Wie teuer ist ein EU-Abgeordneter?
24. März 2011Als Lobbyisten getarnt hatten die Journalisten der "Sunday Times" rund 60 Abgeordnete des Europa-Parlaments angeschrieben, um mit Bestechungsgeldern entsprechende Parlamentsentscheidungen zu kaufen. Mindestens drei hochrangige Parlamentarier - Ex-Minister aus Österreich, Rumänien und Slowenien - gingen auf dieses Angebot ein. Jetzt ist die Aufregung groß im Europäischen Parlament. Wie korrupt ist die Volksvertretung der Europäer, deren Macht mit dem Lissabon-Vertrag noch einmal gestärkt wurde. Der Österreicher Martin Ehrenhauser ist fraktionsloser Abgeordneter im EP und er gehört zur "Liste Martin", die sich Transparenz und echte Kontrolle in Brüssel auf die Fahnen geschrieben hat.
DW-WORLD: Herr Ehrenhauser, einige offensichtlich korrupte Abgeordnete des Europa-Parlaments haben angekündigt, ihr Mandat zurückzugeben. Ist damit die Affäre ausgestanden?
Martin Ehrenhauser: Selbstverständlich nicht, die Vorfälle sind nicht komplett ausgeräumt. Hier braucht es noch massive Aufklärung. Man muss schon ganz deutlich sagen: Das Ausmaß dieses Skandals ist größer als sogar Selbstkritiker, wie ich, es gedacht haben. Wenn man bedenkt, dass die Journalisten der Sunday Times insgesamt 60 EU-Abgeordnete angefragt haben, und wie es jetzt aussieht, insgesamt 12 darauf eingegangen sind, dann muss man schon sagen, dass das eine sehr hohe Prozentzahl an Leuten ist, die in die Falle getappt sind. Wenn man sieht, wie die einzelnen Fraktionen oder Parteien auf diesen Skandal reagieren, dann ist das auch an sich noch ein weiterer Skandal. Der ehemalige österreichische Innenminister Strasser, ist so ein Beispiel. Was für wirtschaftlichen Tätigkeiten er nachgegangen ist, war ein offenes Geheimnis im Parlament. Jetzt tut die Europäische Volkspartei so, als wüsste sie nichts von den wirtschaftlichen Tätigkeiten des Herrn Strasser. Das ist meines Erachtens sehr scheinheilig. Es zeigt auch nur, wie verlogen teilweise die Politik leider ist.
Wie sollte der Skandal Ihrer Meinung nach aufgearbeitet werden?
Ganz wichtig ist natürlich, dass alle zurücktreten. Also auch die, die in Zukunft aufgedeckt werden, also die restlichen der zwölf Abgeordneten. Desweiteren müssen auch rechtliche Schritte gesetzt werden, zum Beispiel durch Einführung eines Lobbying-Registers. Wenn es schon jetzt hier ein klares, transparentes und verpflichtendes Lobbing-Register gegeben hätte, dann wäre nicht einmal ein Ernst Strasser auf die Schein-Lobbyisten der Sunday Times hereingefallen. Hier brauchen wir mehr Transparenz. Und das muss ganz schnell vonstatten gehen.
Brauchen wir auch schärfere Gesetze in Brüssel, um überhaupt Lobby-Arbeit von Parlamentariern zu bestrafen?
Man muss hier unterscheiden. Lobbying bedeutet nicht Korruption. Da muss man sehr klar unterscheiden. Auch eine Arbeiterkammer oder eine Gewerkschaft betreibt in gewissem Sinne Lobbying und Informationspolitik. Hier muss man ganz klar trennen zwischen korruptem Lobbying und der Informationspolitik, die gute Organisationen tätigen. Was wir brauchen, und hier spreche ich als österreichischer Abgeordneter und aus österreichischer Sicht, ist eine Reform der Strafprozessordnung. Schauen Sie sich die Zustände zum Beispiel in der Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien an: Da arbeiten lediglich sieben Beamte an 2700 Anzeigen jährlich. Diese Beamten sind dermaßen überfordert, sie können die ganzen Anzeigen gar nicht bewältigen. Hier sieht man schon, dass es einen enormen Reformbedarf gibt. Da muss mehr Personal eingestellt werden. Wir brauchen vielleicht auch eine Hochschule, wo die Leute ganz speziell ausgebildet werden. Korruption ist ein sehr aktuelles Thema. Es wird meines Erachtens immer schlimmer. Und da muss man wirklich konsequent vorgehen.
Was schätzen Sie, wie groß ist die Dunkelziffer der Parlamentarier, die man für Geld kaufen kann?
Das ist schwer zu sagen. Da würde ich mir keine Prognose erlauben. Aber es ist natürlich erschreckend, wenn von den 60 Überprüften scheinbar 12 darauf eingegangen sind. Ich hoffe, dass im Durchschnitt oder verglichen mit allen Abgeordneten die Wirklichkeit doch deutlich darunter liegt.
Das Interview führte Karin Jäger
Redaktion: Mirjana Dikic/ Fabian Schmidt