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Lebt Mladic noch?

27. Mai 2010

Ratko Mladic, der Hauptverantwortliche des Massenmords von Srebrenica, soll für tot erklärt werden. Das fordert seine Familie. Die Absicht hat in Belgrad eine rege Diskussion entfacht: Worum geht es den Angehörigen?

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Aufnahme von Ratko Mladic in Uniform, dem ehemaligen Befehlshaber der bosnischen Serbenarmee von 1995 (Foto: AP)
Ratko Mladic - seit sieben Jahren kein Kontakt zur Familie?Bild: AP

Die Familie und die Anwälte von Ratko Mladic haben angekündigt, den ehemaligen Kommandeur der Streitkräfte der bosnischen Serben für tot erklären zu lassen. Mladic ist vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wegen Kriegsverbrechen im Bosnien-Krieg angeklagt. Er gilt als Hauptverantwortlicher für die Ermordung von etwa 8.000 bosnischen Muslimen in Srebrenica. Seit 1995 wird international nach ihm gefahndet. Von serbischen Nationalisten wird er noch immer als Kriegsheld verehrt.

Serbische Behördenvertreter reagierten prompt auf die Ankündigung, die durch serbische Medien ging. Der Leiter des Belgrader Büros für die Zusammenarbeit mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal, Dusan Ignjatovic, sagte der Deutschen Welle, dass die Regierung jeden Verdacht ausräumen wolle, dass Serbien auf diese Weise versuche, das Problem Ratko Mladic loszuwerden.

Entscheidung allein beim Tribunal

Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag (Foto: ICTY)
Den Haag richtet über MladicBild: ICTY

Ignjatovic unterstrich, dass Serbien keinesfalls von seinen internationalen Verpflichtungen entbunden wäre, selbst wenn Mladic für tot erklärt würde. Die Zusammenarbeit Serbiens mit dem Haager Tribunal und die Fahndung nach Mladic würden auch in diesem Fall fortgesetzt. "Die Suche nach Ratko Mladic wird einzig und allein eingestellt, wenn es das Haager Tribunal sagt und die Anklage zurückzieht - das sehe ich aber nicht kommen", meint Ignjatovic.

Serbien ist als UN-Mitglied zu einer Zusammenarbeit mit diesem Organ der Vereinten Nationen verpflichtet. Zudem ist es in Serbiens Interesse, den jahrelang flüchtigen Ex-General zu fassen und an das UN-Kriegsverbrechertribunal auszuliefern. Denn auch die EU überprüft regelmäßig die Zusammenarbeit mit dem Tribunal, und sie ist eine wichtige Voraussetzung für die EU-Annäherung des Balkanlandes. Die einzige Möglichkeit sich von dieser Verpflichtung zu befreien sei, so Ignjatovic, dass die sterblichen Überreste von Ratko Mladic gefunden und einwandfrei identifiziert würden.

Eine Hand durchbricht einen Papierberg (Foto: BilderBox)
Mladics fühlen sich schikaniertBild: BilderBox

Eine Familie unter Druck?

Mladics Gefolgsleute und seine Familie glauben hingegen, dass er sich nicht von dem 1996 erlittenen Hirnschlag erholt habe. Deswegen sei es durchaus denkbar, dass Mladic tot sei, so der Anwalt der Familie Milos Saljic. Als Hauptargument für seinen Antrag führt Saljic an, dass die Familie seit Jahren keinen Kontakt zu Mladic habe. "In Anbetracht seiner innigen Verbundenheit hätte er sich sicherlich auf irgendeine Art bei seiner Familie gemeldet, wenn er noch leben würde. Weil er sich seit sieben Jahren nicht gemeldet hat, ist sich die Familie sicher, dass er nicht mehr am Leben ist. Deswegen unternehmen sie diese Schritte, aber auch um den tagtäglichen Druck, der auf ihnen lastet, von sich zu nehmen", sagt Saljic.

Sie könnten in dieser Situation wichtige amtliche Angelegenheiten nicht erledigen und fühlten sich von den Behörden schikaniert. So könnten die Mladics wegen des schwebenden Verfahrens gegen den Ex-General weder auf eingefrorene Konten, beschlagnahmtes Eigentum noch auf Pensionsrechte zurückgreifen.

Andere Beobachter sehen die Familie Mladic hingegen nicht als Opfer staatlicher Schikanen. Vielmehr würden sie mit dieser Aktion die ungeteilte Aufmerksamkeit der serbischen Öffentlichkeit bekommen - wenigstens kurzfristig. Der Vorsitzende des serbischen Nationalrates für die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal, Rasim Ljajic, nannte das Vorhaben der Familie Mladic eine Verhöhnung der serbischen Staatsorgane. Ignjatovic wies die Vorwürfe der Familie ebenfalls zurück: "Niemand verfolgt die Familie. Es wird hier ein Mann gesucht, der wegen sehr schwerer Straftaten angeklagt ist."

Die Göttin Justitia im Gegenlicht (Foto: dpa)
Experten setzen auf eindeutige RechtslageBild: dpa

Kein Präzedenzfall erwünscht

Mladics Familie und seine Gefolgsleute glaubten vielleicht auf diese Weise bewirken zu können, dass die Suche nach Mladic eingestellt werde. Ignatovic führt diesen Gedankengang weiter und warnt: "Dies wäre dann ein 'gutes Zeichen' für alle Kriminellen. Das wäre auch sehr schön für Angeklagte, denen organisierte Kriminalität zur Last gelegt wird. Ihnen käme es zupass, sich für tot erklären zu lassen. die Strafprozesse würden eingestellt und sie könnten unter einer anderen Identität das Leben genießen." Es dürfe im Interesse der Sicherheit in Serbien keinesfalls zugelassen werden, dass Mladic für tot erklärt und somit ein Präzedenzfall geschaffen würde.

Aufschrift "Wanted" in weiß auf rotem Grund (Foto: AP/DW-Montage)
Mladic bleibt auf den FahndungslistenBild: AP / DW Montage

Prämissen bleiben

Rechtsexperten weisen zudem darauf hin, Mladic für tot zu erklären, entbehre jeder Rechtsgrundlage. Die Voraussetzungen dafür seien schlicht nicht erfüllt. Eine Person kann nach serbischem Recht unter anderem erst für tot erklärt werden, wenn sie älter als 70 Jahre ist. Mladic ist aber 68. Sie bezweifeln generell, dass sich dieses Verfahren - unabhängig von seinem Ausgang - auf die Forderungen des Haager Tribunals auswirken werde.

Dem stimmt auch Milan Antonijevic vom serbischen Anwaltskomitee für Menschenrechte zu. Bei der Fahndung nach Ratko Mladic und in der Anklage selbst, die das Haager Tribunal erhoben hat, werde es keine Änderungen geben, so Antonijevic. "Die Fahndung wird fortgesetzt, dies hat auch Belgrad bestätigt. Das heißt, was die übergeordneten Dinge betrifft, das Kriegsverbrechen selbst betreffend, da werden die Aktivitäten nicht abgebrochen - weder von Serbien noch vom Haager Tribunal", versichert der Rechtsexperte.

Autoren: Ivica Petrovic / Mirjana Dikic

Redaktion: Fabian Schmidt