Wie "mobile Kirchen" die Diktatur überlebten
5. Juni 2018Als der Fotograf Anton Roland Laub seiner Partnerin zum ersten Mal Bukarest zeigte, staunte diese über spontane Frömmigkeitsgesten in Straßenbahnen und Bussen. "Mir fällt das nicht so sehr auf, weil ich in Bukarest geboren und aufgewachsen bin", sagt Anton Roland Laub, der seit 2000 in Deutschland lebt, und an der Neuen Schule für Fotografie und der Weissensee Kunsthochschule Berlin studierte. Seine Frau, die deutsche Literaturwissenschaftlerin und Programmmanagerin der Zilberman Gallery, Lotte Laub, beobachtete, dass sich die Fahrgäste nach christlich-orthodoxem Brauch bekreuzigten: Nicht nur dann, wenn sie eine Kirche erblickten, sondern auch an einigen Stellen, wo keine Kirchen zu sehen waren. "In diesem Fall handelt es sich um Kirchen, die hinter kommunistischen Plattenbauten versteckt oder komplett an einen anderen Ort versetzt worden sind: So kam ich auf die Idee, mich näher mit dem Thema auseinanderzusetzen."
Das Verstecken und Versetzen von Kirchen gehört zu einem dramatischen und absurden Kapitel der Geschichte Rumäniens: In den 1980er-Jahren ließ der kommunistische Diktator Ceausescu ein Drittel der Bukarester Altstadt dem Erdboden gleichmachen - inspiriert von einem Besuch in Nordkorea. Es sollte Platz geschaffen werden für Plattenbauten und imposante Symbole der absoluten Macht, wie das sogenannte "Haus des Volkes" (Casa Poporului) - auch heute noch eines der größten Gebäude der Welt.
Zerstört und versetzt
"Auch meine Familie war von der sogenannten 'Systematisierung' Ceausescus betroffen. Das Elternhaus meiner Mutter wurde abgerissen und die Familie musste in eine kleine Wohnung im vierten Stock ziehen, ohne Aufzug", erinnert sich der Fotograf. Das Elternhaus seines Vaters blieb verschont, weil Ceausescu im Dezember 1989 gestürzt wurde - es stand aber auch auf der Liste der Gebäude, die abgerissen werden sollten. Dieser Zerstörungswut fielen ebenfalls mehr als 20 Kirchen in Bukarest zum Opfer. Sieben Kirchen wurden nicht abgerissen, sondern an einen anderen Ort versetzt, indem sie auf Schienen gehoben wurden - ein Verfahren, das der rumänische Ingenieur Eugen Iordachescu entwickelt hatte.
In seinem dreisprachigen Band "Mobile Churches" (erschienen im Kehrer Verlag Heidelberg, mit Texten in deutscher, englischer und französischer Sprache) verbindet Anton Roland Laub seine aktuellen Fotos der sieben versetzten Kirchen und einer Synagoge, die von Plattenbauten ummauert wurde, mit Archivmaterial aus den 80er Jahren, das ihm Ingenieur Iordachescu zur Verfügung stellte.
"Mich interessiert weniger die Technik, sondern viel mehr der Grund, warum die Kirchen versetzt wurden: Sie sollten unsichtbar gemacht werden", sagt der Fotograf. "Im Grunde genommen wurden sie eher verdrängt als gerettet." Jede der Kirchen sei Teil eines Ganzen gewesen. Als Beispiel nennt er die Verkündigungskirche der Nonnen-Einsiedelei (erbaut 1726), die als erste der sieben Kirchen verschoben wurde.
"Geringes Interesse an Vergangenheitsbewältigung"
"Es war ein ganzer Kloster-Komplex: Dort waren auch Werkstätten der Nonnen, die Ikonen malten, im Garten gab es Obstbäume, sogar die Windrichtung war beim Bau bedacht worden. Doch dann überlebte nur eine Kirche. Die besondere Ironie: Sie steht heute hinter dem Sitz des Geheimdienstes", sagt Laub.
Zwischen 2013 und 2017 reiste Anton Roland Laub mehrmals von Berlin nach Bukarest, um die Kirchen zu fotografieren. Immer im harten rumänischen Winter, weil kahle Bäume nicht so viel von den Gebäuden bedecken. "Ich habe bei minus 18 Grad mit einer Großbildkamera, also einer alten Kamera, bei der man unter eine Decke geht, fotografiert. Alles hat wehgetan wegen der Kälte", erinnert sich Laub. "Meine Partnerin war auch immer dabei und hat mich unterstützt." Besonders schwierig sei die Recherche gewesen: "In Archiven waren die Informationen nicht stimmig, auch bei verschiedenen Büchern und Materialien gab es immer drei oder vier verschiedene Versionen." Insgesamt sei "das Interesse an Vergangenheitsbewältigung in Rumänien eher gering", erklärt der Fotograf.
Kommunisten erreichten Gegenteil ihres Ziels
In einem Essay mit dem Titel "Stadt auf Schienen", der ebenfalls Teil des Bildbands "Mobile Churches" ist, schreibt Lotte Laub, dass durch die Versetzung der Kirchen das Gegenteil von dem erreicht wurde, was die Kommunisten mit ihrer atheistisch geprägten Ideologie ursprünglich wollten: "Nicht die Abwertung im Bewusstsein der Gesellschaft, sondern jene Erweiterung, die sich wie eine Spur ins Gedächtnis legt, wodurch die Kirchen (die jüngste wurde 1877 erbaut) umso mehr an Bedeutung gewinnen."
In Bukarest, wo einst Kirchen abgerissen oder versetzt wurden, wird heute eines der größten orthodoxen Gotteshäuser der Welt gebaut, die "Kathedrale der Erlösung des Rumänischen Volkes". Kritiker dieses Bauprojekts sehen darin einen ähnlichen Größenwahn wie beim benachbarten "Haus des Volkes", das von der Kathedrale sogar überragt werden soll. Dieses Mammutprojekt passe auch zu einem "religiösen Trend" nach der Wende in ehemaligen Ostblock-Staaten wie Rumänien, Polen oder Russland, sagt Anton Roland Laub: "Damit hat die Kirche ein Kräftemessen mit dem Kommunismus gewonnen - ich glaube, sie ist inoffiziell sogar die stärkste 'Partei' im heutigen Rumänien."
Die Ausstellung "Mobile Churches" in der Kapelle der Versöhnung in Berlin geht vom 5. Juni bis zum 19. August 2018. Die Kapelle der Versöhnung war aus dem Schutt einer Kirche entstanden, die 1985 auf Anweisung des DDR-Regimes gesprengt wurde. Anton Roland Laubs Fotoserie ist für mehrere internationale Preise nominiert, unter anderem für den New Discovery Award von "Les Rencontres de la Photographie" in Arles.