Willkommen im Club
6. November 2008Im Kampf der Notenbanken gegen die Finanzkrise und die weltweit drohende Rezession hat sich die Europäische Zentralbank am Donnerstag (6.11.2008) erwartungsgemäß der nächsten weltweiten Zinssenkungsrunde angeschlossen. Zur Erinnerung: Erst vier Wochen zuvor, am 8. Oktober, hatten die wichtigsten Notenbanken der Welt in einer konzertierten Aktion die Zinsen gesenkt. Danach hatten die Währungshüter in den USA, China, Japan, Indien und Australien noch einmal zum Teil kräftig die Zinsschraube gelockert. Es war überfällig, dass die Europäische Zentralbank nun ihrerseits noch einmal nachlegt. Willkommen im Club.
Nicht so hart wie befürchtet
Niedrige Leitzinsen erleichtern es den Geschäftsbanken, sich bei der Zentralbank Geld zu leihen. In der Regel werden die günstigeren Refinanzierungskonditionen mit einiger zeitlicher Verzögerung an Unternehmen und Verbraucher in Form von billigeren Krediten weitergegeben. Eine notwendige Voraussetzung dafür, dass der weltweit erwartete Abschwung in der Eurozone nicht so hart ausfällt wie allgemein befürchtet.
Eine notwendige, aber leider keine hinreichende Voraussetzung. Denn allein die Tatsache, dass Konsumenten- und Investitionskredite künftig einen halben Prozentpunkt billiger zu haben sind, wird beim Verbraucher noch lange keinen Konsumrausch und bei Unternehmen keinen Investitionsboom auslösen. Nein, in Zeiten des drohenden Abschwungs halten die Verbraucher ihr Geld beisammen. Und Unternehmen verschieben Unternehmen ihre Investitionsentscheidung, bis sich ihre Absatzaussichten verbessern.
Halbherzig
Trotzdem ist der Schritt der EZB zu begrüßen, auch wenn die europäischen Währungshüter kein sonderliches Risiko eingegangen sind. Denn verglichen mit der dramatischen Zinssenkung der Bank of England um 1,5 Prozentpunkte ist die Zinssenkung in Frankfurt ziemlich moderat, um nicht zu sagen halbherzig ausgefallen. Und verglichen mit anderen Ländern hat die Europäische Zentralbank noch erheblichen Spielraum nach unten. In den Vereinigten Staaten steht der Zinssatz der Notenbank Federal Reserve seit Ende Oktober nur noch bei einem Prozent, in Japan bei 0,3 Prozent.
Nachlassende Risiken
Auch an der Inflationsfront haben die Risiken erheblich nachgelassen. Laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat ist die Preissteigerung im Euro-Raum im Oktober auf 3,2 Prozent gesunken - den tiefsten Stand seit Januar. Damit nähert sich die Inflationsrate mit Riesenschritten der Marke von zwei Prozent, bei der die EZB stabile Preise gewährleistet sieht. Deutschland ist dieser Schwelle mit 2,4 Prozent übrigens schon sehr nahe gekommen.
Noch im Juni und im Juli hatten die Lebenshaltungskosten mit vier Prozent so kräftig zugelegt wie nie zuvor im Euro-Währungsraum. Doch seitdem entlasten billigere Energie- und Rohstoffpreise die Geldbörsen der Verbraucher und der Unternehmer. Vor allem Benzin, Diesel und Heizöl kosten jetzt weniger. Vorausgegangen war ein Preisrutsch an den Ölmärkten. Ein Fass kostet derzeit nicht einmal halb so viel wie noch im Juli, als mit 147 Dollar ein Rekordhoch erreicht wurde.
Preise auf dem Rückzug
Auch die Rohstoff- und Lebensmittelpreise befinden sich weltweit auf dem Rückzug. Der Grund ist klar: Die ganze Welt rechnet mit einem Abschwung, mit sinkender Nachfrage. In solchen Zeiten ist die Chance, höhere Preise durchzusetzen, nahe Null. Und eine Notenbank, die sich in solchen Zeiten als Ritter gegen das nicht vorhandene Inflationsgespenst aufspielen wollte, würde sich nicht nur lächerlich machen, sondern auch noch den ohnehin geringen Wachstumsaussichten schaden.
Sehen wir also die Leitzinsentscheidung der EZB ganz nüchtern: Eine notwendige und überfällige Maßnahme, die in das trübe Gesamtbild passt. Wunder darf man davon allerdings nicht erwarten. Denn erstens reagieren die Märkte erfahrungsgemäß erst mit einigen Monaten Verzögerung auf die gelockerten Geldmarktbedingungen, und zweitens ist es noch keiner Notenbank gelungen, nur mit ihrer Zinspolitik einen Aufschwung anzustoßen. Denn für einen Aufschwung braucht es eine breite Front von Optimisten. Doch die sind zurzeit allesamt in Deckung gegangen.