"Wie sicher ist jüdisches Leben hier?"
22. Januar 2019"Sind wir sicher?" Die Frage von Andras Kain, Präsident der Raoul-Wallenberg-Loge, die der internationalen jüdischen Vereinigung "B'nai B'rith" angehört, blieb unbeantwortet. Berlin sei zwar "wieder die größte jüdische Gemeinschaft in Deutschland", sagte Kain der DW auf dem europäischen Kongress der Organisation in Berlin. Doch er fügte hinzu: "Antisemitismus ist salonfähig geworden - in der Mitte der Gesellschaft".
Als die Vereinigung vor 18 Jahren das letzte Mal einen Europa-Kongress in Berlin veranstaltete, seien antisemitische Briefe anonym verschickt worden. Heutzutage geschehe das offen - mit Namen, so Kain. Die Sozialen Medien hätten wohl dazu beigetragen.
Der Kongress "B'nai B'rith" fand nur ein paar hundert Meter vom einstigen Zentrum in Deutschland statt. In den 1920er-Jahren gab es 100 Logen in Deutschland, die Zentrale befand sich in der Kleiststraße. Später zog die Gestapo, die politische Polizei der Nationalsozialisten dort ein.
Felix Klein, "Beauftragter für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus", bestätigte die Beobachtungen Kains. Es gebe in Deutschland wieder Angriffe auf jüdische Einrichtungen, neben anderen Formen von Antisemitismus. 2017 habe es durchschnittlich drei Vorfälle täglich gegeben.
Klein kündigte an, die Bundesregierung werde als Teil einer Gegenstrategie ein "Reporting-and-Monitoring-System" etablieren, um die Fälle sichtbarer zu machen. Dazu soll eine Bund-Länder-Kommission entstehen, die zwei Mal jährlich tagt. Schon im Frühjahr könnte es soweit sein. Das sei wichtig, so Klein, weil in 80 bis 90 Prozent der Fälle die Bundesländer zuständig seien. In sieben von ihnen gebe es inzwischen ebenfalls einen eigenen Beauftragten für jüdisches Leben. Zwei weitere Bundesländer haben es angekündigt.
Gemeinsam wolle man Wege finden, wie zum Beispiel die Bildungsarbeit an Schulen verbessert werden könne. Auch bei der Polizeiausbildung müsse das Thema verstärkt hinein. "Antisemitismus ist kein jüdisches Problem, sondern eines der ganzen Gesellschaft", stellte Klein klar.
Antisemitismus von links und rechts
Ein Diskussionspunkt des eintägigen Kongresses war die Frage, welcher Antisemitismus der Gefährlichste sei - der von rechts, von links oder muslimisch? Während der Bundesbeauftragte Klein diese Debatte als "wenig hilfreich" kritisierte, warnte der Historiker Michael Wolffssohn davor, nicht zu differenzieren. Erst nach einer realistischen Analyse, so Wolffsohn, lasse sich schließlich eine korrekte Therapie finden.
Wolffsohn präsentierte Zahlen, wonach in Europa unter Muslimen antisemitische Einstellungen besonders ausgeprägt seien. Andere Kongressteilnehmer nannten dagegen Rechtsextreme und Rechtspopulisten als häufigste Ursache von Antisemitismus.
Vor allem die AfD stelle eine neue Gefahr dar, sagte der Botschafter Israels Jeremy Issacharoff - wegen der "nostalgischen Haltung" gegenüber des Nationalsozialismus bei manchen von ihnen. Deshalb gebe es zu diesen Politikern auch keine Kontakte, sagte der Botschafter.
Beauftragter Klein blieb bei seiner Haltung, keine "Hierarchisierung" vornehmen zu wollen. Gegenüber der DW erklärte er, es sei Teil der Integrationsarbeit bei allen Migranten, dass Antisemitismus in Deutschland keinen Platz habe. Dieses Ziel sei vom generellen Kampf gegen Antisemitismus zu unterscheiden.
Wolffsohn plädierte für eine aufrechte Haltung. Der Mehrheitsgesellschaft sollten Juden selbstbewusst und "relaxt" gegenübertreten: "Here we are - we the Jewish". Schließlich brauche Deutschland seine jüdischen Mitbürger als "gut ausgebildete, tolerante und integrierte Menschen". Für die Sicherheit aber sei der deutsche Staat zuständig.