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Wild-West-Methoden im Online-Werbemarkt

Rolf Wenkel mit dpa, afp, NZZ
10. April 2017

Der digitale Werbemarkt wächst zweistellig und lässt konventionelle TV-Werbung bald hinter sich. Das lädt aber auch Goldgräber, Gauner und Trittbrettfahrer ein. Was kann man gegen die tun?

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Deutschland Computerspiele-Hersteller Wooga in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Die Google-Apokalypse ist erst einmal ausgeblieben. In den vergangenen zwei Wochen hatte ein Werbe-Boykott gegen die Videoplattform YouTube für Schlagzeilen gesorgt - und für Kursverluste bei der Youtube-Mutter Google/Alphabet. Werbebotschaften von Volkswagen, AT&T und dem Guardian waren neben Videos von US-Neonazis oder IS-Unterstützern aufgetaucht, eine Werbekampagne der britischen Regierung wurde versehentlich vor Inhalte von Rechtsextremisten, Antisemiten und Hasspredigern geschaltet - was für Aufregung und Empörung gesorgt hatte.

Für Google hatte sich der Streit um extremistische Inhalte auf YouTube zu einem ernsten Problem entwickelt: Zeitweilig hatten mehr als 250 Marken ihre Kampagnen beim größten Werbekonzern der Welt gestoppt. Darunter waren Schwergewichte wie Ford, Volkswagen und Toyota, die US-Mobilfunker Verizon und AT&T, der Einzelhändler Wal-Mart und die Kaffeehauskette Starbucks, berichtet die britische Zeitung "Times". Auch der französische Versicherer Axa und der schwedische Möbelverkäufer Ikea hatten Klärungsbedarf.

Schnelles Geld mit fremden Federn

Neben YouTube waren auch andere Werbekanäle des Konzerns betroffen. Der Börsenwert der Google-Mutter Alphabet war in diesen Tagen um rund 20 Milliarden US-Dollar geschrumpft. Und wenn's ums Geld geht, können Internetkonzerne plötzlich ganz schnell reagieren. So hat sich der europäische Google-Manager Matt Brittin für die Vorfälle entschuldigt, aber auch darauf hingewiesen, dass Google bereits gut funktionierende Werkzeuge bereitstelle, um Werbung nicht vor Videos mit extremistischen Inhalten zu schalten. Zudem würden 98 Prozent der Inhalte, die von Nutzern als problematisch gemeldet würden, innerhalb von 24 Stunden abgearbeitet.

Youtube hatte vor rund fünf Jahren allen Nutzern erlaubt, sofort Werbung vor ihre Videos schalten zu lassen. Das wurde zur wichtigen Einnahmequelle, lud aber auch zur missbräuchlichen Nutzung ein, mit fremden Inhalten schnelles Geld zu machen. Künftig werde Werbung erst angezeigt, wenn Videos mindestens 10.000 mal abgerufen werden. Das gebe der Videoplattform die Möglichkeit festzustellen, ob sich die Betreiber eines Youtube-Kontos an die Regeln halten.

Online überholt TV

Nun scheint schon wieder alles in Ordnung zu sein. Google hat Besserung versprochen und einer unbekannten Zahl von Videos den Werbe-Geldhahn abgedreht. Die Konzerne mit den weltweit größten Werbebudgets zeigen sich dankbar und schalten wieder ihre Werbespots bei Google. Der Aktienkurs des Konzerns erholt sich. Eine kurze Episode, die allerdings ein Schlaglicht auf die Sitten und Unsitten des digitalen Werbemarktes wirft.

Auf diesem Markt herrscht nämlich weltweit immer noch Goldgräberstimmung. Er wächst zweistellig und lässt die konventionelle TV-Werbung bald hinter sich. So hat die werbetreibende Wirtschaft in den USA im vergangenen Jahr rund 70 Milliarden US-Dollar für Fernsehwerbung sowie ebenfalls 70 Milliarden für digitale Werbung ausgegeben. Doch während die Etats für das konventionelle Fernsehen in diesem Jahr stagnieren werden, sagen Experten eine Steigerung der Online-Etats um 16 Prozent auf rund 83 Milliarden Dollar voraus.

Fingierte Nutzer

Indes: Wo ein Goldrausch einsetzt, wird bisweilen auch mit Wildwest-Methoden operiert. So berichtet die "Neue Züricher Zeitung" von einer Studie, nach der Werbetreibende im laufenden Jahr vermutlich weltweit rund 16 Milliarden Dollar für Online-Kampagnen ausgeben werden, "die niemand im Netz gesehen hat außer das Computerprogramm, das im Auftrag von Betrügern Klicks und Aktivitäten von Nutzern fingiert".

Der Frust über Defizite in der Online-Werbung sei umso größer, als die Internet-Konzerne mit dem Versprechen lockten, Werbebotschaften mit Hilfe präziser Daten über die Nutzer genau ins Ziel zu bringen, schreibt die Zeitung weiter. Immer wieder treten neue Anbieter und neue Konzepte auf, die versprechen, das Rätsel um erfolgreiche Werbung gelöst zu haben. Trotzdem werden von tausend Werbebannern allenfalls mal drei angeklickt.

Geld wirkt besser als Gesetze

Dass Konzerne wie Google vor dem Werbeboykott so schnell einknicken, muss besonders für Politiker wie Heiko Maas frustrierend sein. Nach jahrelangen Verhandlungen und Appellen hat der Justizminister nun seinen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem er Hassbotschaften in sozialen Netzwerken nicht nur aus der Verwertungskette werfen, sondern komplett löschen lassen will.

Die Frage, ob die Betreiber von Facebook & Co per Gesetz zum Löschen von Hasskommentaren gezwungen werden sollen, ist nicht unumstritten. So warnt Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries, Parteigenossin von Heiko Maas, vor "unverhältnismäßigen Belastungen" für die Unternehmen.

Kontrolle von Hand unmöglich

"Leider gehen nach meinem Eindruck viele Forderungen in die Richtung, die Verantwortlichkeit der Plattformbetreiber derart auszuweiten, dass sie einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung gleichkommt", schrieb Zypries in einem Brief an den Vizepräsidenten der EU-Kommission, Andrus Ansip. Sie drängt auf EU-einheitliche Beschwerdeverfahren.

Eines aber werden weder Werbeboykotte noch schärfere Gesetze verhindern können: Dass Online-Werbung immer auch zu Missbrauch einlädt. Um den zu verhindern, müssten zumindest die beiden größten Platzhirsche auf dem Markt, Google und Facebook, nämlich viel genauer hinschauen - was schlicht und ergreifend unmöglich ist. So werden allein auf Youtube pro Stunde Videos mit einer Laufzeit von 24.000 Stunden hochgeladen. Sollten die von Menschen und nicht von Maschinen kontrolliert werden, müsste Google 100.000 neue Stellen schaffen.