, wie schätzen Sie es ein?
Die erste Zeit, nachdem ich zurückgekommen war, war ich in sehr vielen Schulen unterwegs. Dort wurde mir klar, dass die Migration eine neue Generation geschaffen hat, die versucht, sich hier nicht nur zu integrieren, sondern einfach Teil der Gesellschaft zu werden. Das wurde ihnen von den deutschen Kindern nicht leicht gemacht. Was ich aber gut finde, ist, dass diese Ablehnung der Migranten für viele Deutsche ein offenes Thema geworden ist. Dass man darüber nicht nur sprechen kann, sondern dass auch etwas getan wird.
Zum Beispiel in Lüdinghausen, wo ich wohne, gibt es seit etwa einem Jahr eine Gruppe, die sich regelmäßig trifft mit der Absicht, die dort lebenden Ausländer oder Deutsche mit ausländischen Wurzeln zu integrieren. Das tut man, indem man sich offen trifft, offen über die Probleme spricht, aber sie eben auch zu sich nach Hause einlädt, und das ist wichtig. Das ist eine Entwicklung, die sehr langsam vor sich gehen muss, denn auch die Migranten haben ihre Bedenken, das ist ja klar. Das Zusammenleben muss über eine sehr lange Zeit praktiziert werden. Aber dass das geschieht, finde ich sehr schön.
Ruth Weiss, geboren 1924 in Fürth, berichtete viele Jahre für europäische und afrikanische Wirtschaftsmedien und fand erst mit 78 Jahren zur Literatur. Mittlerweile hat sie 13 Romane geschrieben, darunter "Meine Schwester Sara" und "Wege im harten Gras". Sie handeln stets von einem Leben zwischen den Welten, zwischen Afrika und Europa und von der Suche nach Frieden und Gerechtigkeit. 2005 wurde Weiss für den Friedensnobelpreis nominiert.