Unantastbare Würde
17. Februar 2012Die neun Vorgänger Christian Wulffs im Amt des Bundespräsidenten haben unterschiedliche Erfahrungen mit der "Würde des Amtes" gemacht. Den meisten fiel es nicht schwer, sich aus der aktuellen Politik herauszuhalten. Im Amt des Bundespräsidenten sind persönliche Eitelkeiten und politische Spielereien fehl am Platz. Das unterscheidet dieses von allen anderen politischen Spitzenämtern des Landes.
Im Gespräch mit der Deutschen Welle stellte der Politologe Wolfgang Seibel aus Konstanz fest, dass die Würde etwas zu tun hat mit "dem Respekt, der dem Amt und seiner Funktion gezollt wird." Zudem sei es die Aufgabe, für die "Normen und Institutionen des Grundgesetzes einzutreten."
Dieser Wechsel von der realen in eine eher symbolische Politik sei dem ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten nicht gelungen. Dabei habe er von seinen Vorgängern viel lernen können.
Affäre "Bauzeichnung"
Der erste Bundespräsident Theodor Heuss (1949-1959) hatte als liberaler Abgeordneter 1933 dem NS-Ermächtigungsgesetz im Reichstag zugestimmt, mit dem die Alleinherrschaft der NSDAP zementiert worden war. Er musste sich der Fraktionsdisziplin beugen, obwohl er eigentlich ablehnen wollte. Aber die Deutschen sahen in ihm eher den "Papa", der sie gemeinsam mit dem "Großvater" Konrad Adenauer aus der dunklen Vergangenheit der NS-Diktatur führen konnte. Heuss redete den Deutschen ins Gewissen, gab den Suchenden Orientierung und gab der "Würde des Amtes" eine Prägung, obwohl er durchaus "volksnah" war.
Seinem Nachfolger Heinrich Lübke (1959-1969) war spätestens mit Beginn seiner zweiten Amtszeit anzumerken, dass ihm eine fortschreitende Arterienverkalkung im Gehirn große Schwierigkeiten machte. Die Affäre um seine Unterschrift unter der Bauzeichnung einer KZ-Außenstelle Anfang der 1940er Jahre wirbelte zudem viel Staub auf. Aufgrund seiner stärker werdenden Probleme bei der Wortfindung beendete er drei Monate vor dem Ablauf der Wahlperiode vorzeitig seine zweite Amtszeit. Seine öffentlichen Auftritte bargen die Gefahr, dass er dem Ansehen des Amtes schaden könnte.
Singen und Wandern
Ihm folgte mit Gustav Heinemann (1969-1974), der erste Sozialdemokrat. Wie einer seiner Nachfolger Richard von Weizsäcker (1984-1994) galten beide als moralische Instanz. Was sie sagten, wurde gehört und als Leitsatz gewertet. Ähnlich positiv war auch das Echo, das Roman Herzog (1994-1999) und Horst Köhler (2004-2010) auslösten. Beide galten als politikfern und vor allem parteienunabhängig.
Ganz anders wurden Walter Scheel (1974-1979) und Karl Carstens (1979-1984) bewertet. Der eine, weil er mit dem Gassenhauer "Hoch auf dem gelben Wagen" nicht nur als Sänger im Fernsehen auftrat, sondern auch noch die Hitparaden stürmte. Carstens, dessen größtes Hobby das Wandern war, machte sich vor allem dadurch einen Namen, dass er alle deutschen Bundesländer zu Fuß durchquerte. Von Würde und Moral war in beiden Amtszeiten kaum die Rede.
Das vorläufige Ende der Affärengeschichte im Berliner Schloss Bellevue hatte Johannes Rau (1999-2004) geschrieben. Ihm wurde eine Flugaffäre aus seiner Zeit als NRW-Ministerpräsident nachgewiesen - die Landesbank WestLB hatte ihm und anderen Politikern private Flüge bezahlt. Doch Rau zeige, wie man als Bundespräsident mit der Würde des Amtes umgehen kann. Er ging an die Öffentlichkeit: Er bekannte sich zu seinen Fehlern, bereute sie und bat das Volk um Entschuldigung. Fortan wurde er in Ruhe gelassen.
Der Würde des Amtes nicht gewachsen
Die Affäre des Christian Wulff wäre auf viel niedrigerem Niveau geblieben, hätte er von Anfang an eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Für den Politologen Wolfgang Seibel wurde die Affäre erst durch Wulffs Reaktion - auf die Information, dass die "Bild"-Zeitung eine Geschichte über seine Hausfinanzierung zu veröffentlichen plant - zum Skandal. Möglicherweise war Christian Wulff auch deshalb zu einer adäquaten Reaktion nicht fähig, weil er den Wechsel von einem regionalen Regierungschef zu einer landesweiten Moralinstanz nicht vollzogen hat.
Die Würde des Amtes und der hohe Anspruch, der an das Amt des Bundespräsidenten gestellt wird, rührt nach Meinung des Politologen Seibels von der "Vorbildwirkung für elementare Normen unseres demokratischen Rechtsstaats" her. Wer gegen diese Normen verstößt, verletze die "Würde des Amtes". Vielleicht ist Christian Wulff im Amt des Bundespräsidenten gescheitert, weil er als Berufspolitiker anders groß geworden ist. Für ihn waren Hinterzimmergespräche und Parteienklüngel Alltag und Normalität. Aber genau das sollte im Schloss Bellevue nicht stattfinden. Deshalb musste er gehen.
Autor: Matthias von Hellfeld, Iveta Ondruskova
Redaktion: Arne Lichtenberg