Western hinterm Eisernen Vorhang
6. März 2011Eigentlich verpönt und selten gezeigt, genossen Western in den ehemaligen kommunistischen Ländern wie der Sowjetunion, der DDR oder der Tschechoslowakei eine ganz andere Aufmerksamkeit. Da man der eigenen Bevölkerung bis auf wenige Ausnahmen die Originale nicht zeigte, kopierte man in eigenen Revolutions- oder Indianerfilmen dieses uramerikanische Genre. Im Osten populär, im Westen bis heute verkannt, bildete sich ein höchst interessantes Subgenre heraus, das unter dem Sammelbegriff "Rote Western" kürzlich auch beim renommierten Filmfestival in Rotterdam in einer Retrospektive gewürdigt wurde.
Gojko Mitic: der Oberindianer der DDR
In der DDR kannte sie jeder: die Indianerfilme mit Gojko Mitic. Nachdem Mitte der 1960er Jahre fast ein ganzer Jahrgang anspruchsvoller, künstlerischer DEFA-Filme wie "Spur der Steine" verboten und in die Archive verbannt wurde, leistete man sich ganz offiziell einen aufklärerischen Western. "Die Söhne der Großen Bärin" erlebte 1966 seine Uraufführung. Der strahlende Held war ein junger Indianerhäuptling, der sich gegen skrupellose weiße Eroberer wehrt und einen gerechten Freiheitskrieg führt.
Bei aller Ideologie betraten die Indianerfilme "Made in DDR" Neuland. Es gelang durchaus, den Lebensalltag der indianischen Stämme realistisch einzufangen. Die Erkenntnis, dass die weißen Eroberer einen Genozid an der amerikanischen Urbevölkerung verübten, und die Umkehrung des klassischen Westernfeindbildes waren neu. Allein in der DDR sahen neun Millionen Zuschauer den ersten DEFA-Indianerfilm. Bis 1983 sollten einige weitere "Rote Western" folgen. Überall im ehemaligen Ostblock wurde der Indianer-Darsteller Gojko Mitic zum Star.
Auch schon in früheren Kinozeiten waren in Osteuropa und in Russland Western gedreht worden. Noch zu Stummfilmzeiten drehte der Filmpionier Lev Kuleshov mit "Die Abenteuer des Mr. West im Lande der Bolschewiki" den ersten sowjetischen Western. Ironisch nahm das Werk die amerikanischen Kapitalisten aufs Korn. Der Film gilt heute als Klassiker.
Jugendliche Rächer
Weniger bekannt dagegen sind sowjetische Revolutionsfilme wie "Die geheimnisvollen Rächer" von Edmond Keossajan aus dem Jahr 1967. Dort setzen sich vier gewitzte Jugendliche erfolgreich gegen weißgardistische Söldner durch. Am Ende reiten sie der untergehenden, blutroten Sonne entgegen. Der Film spielte gekonnt mit dem Westernmythos und war ein Auftragswerk der Kommunistischen Partei. Er sollte dem Riesenerfolg des Hollywood-Streifens "Die Glorreichen Sieben", der mit jahrelanger Verspätung die sowjetischen Kinogänger begeisterte, ein sozialistisches Heldenstück entgegensetzen.
Auch der russische Oscarpreisträger Nikita Michalkow begann seine Karriere mit einem ungewöhnlichen "Roten Western". Sein Debüt "Zu Hause bei Fremden, ein Fremder zu Hause" (1974) spielt in einer Grenzstadt zu Beginn der 1920er Jahre während des Bürgerkrieges und ist formal und inhaltlich bemerkenswert. So spielt Michalkow selbst einen nicht uncharismatischen, weißen Banditen, der erst in einem klassischen Showdown zur Strecke gebracht wird.
High Noon auf Polnisch
Hochinteressant ist auch die polnische "12 Uhr Mittags"-Variante "Das Gesetz und die Faust" (1964) von Jerzy Hoffman und Edward Skorzewski. Der nüchterne Schwarzweißfilm spielt in einer von Deutschen verlassenen Kleinstadt, in der 1945 eine neue polnische Ordnung eingeführt werden soll. Mit dabei ist der aus dem Konzentrationslager entlassene Andrzej Kenig, der jedoch bei den neuen Machthabern auch Profiteure und Mörder ausmacht und allein gegen alle in einer verlassenen Stadt kämpft. Der Film ist eine echte Entdeckung. - Nach der Retrospektive beim Filmfestival in Rotterdam werden die "Roten Western" auch noch bei anderen europäischen Filmfestivals gezeigt. Linz, Bratislava und Göteborg sind nur einige der nächsten Stationen auf der "Western-Tour" durch Europa.
Autor: Jörg Taszman
Redaktion: Jochen Kürten